Sehen und gesehen werden – Die Teilnahme an den Weltausstellungen in der Riege der führenden Nationen

Buch vor Lageplänen der Weltausstellungen in Paris und Wien

Daniel Hedinger (2011). Im Wettstreit mit dem Westen. Japans Zeitalter der Ausstellungen 1854-1941. Frankfurt / New York: Campus Verlag [Reihe „Globalgeschichte“ Band 7]; broschiert, 426 Seiten sw + 32 Seiten in Farbdruck.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts trägt viele Bezeichnungen, und eine davon ist „das Zeitalter der Ausstellungen“ (S. 9). Es war die Epoche der Expansion der europäischen Staaten und der USA (des „Westens“). Die Kolonialmächte suchten Einfluss in den entlegensten Gebieten der Welt, herrschten in ihrer territorialen Ausdehnung imperialistisch und beuteten die Länder wirtschaftlich aus. Weltausstellungen wurden zu Orten der vordergründig friedlichen Zusammenkunft, im Kern aber Dreh- und Angelpunkt des Kräftemessens.

Bei der ersten Weltausstellung in London im Jahr 1851 war Japan noch nicht vertreten, dann aber mit über 30 Beteiligungen zwischen 1870 und 1910 der „regelmäßigste, gewichtigste und erfolgreichste nicht-westliche Teilnehmer an Weltausstellungen in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg.“ Das ist um so beachtlicher, als dass die großen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die die neue Meiji-Regierung der japanischen Bevölkerung abverlangte, im eigenen Land immer wieder zu Widerstand bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten.

An der Teilnahme bei Weltausstellungen kann man die Entwicklung Japans ablesen, das als Land zunächst dazu gezwungen war, mit anderen Staaten sogenannte Ungleiche Verträge abzuschließen, es dabei gerade noch geschafft hatte, von den Kolonialmächten vergleichsweise unabhängig zu bleiben, und innerhalb kürzester Zeit als geeinte Nation selbst zur Kolonial- und Großmacht aufstieg (S. 10).

Ansicht des Kristallpalastes, davor Figuren in Kleidung verschiedner Länder.

01. Der Kristallpalast wurde im Londoner Hyde Park für die Weltausstellung 1851 errichtet. Im Park sind Besucherinnen und Besucher aus verschiedenen Nationen zu sehen.

Über den Autor

Daniel Hedinger ist Historiker mit dem Schwerpunkt Geschichte Japans und Ostasiens im 19. und 20. Jahrhundert. Zu seinen besonderen Interessen zählen Globalgeschichte, Ausstellungs- und Museumsforschung.

Über das Buch

Das Buch besteht aus einer Einleitung (19 Seiten), drei Hauptkapiteln und einem Anhang.

Die Einleitung enthält die Leitfragen, den Forschungsstand, eine Übersicht über die benutzten Quellen und einen kurzen Abriss über die Kapitel des Buches. Hedinger legt dabei ein besonderes Augenmerk auf Fragestellungen bezüglich der Perspektiven von Globalgeschichte (versus einzelne Nationalgeschichten) und zeigt seine Position innerhalb der vielfältigen Ausstellungsforschung.

Die drei Hauptkapitel sind:

I. Ein chronologischer Überblick, 1854-1914 (86 Seiten)

II. Thematische Perspektiven, 1868-1914 (146 Seiten)

III. Synopsis, 1900-1941 (55 Seiten)

Die Seitenzahlen spiegeln die Schwerpunktsetzung innerhalb des Zeitraums der Untersuchung: Von der Vorgeschichte zur ersten aktiven internationalen Ausstellungsteilnahme Japans, über die intensiven Ausstellungsaktivitäten während der Meiji-Zeit (1868-1912) bis zu einem Ausblick auf die folgenden Jahrzehnte.

Die vier thematischen Perspektiven von Teil II lauten: „Erziehung und Wissen“, „Zivilisation und Zukunft“, „Kaiser und Nation“, „Konsum und Vergnügen“.

Der ausführliche Anhang umfasst die Anmerkungen (44 Seiten), das Literaturverzeichnis (44 Seiten), die Danksagung und einen Bildteil mit 44 Abbildungen in Farbe, die eingehend kommentiert werden (auf insgesamt 51 Seiten).

Das Buch enthält so viele interessante Facetten, dass es mir im folgenden nur möglich ist, einige Aspekte herauszustellen, die für mich von großer Bedeutung sind.

Ein zeitliches Zusammentreffen

Hedinger beginnt seine Darstellung Mitte des 19. Jahrhunderts und zeigt auf die innere Logik zweier Ereignisse, die aus japanischer Sicht zeitlich zusammenfielen: dass die japanische Regierung über die Niederländer von der ersten Weltausstellung 1851 in London erfuhren und fast zeitgleich vor der Ankunft von Fremden gewarnt wurde (S. 32-33).

Tatsächlich fuhr der US-amerikanische Commodore Perry mit seiner Flotte, den sogenannten „Schwarzen Schiffen“, kurz darauf, 1853, zum ersten Mal in der Bucht von Edo ein. Diese Machtdemonstration machte der Regierung des Shōguns deutlich, dass die Abschottung nach außen bzw. die Kontrolle über den Kontakt mit der Außenwelt nicht länger aufrechtzuerhalten war: Die militärischen Verteidigungsmöglichkeiten erwiesen sich als unzulänglich. Folglich war die japanische Seite dazu gezwungen, Verhandlungen über die Öffnung des Landes für den internationalen Handel aufzunehmen.

Im Folgejahr, 1854, kehrte Commodore Perry zurück und erwirkte mit der Demonstration einer Mischung aus militärischer Macht und industrieller Überlegenheit Verhandlungen, die in einen „Friedens- und Freundschaftsvertrag“ (Vertrag von Kanagawa) mündeten. In den kommenden Jahren sollte die Unterzeichnung der für Japan äußerst ungünstigen „Ungleichen Verträge“ mit verschiedenen Staaten folgen. In den Jahrzehnten darauf musste die japanische Regierung alles daransetzen, sich von der Last dieser Verträge zu befreien, und die internationalen Ausstellungen spielten dabei eine wichtige Rolle.

Modelleisenbahn: Lok mit zwei Anhängern.

02. Ausschnitt aus einer Bildrolle über den zweiten Japanbesuch des US-Commodore Matthew Perry im Jahr 1854.

Die Mitbringsel für die Japaner waren sorgfältig ausgewählt und ihre Übergabe aufwendig inszeniert. Perry präsentierte neuste Industrieprodukte wie eine Druckerpresse, Pumpen, allerlei Maschinen und eine Miniatur-Dampflok samt Anhängern (dargestellt auf dem Ausschnitt der Bildrolle).

Wie Zeitgenossen berichten, ähnelte die Präsentation der Objekte der Aufmachung der in Europa damals gängigen Industrieausstellungen (S. 34). Hedinger unterstreicht die Überzeugungskraft von Ausstellungsobjekten, in ihrer Wirkung wohl genauso beeindruckend wie das militärische Drohgebaren (S. 49). Die Technik, die zur Vorführung kam, sollte in der Infrastruktur der kommenden Kriege eine zentrale Rolle spielen (S. 36).

Die Sorge um das eigene Image

In Japan hatte man regelmäßig die Schatzkammern der Tempel für einige Tage einem breiten Publikum geöffnet (S. 136), die Idee der Ausstellung und des Museums, in Europa seit Jahrzehnten gereift, war allerdings in dieser Form nicht bekannt (S. 133). Bei den europäischen Ausstellungen handelte es sich um groß angelegte Festlichkeiten, bei denen nicht nur Objekte präsentiert wurden, sondern die auch von Paraden, Feuerwerken und anderen Feierlichkeiten begleitet wurden. Ihren ersten Höhepunkt erfuhr diese Form des Spektakels bei der Weltausstellung in London 1851. Sie kulminierte in der Weltausstellung in Paris 1900, bei der etwa 50 Millionen Besucherinnen und Besucher gezählt wurden (S. 40-41).

Die Ausstellungen waren neutral gesprochen „Bühne[n] für interkulturellen Kontakt, Transfer und Austausch“ (S. 17), politische Kommunikationsräume (S. 25), sie förderten im positiven Sinne den Handel, den Austausch von Wissen und Technologie. Doch schon von Zeitgenossen wurden sie als Wettstreit empfunden. Von „Kriegen in Friedenszeiten“ schrieb 1873 Kume Kunitake (Berichterstatter der Iwakura-Mission, siehe „Eine Hochschule für junge Frauen“) über die Wiener Weltausstellung unter dem Eindruck der alles bestimmenden Konkurrenz (S. 11-13, 88, 300).

Foto in Schwarz-weiß von Regalen und Vitrinen, die mit Objekten reich bestückt sind.

03. Der inoffizielle Japan-Stand „Japanese Court“ auf der zweiten Weltausstellung 1862 in London. Die Ausstellung bestand aus 1.500 Gegenständen, die von dem britischen Diplomaten Rutherford Alcock gesammelt und ausgestellt wurden – ohne vorher die japanische Regierung informiert oder gar ihre Einwilligung eingeholt zu haben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es keine Seltenheit, dass Abgesandte nicht nur in diplomatischer Mission ihres Staates fungierten, sondern zugleich auch als Händler tätig waren (S. 48, 51).

Die Mitglieder der Iwakura-Mission, die die Ausstellung besuchten, fanden die Gegenstände schlicht und peinlich, keinesfalls dem Bild angemessen, das sie sich von Japan auf einer solchen wichtigen Messe gewünscht hätten.

Den japanischen Beobachtern, die auf Missionen nach Übersee geschickt worden waren, entging nicht, dass Ausstellungen Miniaturwelten waren, die den Anspruch erhoben, die gesamte Welt abzubilden, selbstverständlich aus Sicht der Kolonialstaaten. Aus diesem Grund war ihnen sofort bewusst, wie wichtig es war, die Darstellung Japans in eigenen Händen zu haben, um sie so positiv wie möglich zu gestalten (S. 52).

Für sie war es von entscheidender Bedeutung, dass Japan so schnell wie möglich vom Zuschauer zum aktiven Ausstellungsteilnehmer wurde, um sich einen eigenen Zugang zum weltweiten Publikum zu verschaffen. Zum ersten Mal stellte Japan 1867 bei der Exposition Universelle in Paris aus. Rasch wurde das Land zum willkommenen Gast auf Ausstellungen. Schon bei der ersten Teilnahme erhielt Japan zahlreiche Auszeichnungen; die Pariser Weltausstellung wird als Geburtsstunde des Japonismus in Europa gesehen. (S. 14, 41, 58-59, siehe auch die Beiträge zum Japonismus und zur Geschichte der Familie Ephrussi). Lange setzte Japan auf Fremdheit und Exotismus und zeigte in erster Linie traditionelles Kunsthandwerk (S. 143).

Strichzeichnung von einer Gruppe Asiaten, die in Kimono gekleidet sind.

04. Die japanischen Besucher der zweiten Weltausstellung in London 1862 erregten große Aufmerksamkeit.

 

Ausstellungen in Japan

Beeindruckt von seinem Besuch der Weltausstellung in London 1862 widmete Fukuzawa Yukichi ein Kapitel seines Buches „Die Verhältnisse im Westen“ („Seiyō jijō“) dem Thema Ausstellungen, Museen und Bibliotheken. Er prägte dabei die japanischen Begriffe rund um das Ausstellungswesen. Für „Ausstellung“ setzte er die Schriftzeichen für „Zusammenkunft“ („kai“), um „vieles“ („haku“ für „ausgedehnt“, „weit“, „breit“) „anzusehen“ („ran“) zusammen: „hakurankai“ (S. 54-56, 134; zur Suche nach Begriffen für das Neue siehe auch der Beitrag über Intellektuelle der frühen Meiji-Zeit).

Schon bald organisierte die Regierung in Japan selbst zahlreiche Ausstellungen in Tempeln, Schreinen und Burgen, sogar in Teilen des Tennō-Palastes in Kyōto. Zwischen 1871 und 1876 gab es durchschnittlich knapp zehn Ausstellungen pro Jahr (S. 65, 68).

Im Abschnitt „Erziehung und Wissen“ in Teil II des Buches (Thematische Perspektiven) stellt Hedinger heraus, dass die Ausstellungen für die frühe Meiji-Regierung von enormer Bedeutung waren, um ihr wichtigstes Ziel, die (kontrollierte) Bildung der breiten Bevölkerung, umzusetzen. Ausgangspunkt für das neu gegründete Erziehungsministerium war das Ideal der Gleichheit: Nicht mehr der Stand, sondern die Bildung sollte von nun an soziale Grenzen markieren (S. 123). Die allgemeine Schulpflicht war zwar proklamiert, wurde allerdings nur schleppend umgesetzt. Dagegen besuchten viele hunderttausend Besucherinnen und Besucher Ausstellungen, die vom Staat, von Städten und von Privatpersonen organisiert wurden.

Portrait in Schwarzweiß von einem Herrn mit Schnauzbart und prächtiger Anzugsjacke, bestückt mit Orden.

05. Der Naturwissenschaftler und Ausstellungsmacher Tanaka Yoshio (1838-1916), „Vater der Museen“, Portrait von 1899. Tanaka sammelte ab 1860 alle verfügbaren Informationen über Ausstellungen in Alben, die er eigens dafür anlegte (S. 24).

1867 zeigte er auf der Weltausstellung Paris fünfzig von ihm angefertigte Schachteln mit Insekten, später organisierte er Auftritte des japanischen Staates bei Weltausstellungen. Zugleich gründete er den ersten Zoo in Japan, in Ueno (Tōkyō).

 

Ausstellungen gab es in allen Teilen des Landes, die glänzendsten in Kyōto und Tōkyō, in den beiden Städten, die in den ersten Jahren der Meiji-Zeit miteinander darum konkurrierten, Hauptstadt der neuen Nation zu werden.

Die entscheidende Bedeutung der Ausstellungen lag nicht allein darin, Objekte zu präsentieren. Wichtig war vor allem, wo sie stattfanden und auf welche Art und Weise das Gezeigte angeordnet wurde. Die Klassifizierung eines Objekts (z.B. in der Sparte Kunst, Naturkunde, Wissenschaft oder Technik) entschied über seinen Status. Das Klassifikationssystem war lange Zeit umstritten, aber über kurz oder lang machten die Ausstellungsorganisatoren über die Art und Weise, wie sie die Stücke arrangierten, die moderne europäische Klassifizierung der Dinge und damit der Wissensordnung in Japan bekannt (S. 73, 120, 144, 153).

Auf diese Weise fand in mehrfacher Hinsicht eine symbolische Abkehr von der alten Ordnung statt:

Einerseits über die Orte: Die erste Ausstellung in Tōkyō fand im konfuzianischen Tempel Yushima Seidō statt, Wirkungsort und Bildungsstätte der Neokonfuzianisten, die bis dato die Herrschaft der Tokugawa-Shōgune durch ihre Philosophie legitimiert hatten. Jetzt wurde der Tempel zum Ort einer Ausstellung, in der das Wissen ganz neu nach europäischer Sichtweise sortiert wurde (S. 125-126). Weitere Ausstellungen fanden in Zentren der ehemals Herrschenden, in Burgen und Palästen, statt (S. 76).

Andererseits über die Ausstellungsstücke: Das Objekt, das die erste Ausstellung im Yushima Seidō beherrschte, war die drei Meter hohe, dreihundert Kilogramm schwere Figur eines Shachi (oder: Shachihoko), eines mythischen Wesens mit dem Kopf eines Drachens und dem Körper eines Fisches. Es war eine Schutzfigur, die ursprünglich auf dem Dach der Daimyō-Burg in Nagoya angebracht gewesen war, nun demontiert und ausgestellt wurde (S. 70).

Gruppe von 12 Japanern, zum Teil im Anzug, zum Teil im Kimono, auf dem Ausstellungsgelände des Yushima Seidō.

06. Die Gruppe der Organisatoren der Ausstellung im konfuzianischen Tempel Yushima Seidō, Tōkyō, 1872. Tanaka Yoshio, in gestreiften Hosen, sitzt vorn rechts.

Im Hintergrund die Figur des männlichen goldenen Shachi (Kinshachi) der Burg Nagoya. Die Positionierung der Figur war alles andere als einfach, da sie sich als Ausstellungsstück einer eindeutigen Klassifizierung widersetzte (S. 146).

 

Farbholzschnitt vom Innenhof des Yushima Seidō.

07. Ausstellung im Tempel Yushima Seidō, 1872. Die Architektur, die Anordnung der Ausstellungskästen und der Pflastersteine entsprechen genau dem Foto und zeugen von der Genauigkeit des Holzblockdrucks. Die Objekte wurden zum Grundstock des Nationalmuseums Tōkyō (Tōkyō kokuritsu hakubutsukan), dem 1872 gegründeten und damit ältesten Museums Japans.

Farbholzschnitt von drei Personen, die sich vor dem Shachi niederknien.

08. Einige Besucherinnen und Besucher sind noch den alten Vorstellungen verpflichtet: Sie knieen in der Ausstellung voller Ehrfurcht vor dem goldenen Shachi der Burg Nagoya nieder. Ukiyo-e-Druck von Ikkei Shosai.

Besucherinnen und Besucher, zum Teil in westlicher, zum Teil in japanischer Kleidung, vor den Schaukästen.

09. Insgesamt bestaunten knapp 200.000 Besucherinnen und Besucher die Ausstellungsstücke, die geplante Ausstellungsdauer wurde von 20 auf 50 Tage verlängert (S. 70-71).

Der Aufstieg zur erfolgreichsten nicht-industrialisierten Nation

Organisatorisch bis ins kleinste Detail vorbereitet, wurde die Weltausstellung in Wien zur ausgiebigen Selbstdarstellung der neuen, geeinten Nation Japan (S. 80). Im Vorfeld waren innerhalb Japans zahlreiche Ausstellungen als Probelauf und zur Sammlung ausstellungswürdiger Objekte vorgeschaltet gewesen. Die Ausstellungsstücke wurden katalogisiert und in einem Bildband dargestellt. Auf dem Ausstellungsgelände in Wien legten japanische Arbeiter Landschaft mit Hügeln und künstlichen Wasserläufen an, über die kleine Brücken führten, errichteten Pavillons und Tempel (S. 83-83).

Bild in Schwarzweiß von Besucherinnen und Besuchern der Japan-Ausstellung.
Bild in Schwarzweiß von der Japan-Ausstellung.

10.-11. Japanische Abteilung in der Weltausstellung in Wien 1873. Zu sehen war die zweite Shachi-Figur, die einst das Dach der Burg von Nagoya geschmückt hatte, in Europa nicht mehr als ehrgebietendes Objekt gesehen, sondern als bedeutender japanischer Kulturschatz wahrgenommen.

Gezeigt wurden vornehmlich Lackwaren, Porzellan, Bambus und Bronzen (S. 83). Der japanische Pavillon und der Garten wurden zu Publikumsmagneten, 198 Produkte erhielten Auszeichnungen (S. 85).

Das Voranbringen des technischen und industriellen Fortschritts

Im September 1873 kamen die Teilnehmer der Iwakura-Mission nach Japan zurück. Obwohl alle Politiker der Zeit das Ziel hatten, einen starken Staat aufzubauen, der den europäischen Mächten ebenbürtig war, wurde schnell deutlich, wie sehr sich die Vorstellungen der ehemaligen Missionsmitglieder von denen der Politiker unterschieden, die in Japan geblieben waren.

Diese befürworteten eine Invasion in Korea. Mit ihren Erfahrungen, die sie in Übersee gemacht hatten, lehnten die Teilnehmer der Iwakura-Mission eine solche Invasion entschieden ab (S. 89). 1877 kam es zu einem Bürgerkrieg, der von Saigō Takamori angeführt, im Südwesten Japans ausgefochten wurde. Saigōs traditionell ausgerüstete Truppen unterlagen dem kaiserlichen Heer. Hedinger weist darauf hin, dass die erste landesweite Industrie-Ausstellung in Tōkyō genau zur Zeit des Bürgerkrieges stattfand und davon überhaupt nicht berührt wurde (S. 96).

Schwarzweiß-Portrait eines Mannes mit großem Schnurrbart, in Anzug.

12. Ōkubo Toshimichi (1830-1878) setzte für die Verbesserung der Qualität japanischer Produkte auf eine zentralisierte, staatlich gelenkte Politik zur Förderung der Wirtschaft, Modellfabriken und Infrastrukturmaßnahmen. Das Wissen sollte über landesweite Industrieausstellungen verbreitet werden (S. 92-94).

Farbholzschnitt: Blick über das Ausstellungsgelände.
Farbholzschnitt: Blick über das Ausstellungsgelände.
Farbholzschnitt: in der Kunstausstellung.

13.-15. Erste landesweite Industrieausstellung im Ueno-Park 1877, Blick auf das Gebäude der Kunstausstellung, 1877.

Die Ausstellungen dienten außerdem der Erziehung und Disziplinierung der Bevölkerung. Bestimmte Verhaltensweisen wurden gefördert (westliche Kleidung), andere waren verboten (z.B. Alkohol, S. 165).

Lageplan in Schwarzweiß mit eingezeichneten Gebäuden.

16. Lageplan der Zweiten Nationalen Industrieausstellung in Ueno, 1881. An ihm ist die Bedeutung des zentral aufgestellten Uhrenturms abzulesen. Die Veranstaltungen waren minutiös geplant und fanden entsprechend westlicher Zeitordnung nach einem genauen Ablaufschema statt (S. 174).

Menschen bewundern nach Einbruch der Dunkelheit die bunten Glühbirnen.

17. Zu den Verheißungen der Zukunft zählten Uhren, Licht – in Form von Zigtausenden von Glühlampen –und selbstverständlich die in ihrer Funktion kaum verständlichen Maschinen. Hier: Beleuchtung am Nationalmuseum Tōkyō.

Auch während der wirtschaftlich äußerst schwierigen 1880er Jahre wurden Ausstellungen veranstaltet: in kleinerem Rahmen und auf Kategorien wie Meeresprodukte, Tee oder Textilien spezialisiert (S. 101). Sie wurden „kyōshinkai“ („Treffen für den gemeinsamen Fortschritt“) genannt, konnten alle mehrere Millionen Besucherinnen und Besucher verbuchen und fanden zunehmend auch mit ausländischer Beteiligung statt (S. 109).

Blick auf den Springbrunnen und das zentrale Ausstellungsgebäude.

18. Ansicht der Kunstausstellung der Zweiten Nationalen Industrieausstellung in Ueno, 1881.

Hedinger beschreibt anschaulich, wie die Organisatoren der Ausstellungen Auftritte des Tennō und seiner Frau zur Repräsentation des Nationalen nutzten. War die Herrscherfamilie früher für das Volk unsichtbar, machte der Tennō nun Rundreisen und absolvierte öffentliche Auftritte mit Ansprachen (S. 204-205). Dabei galt die Aufgabenteilung zwischen Tennō als moderner Herrscher und Kriegsherr und seiner Frau als Bewahrerin der Tradition (S. 221). Zunehmend kamen nationale Symbole wie Flagge und Hymne zum Einsatz.

Farbholzschnitt: Dame mit Entourage steigt aus der Kutsche aus.

19. Die Kaiserin besucht die Dritte Nationale Industrieausstellung in Ueno, 1889.

Fazit

Auch wenn der Band zahlreiche Tipp- und Trennungsfehler, Wortdoppelungen und Grammatikfehler enthält –

Das Buch ist äußerst lesenswert, denn …

… es zeigt die Geschichte Japans aus einer besonderen Perspektive.

Hedinger schafft es mit diesem Buch, die vielfältigen Veränderungen, die die Öffnung Japans mit sich brachten, aus einem ganz besonderen Blickwinkel, nämlich aus dem der Selbstdarstellung des Landes, zu sammeln und darzustellen. Dies funktioniert, da die obersten politischen Entscheidungsträger der frühen Meiji-Zeit Ausstellungen als besonders wichtiges Medium einstuften. Entscheidungen zur Repräsentation der eigenen Nation trafen sie im engen Kreis, so dass das Engagement rund um die Ausstellungen den politischen Kurs zeigt, den das Land in den Jahren des Umbruchs nahm.

Der Autor verweist auf eigene Ausstellungstraditionen der Edo-Zeit (z.B. Ausstellung von Kuriositäten, misemono, S. 138). Indem er aber den Blick stets auf die internationale Ebene richtet, wird deutlich, dass das Ausstellungswesen ab Ende der Edo-Zeit (Mitte des 19. Jahrhunderts) ohne die Einbeziehung von zeitgleichen Ereignissen, die weltweit stattfanden, gar nicht verständlich ist.

Das Buch macht deutlich, dass die Geschichte der Ausstellungen Vernetzung und Austausch bedeutet, und wird dem Anspruch einer globalen Perspektive absolut gerecht. Mit originellem Blick verbindet Hedinger unzählige, detaillierte Informationen miteinander. Dabei legt er Wert nicht nur auf die Beschreibung der Ereignisse, sondern erklärt auch die Symbolik, die dahintersteckt. So eröffnen sich Zusammenhänge zwischen Politik, Wirtschaft, Kultur und Konsum.

Hedinger gelingt es außerdem hervorragend, die Machtverschiebungen darzustellen, die über die Jahrzehnte hinweg stattfanden. Beispiele sind die Bedeutungslosigkeit der ehemaligen Daimyō, die in einem Theaterstück auftreten (S. 74), die neuen, komplexeren Entscheidungswege nach der Etablierung des Parlaments im Gegensatz zur frühen Meiji-Zeit, als eine Handvoll Herrschende alle Entscheidungen trafen (S. 108), oder der Bedeutungsverlust des Erziehungsministeriums zugunsten des Innenministeriums (S. 141).

Wichtig ist auch der Ausblick auf die spätere Entwicklung: die zunehmenden Zweifel am Begriff der „Zivilisation“. Zunächst begeistert aufgenommen und in einer optimistischen Aufholjagd umgesetzt, wurde der Begriff – auch aufgrund negativer Erfahrungen – immer komplexer und widersprüchlicher (S. 198). Die neue Vorstellung von „Zivilisation“ war: ein notwendiges Übel, ein nie enden wollender Fortschritt, dem man sich nicht entziehen konnte (S. 189-190). Hinzu kam, dass Ausstellungen generell einem Bedeutungsverlust erlagen, weil Film und Printmedien wichtiger wurden bzw. die allgemeine Schulpflicht schrittweise umgesetzt werden konnte (S. 277).

Anfang des 20. Jahrhunderts präsentierte sich Japan schließlich als Kolonialreich: Taiwan, Korea und die Mandschurei erhielten Pavillons, die aus Teehaus, Kolonialwarenladen und anthropologischem Museum bestanden und vergleichbar waren mit den Pavillons, mit denen sich Japan in seiner Anfangszeit auf den Weltausstellungen präsentiert hatte. Dies zeigte die koloniale Wirtschaftsordnung, nun auf Japan angewandt: Rohstoffe aus den Kolonien, industrielle Güter aus dem Mutterland (S. 281-287). Eine zunehmende Rolle bei Ausstellungen spielte das Militär, Anfang der 1940er Jahre hatten Heer und Marine eigene Ausstellungspavillons, und später folgten reine Militärausstellungen (S. 314).

… es stellt die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher in den Mittelpunkt.

Der Autor bezieht in seiner Darstellung stets die Perspektive der Besucherinnen und Besucher mit ein. Dies ist wichtig, denn Initiatoren können bei der Konzeption noch so sehr eine bestimmte Aussage beabsichtigen – die Wirkung auf das Publikum und die Reaktion der Presse sind entscheidend. Aus diesem Grund nutzt Hedinger als Quellen nicht nur amtliche Publikationen wie Ausstellungskataloge, Objektlisten, Berichte und Beurteilungen. Er geht davon aus, dass in diesen Quellen wenig Kritisches zu erwarten ist (S. 22). Stattdessen spielen in seiner Untersuchung Artikel aus Tageszeitungen, Satirezeitschriften und Illustrierten, Leserbriefe, Reiseberichte, persönliche Notizen, Tagebücher und literarische Zeugnisse eine wichtige Rolle. Ein Teil der Quellen speist sich aus dem Nachlass eines des bedeutendsten Ausstellungsmachers der Meiji-Zeit, Tanaka Yoshio (S. 23-24, siehe Abbildung 05).

Da Ausstellungen immer visuell beeindrucken wollen (S. 24), zieht Hedinger Farbholzschnitte, Pläne, Postkarten, Fotos und Karikaturen in seine Untersuchungen mit ein. Im Anhang kommentiert er das Bildmaterial ausführlich.

In einem virtuellen Ausstellungsbesuch werden fünf Stationen der Industrieausstellung von 1907 in Tōkyō vorgestellt (S. 237-262): Nach der Ankunft am Bahnhof in Ueno die Sehenswürdigkeiten im Ueno-Park: Tempel- und Parkanlagen, Zoo und Museum; das Hauptgelände der Ausstellung mit der Präsentation der Produkte, Vergnügungsräume wie Aquarien, Panoramen oder spezielle Hallen zur Unterhaltung, dazu Riesenrad und Wasserrutsche, Gaststätten, Restaurants und Teestuben.

es stellt Konsumgeschichte dar.

Das Buch verdeutlicht außerdem die große Rolle, die Ausstellungen im Zusammenhang mit dem Ausbau von Verkehrsverbindungen und städtischer Infrastruktur spielten und heute noch spielen. Besucherinnen und Besucher kamen nicht nur zur Besichtigung der Ausstellungen, ihnen eröffnete sich schon damals ein breites Programm an Touren entlang der Sehenswürdigkeiten der Städte, in denen die Ausstellungen stattfanden. Somit hatten diese einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Tourismus (S. 238-239).

Zugleich zeigten sie Visionen zukünftiger Konsummöglichkeiten: vollkommen neue, sensationelle Warenpräsentationen. Hier besteht ein enger Zusammenhang mit der Entwicklung von Warenhäusern wie Takashimaya oder Mitsukoshi (S. 250-251, siehe Beitrag über die Infrastruktur Tōkyōs).

es verdeutlicht, dass Ausstellungen interessante Forschungsfragen aufwerfen.

Indem es Hedinger gelingt, Informationen aus den unterschiedlichsten Bereichen einzubringen und dicht gebündelt darzustellen, zeigt er, dass Ausstellungen als Forschungsobjekt sehr gut geeignet sind: Er macht vor, wie sie als Fokussierpunkt zahlreicher Ereignisse der zunehmend vernetzten Welt dienen können.

… das Thema ist immer noch aktuell.

2025 wird die Expo in Ōsaka stattfinden – vor kurzem wurden Kräfte für den Deutschen Pavillon gesucht.

Zugleich strebt Berlin die Austragung der Expo 2035 an. Auch dann wird es um das „nation branding“ gehen, um die Selbstdarstellung der Nationen, dem „Versuch, einem Staat durch Anwendung von Kommunikationstechniken aus der Markentechnik ein mit einer Handelsmarke vergleichbares Image zu verschaffen.“ (Wikipedia: Eintrag Nation Branding) – und dies möglichst positiv.

Susanne Phillipps

20. Juni 2024 (Ausgabe 15)

Datenschutzhinweis: An dieser Stelle ist eine Anmerkung notwendig. Ich habe meine Website selbst erstellt, sie nutzt weder Cookies für Webtracking noch Web-Analyse-Programme. Ich verweise auf meine Datenschutzerklärung und verstehe die weitere Nutzung meiner Website als Einverständniserklärung.

Bildnachweis

Header: Von Bruno Cordioli from Milano, Italy – Kimono enchantment, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10405206, Ausschnitt, Schrift eingesetzt.

Buch-Arrangement Weltausstellungen: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk

01: Von https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1949-1011-94, Gemeinfrei,https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=90141592

02: Von Painted by: Hibata Ōsuke 樋畑翁輔 (prepatory sketches, and possibly the scroll)Calligrapher: Onuma Chinzan (大沼沈山) (preface) – https://www.britishmuseum.org/collection/object/A_2013-3002-1, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89906354

03: Von Rutherford Alcock – Illustrated London News, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=95403783

04: Von Autor/-in unbekannt – Illustrated London News, Kyoto University: 近代日本と異文化接触 -「同時代化」を生きた人々の記録, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12777210

05: Von Autor/-in unbekannt – Dainihon Sanrin Kaihō (Journal of the Japan Forestry Association). No.202, 1899., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146157649

06: Von Yokoyama Matsusaburō – Kokushi Daizukan (Illustrated book of national history). Volume 5, Yoshikawa Kōbunkan, 1933., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45759381

07: By Ikkei Shōsai – 文化遺産オンライン(文化庁) https://bunka.nii.ac.jp/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74451999

08: Von Shōsai Ikkei – Own work (photograph in exhibition), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=13320939

09: Von Taito City Library Digital Archives – https://trc-adeac.trc.co.jp/WJ11F0/WJJS07U/1310615100/1310615100100050/mp050290, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115948885

10: Von Illustrirte Zeitung – Illustrirte Zeitung: Leipzig, Berlin, Wien, Budapest, New York, Band 61, 1873 [1], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37296650

11: Von Yoshio Tanaka(1838-1916),Narinobu Hirayama(1854-1929); illustrator unknown – 『澳国博覧会参同記要』(Report of participation in the World Exposition) [1], M3PRESS [2], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8332623

12: Von published by 東洋文化協會 (The Eastern Culture Association) – The Japanese book "幕末・明治・大正 回顧八十年史" (Memories for 80 years, Bakumatsu, Meiji, Taisho), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=327992

13: Von 歌川芳春 – http://www.yamada-shoten.com/onlinestore/detail.php?item_id=47366, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69156644

14: Von 歌川芳春 – http://www.yamada-shoten.com/onlinestore/detail.php?item_id=47366, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69156642

15: Von 歌川芳春 – http://www.yamada-shoten.com/onlinestore/detail.php?item_id=47366, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69156643

16: Von Anonym – Tseng, Alice Y. (December 2004), "Styling Japan: The Case of Josiah Conder and the Museum at Ueno, Tokyo", Journal of the Society of Architectural Historians, Vol. 63 (No. 4), p. 473, doi:10.2307/4128015., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=81738615

17: Kobayashi Kiyochika – https://webarchives.tnm.jp/imgsearch/show/C0032103, CC 表示-継承 4.0,https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=97372948による

18: Von Hiroshire Utagawa – Dieses Bild ist unter der digitalen ID cph.3g10420 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar.Diese Markierung zeigt nicht den Urheberrechtsstatus des zugehörigen Werks an. Es ist in jedem Falle zusätzlich eine normale Lizenzvorlage erforderlich. Siehe Commons:Lizenzen für weitere Informationen., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11635222

19: By Toyohara Chikanobu – This file was donated to Wikimedia Commons as part of a project by the Metropolitan Museum of Art. See the Image and Data Resources Open Access Policy, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=58777143