Unterwegs auf den Überlandstraßen des Inselreichs – Frauen der Edo-Zeit berichten von ihren Reiseabenteuern

Buch vor einem Farbholzschnitt von Hiroshige

Renate Noda (2013). Als ich heute in meine Herberge zurückkehrte, da haftete an meiner Kleidung noch die Freude. Reisende Frauen aus der Edo-Zeit und ihre Reisetagebücher. Bremen: Übersee-Museum [= TenDenZen 2012, Jahrbuch XX]; broschiert, 212 Seiten.

Während der Edo-Zeit (1600-1868) herrschte über die lange Phase von 250 Jahren politische Stabilität und damit Frieden in Japan. Auch wenn es Hungersnöte und Naturkatastrophen gab, blühten Wirtschaft und Kultur auf, die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten sich fortdauernd.

Frauen hatten einen großen Anteil an diesem Erfolg, und inzwischen ist ihr Beitrag an den damaligen Errungenschaften zunehmend in das Blickfeld der Forschenden gerückt. Das lange Zeit vorherrschende Bild von der permanent unterdrückten Frau hat sich gewandelt.

Die neokonfuzianisch beeinflusste Sichtweise betrachtete die Frau zwar als dem Mann unterlegen und ihm daher zu Folgsamkeit bestimmt, wurde in dieser Form aber nur in der obersten Gesellschaftsschicht der adligen Samurai-Familien als Ideal gesehen.

In Bauern-, Handwerker- und Kaufmannsfamilien dagegen, in denen die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar war, in denen Frauen nicht selten sogar als Managerinnen fungierten, wurden Mädchen und Frauen durchaus wertgeschätzt. Wenn es finanziell möglich war, investierten die Familien in ihre Bildung.

Nicht wenige Frauen hatten deshalb Macht und Entscheidungsspielräume, und einige Frauen zeichneten ihre Aktivitäten auf. Ein Beispiel: Von den über 2.000 Reiseberichten aus der Edo-Zeit, die inzwischen in Archiven entdeckt wurden, stammen 200 von Frauen (S. 74). Dies zeigt, dass viel mehr Frauen als Reisende auf den Überlandstraßen unterwegs waren, als lange Zeit vermutet wurde. Ihre Aufzeichnungen spiegeln ihre Wissbegierde und Abenteuerlust.

Farbholzschnitt mit dem Portrait einer Frau vor einer Landschaft. Sie hält ihr Reisetagebuch in den Händen und einen Pinsel im Mund.

01. Eine Frau mit ihrem Reisetagebuch auf dem Tōkaidō in Arai. Aus den „53 Stationen des Tōkaidō in Gegenüberstellungen“, Utagawa Kunisada, um 1850.

Über das Buch

Bei dem Buch handelt es sich um die Dissertation von Renate Noda. Der Band besteht aus zwei Teilen:

  1. allgemeine Informationen zu Frauen und Reisen in der Edo-Zeit (ca. 80 Seiten);
  2. ausgewählte Beispiele reisender Frauen und ihrer Reiseberichte (ca. 80 Seiten).

Im ersten Teil fasst Renate Noda unter anderem die wichtigsten Ergebnisse zur Frauen- und Genderforschung zusammen. Da inzwischen auf diesem Forschungsfeld viele neue Veröffentlichungen hinzugekommen sind, ist die Darstellung nicht so aktuell wie zur Entstehungszeit des Buches, bietet aber trotzdem eine schöne Übersicht, an Beispielen anschaulich erklärt.

Die Autorin schließt ihre Ausführungen mit einem Vergleich mit Europa (S. 159-169) und Anmerkungen zur Entwicklung in Japan (S. 170-181).

Der Anhang enthält die Anmerkungen, das Literaturverzeichnis und eine Übersetzung von Konno Oitos Notizen einer Reise zum Ise-Schrein aus dem Jahr 1862, einer Art Kassenbuch, in der die Reisende ihre Ausgaben notierte.

Nachkoloriertes Schwarzweiß-Foto einer jungen Frau in dunkler Kleidung, mit Schnee bepudert. In der Hand trägt sie einen Schirm.

02. Frau in Schneekleidung, ein Foto aufgenommen im Atelier des japanischen Fotografen Kusakabe Kimbei (1841-1932).

Ein besonderer Reiz des Buches liegt darin, dass der Text von zahlreichen Farbholzschnitten, Fotos und auch von Kartenmaterial (Überlandstraßen und Reiserouten der Frauen) begleitet wird. Die Bilder stammen aus dem Historischen Bildarchiv und den Japan-Sammlungen des Übersee-Museums Bremen. Sie sind mit Bedacht ausgewählt und genau platziert, so dass sie mit den jeweiligen Textstellen, an denen sie erscheinen, eine besondere Verbindung eingehen.

Farbholzschnitt: Reisende Frauen auf dem Tōkaidō kommen an einer Herberge an.

03. Reisende Frauen auf dem Tōkaidō, aus der Serie „53 Ansichten des Tōkaidō“ von Hiroshige, Station 5: Totsuka.

Über die Autorin

Renate Noda hat Japanologie und Sinologie studiert und kann zugleich auf eine langjährige Museumserfahrung zurückblicken: Ab 2004 war sie am Museum für Völkerkunde Wien beschäftigt, seit 2010 leitet sie die Abteilung Völkerkunde am Übersee-Museum Bremen.

Japanisches, aus Holz und Papier errichtetes Haus im Innenhof des Museums.

04. Übersee-Museum Bremen, japanisches Haus.

Reisen in der Edo-Zeit

Sowohl die materiellen Bedingungen – Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft, Etablierung eines festen Netzes an Handelswegen, Entstehen von Geldwirtschaft – wie auch die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen waren ideale Voraussetzungen für die rege Reisetätigkeit während der Edo-Zeit.

Die Menschen in Japan waren damals weitaus mobiler als in vielen anderen Ländern. Ein Teil von ihnen war gezwungenermaßen unterwegs: Daimyō waren aufgrund des Systems der wechselnden Anwesenheit in der Hauptstadt Edo und den Heimatprovinzen (sankin kōtai) ständig zu Reisen mit ihrem standesgemäß umfangreichen Begleittross gezwungen. Durch diese regelmäßige Reisetätigkeit entstand entlang der Überlandstraßen eine sehr gute Infrastruktur an Übernachtungsmöglichkeiten und Versorgungsstationen.

Karte von Japan mit fünf in verschiedenen Farben eingezeichneten Wegen.

05. Eine Karte der fünf Überlandrouten (gokaidō), zentral verwaltete Straßen, die Edo mit den Außenprovinzen verbanden. Die wichtigste war die „Ostmeerstraße“ , Tōkaidō (1), zwischen Edo und Kyōto.

Bauern, Handwerkern und Kaufleuten waren offiziell nur Pilgerfahrten und therapeutische Reisen zu heißen Quellen erlaubt. Aber sie fanden zunehmend Möglichkeiten, ihre Unternehmungen zum Genuss werden zu lassen: Allerlei Vergnügungen nahmen einen immer größeren Anteil am Unterwegssein ein.

Vor den Tempeln und Schreinen reihten sich Herbergen, Teehäuser, Geschäfte, Schaubuden, Theater und Souvenirläden. Auf den Straßen zeigten Akrobaten und Straßenkünstler ihre Darbietungen, es herrschte eine Atmosphäre wie in Vergnügungsvierteln (S. 50-52).

Farbholzschnitt: Blick in den Innenhof einer Herberge. Die Schiebetüren zu den Räumen sind offen, Reisende amüsieren sich.

06. Herberge in Akasaka am Tōkaidō.

Doppelseite aus einem Leseheft: viele Pilgerinnen und Pilger vor Buden, Musikerinnen und Unterhaltungskünstlern
Doppelseite aus einem Leseheft: Gäste bei Musikerinnen und Tänzerinnen in einer Herberge

07.-08. Gute Speisen, Spiel, Spaß und Unterhaltung auf der Pilgerfahrt. Zwei Doppelseiten aus: „Illustrierter Führer der berühmten Orte bei der Wallfahrt nach Ise“ („Ise sangū meisho zue“, 1797).

Kutschen waren auf den Überlandstraßen nicht erlaubt, die wenigen Höhergestellten waren zu Pferde unterwegs, und an besonderen Stellen ließen sich Begüterte in einem Tragekorb transportieren. Ansonsten legten aber fast alle Reisenden ihre Wegstrecken zu Fuß zurück, was den Menschen aus dem einfachen Volk das Reisen weitaus leichter machte als in Europa. Da Bauern, Handwerker und Kaufleute zudem den Kontrollen weniger streng unterworfen waren, war es für sie einfacher, sich auf Reisen zu begeben als für Angehörige des obersten Standes der Samurai (Beobachtung von Philipp Franz von Siebold, S. 40).

Farbholzschnitt mit dem Bild einer Frau, die von mehreren Trägern durch einen Fluss getragen wird. Die Träger sind bis zur Brust im Wasser.
Nachkoloriertes Schwarzweiß-Foto von zwei Frauen in einem Tragekorb, der von zwei Trägern gehalten wird.

Tragekörbe gab es offen und geschlossen.

09. Eine Dame höheren Ranges wird von Trägern durch den Oigawa-Fluss getragen; von Utagawa Hiroshige, ungefähr 1845.

10. Frauen in einem Tragekorb.

Es gab sogar einen Begriff für die „heimliche Reise“ (nuke mairi), für das Unterwegssein ohne Erlaubnis, gültige Reisepapiere und Passierscheine. Menschen machten sich ohne Einverständnis der Eltern oder des Hausherrn einfach zum Schrein von Ise auf, dem höchsten Heiligtum Japans, indem sie sich durchreisenden Pilgern anschlossen. Dies war sehr weit verbreitet und wurde gewöhnlich nicht bestraft (S. 55, 136). In einigen Jahren kam es zu regelrechten Massenwallfahrten, bei denen Millionen von Menschen nach Ise pilgerten (S. 44).

So wurde das Reisen zu einem Phänomen, durchaus vergleichbar mit dem heutigen Massentourismus. Ablesbar ist dies an der Vielzahl von praktischen Reiseführern und Wegekarten, an Romanen und Reiseberichten, an Darstellungen auf Farbholzschnitten und nicht zuletzt an amtlichen Dokumenten (S. 9, 45, 46, 49).

Reisetagebücher waren ein seit Jahrhunderten anerkanntes literarisches Genre, dem viel Interesse entgegengebracht wurde. Während der Edo-Zeit wurden die Beschreibungen zunehmend realistisch, die Reisenden schrieben Erlebnisberichte, die sie um praktische Hinweise und Informationen über die durchreisten Gebiete ergänzten (S. 73).

Die reisenden Frauen

Renate Noda bezieht sich in ihrer Darstellung vor allem auf die Ergebnisse von Shiba Keiko (1990), die Reiseberichte von Frauen aus der Edo-Zeit hinsichtlich Motivation, Alter und sozialer Zugehörigkeit der Frauen analysierte (S. 77-79).

Dabei wird deutlich, dass sehr viele Frauen, die Reiseberichte schrieben, Kaufmanns-, Gelehrten- oder Großbauernfamilien entstammten, sie waren mit ausreichend finanziellen Mitteln und einer guten Ausbildung ausgestattet, wobei Töchter von Gelehrten die beste Chance auf eine gute Bildung hatten (S. 134).

Die Mehrzahl von ihnen war zwischen 40 und 50 Jahre alt, in einem Lebensabschnitt, in dem sie den Haushaltsvorstand an die jüngere Generation weitergegeben hatten. Sie begaben sich auf Pilger- oder Bildungsreisen, Bade- und Gesundheitsreisen oder besuchten das Elternhaus. Andere reisten aus politischen oder beruflichen Gründen.

Der Kern von Renate Nodas Arbeit liegt in der Vorstellung von neun Frauen, die aus verschiedenen Gründen auf Japans Überlandstraßen unterwegs waren und Bericht davon ablegten. Zu ihnen zählen berühmte Persönlichkeiten genauso wie Bäuerinnen, von denen nur die Informationen bekannt sind, die direkt oder indirekt aus den erhalten gebliebenen Reisebericht entnommen werden können.

Nachkoloriertes Schwarzweiß-Foto einer Frau, die kniend mit einem Pinsel einen Brief schreibt. Neben ihr die Schreibutensilien und eine Lampe.

11. Briefeschreiberin

Beruflich reisende Frauen waren Händlerinnen und Hausiererinnen, Schamaninnen, Nonnen und Unterhaltungskünstlerinnen (S. 63). Die Frauen, die Noda vorstellt, waren anerkannte Dichterinnen, die Vorlesungen hielten und unterrichteten (S. 104).

Überraschend mag sein, dass Frauen aus politischen Gründen unterwegs waren. Doch gerade am Ende der Edo-Zeit waren offensichtlich einige Frauen als Unterstützerinnen der Fraktion unterwegs, die die Macht vom Shōgun zurück auf den Tennō übertragen wissen wollten. Sie fungierten zum Beispiel als Nachrichtenübermittlerinnen. Renate Noda stellt spannende Lebensläufe von Frauen vor, die inmitten des Umbruchs lebten, wie zum Beispiel den von Takemura Tase (1811-1894), einer Anhängerin der national ausgerichteten, Tennō-treuen Hirata-Bewegung (S. 107-122).

In den ausgewählten Beispielen rekonstruiert Noda anhand der Berichte den Reiseverlauf der Frauen und gibt Gründe für die Wahl ihrer Reiserouten. Sie schildert besondere Vorkommnisse und Zwischenfälle auf der Reise, kraftzehrende Anstrengungen, lebensbedrohliche Situationen und besonders bewegende Momente der Freude.

Frauen, die von Renate Noda vorgestellt werden:

Reise aus beruflichen Gründen: Inoue Tsūjo, Suzuki Takejo

Bildungsreisen: Kikusha-ni, Hara Saihin

Politisch motivierte Reisen: Takemura Tase, Kurosawa Toki

Pilger- und Vergnügungsreisen: Konno Oito, Kuwahara Hisako, Oda Ieko

Dies verschafft einen Einblick in die Charaktere der Frauen, ihre Beobachtungen zu Land und Leuten, ihre Kontakte zu anderen Reisegefährten, ihre überraschend weitreichenden Netzwerke an Freunden, Bekannten und Schülern, die sie zum Teil über Jahrzehnte aufrechterhielten.

Eine so genannte „Ausnahmefrau“ war Kikushi-na (1753-1826). Sie erhielt eine außergewöhnlich gute Bildung, heiratete, wurde schon mit 24 Jahren Witwe, kehrte zunächst in ihr Elternhaus zurück, begab sich aber mit 27 Jahren auf ihre erste Bildungsreise.

Das Unterwegssein sollte ihr ganzes weiteres Leben bestimmen. Zum Beispiel reiste sie ganz allein auf den Spuren ihres Vorbilds, des Dichters Bashō (1644-1694), in den Norden. Insgesamt soll sie um die 27.000 Kilometer, vor allem zu Fuß, zurückgelegt haben. Das Buch beinhaltet einige Gedichte und Tuschzeichnungen der außergewöhnlichen Frau (S. 93-102).

Nachkoloriertes Schwarzweiß-Foto einer Frau, die auf dem Rücken eines Pferdes sitzt. Ein Mann führt das Pferd.

12. Reisende auf einem Pferd.

Das Ausgabenbuch von Konno Oito lässt äußerst wertvolle Rückschlüsse auf den Alltag beim Reisen zu. Es listet die notwendigen finanziellen Mittel auf: für Reisepapiere, die Ausrüstung (vor allem waraji, Strohsandalen), Kerzen und Geldspenden bei Tempeln und Schreinen, aber auch für Friseur, Massage, Medikamente und vor allem Mitbringsel wie regionale Spezialitäten und Handwerksprodukte, Amulette und Glücksbringer (S. 137-145, Übersetzung: S. 187-202).

Zwei Strohsandalen, in einem steckt ein blaubestrumpfter Fuß.

13. Zum Reisen auf den Überlandstraßen waren Strohsandalen (waraji) unabdingbar.

Hindernisse

Auf den Überlandstraßen gab es in regelmäßigen Abständen Grenzstationen (sekisho) zur Überwachung der reisenden Bevölkerung. Generell waren sie für Frauen wohl schwer zu passieren, und einige von ihnen waren besonders gefürchtet: Zum einen war es für Frauen beschwerlicher, überhaupt Passierscheine zu bekommen, zum anderen waren Frauen vor Ort strengeren Kontrollen ausgesetzt (S. 64).

Doch es gab Mittel und Wege: Mit Hilfe von einheimischen Führern ging es durch das Gebüsch (yabu iri), über schwer passierbare Bergpässe, weniger streng kontrollierte Seitenstraßen („Frauenstraßen“, onna no michi) oder größere Umgehungsstraßen, den so genannten „Prinzessinnenstraßen“ (hime kaidō, S. 66). Viele Einheimische, die nahe von Kontrollposten lebten, scheinen durch solche Führungen ihren Lebensunterhalt verdient zu haben (S. 150).

Schwarzweiß-Foto eines Weges, der von Holzhütten und Bäumen gesäumt wird.

14. Tōkaidō bei Odawara

Ein anderes Hindernis stellten die Zutrittsverbote für Frauen an heiligen Stätten dar (S. 66-71). Frauen machten jedoch einen großen Teil der Reisenden aus, und ihre Geldspenden für die Tempel und Schreine waren wohl viel zu bedeutend, als dass Zutrittsverbote aufrechterhalten werden konnten.

Am Ende der Edo-Zeit waren wohl viele religiöse Verbote weitgehend aufgeweicht und religiöse Tabus gegenüber Frauen ausgehöhlt: Selbst Berge, zu denen ihnen der Zutritt eigentlich verwehrt war, konnten sie mit der Hilfe spezieller Führer für entsprechendes Geld bis zum Gipfel besteigen.

Das Buch ist lesenswert, denn …

… es ist ein Baustein, der zu einem genaueren Bild von Frauen in der Edo-Zeit beiträgt.

Abhandlungen über die Rolle von Frauen in der Edo-Zeit müssen genau nach Herkunft, Stand, Ausbildung und Lebensumständen unterscheiden (Ueno Chizuko: „kultureller Pluralismus“, S. 19). Renate Noda lenkt ihren Blick auf Frauen verschiedenen Standes und unterschiedlichen Alters, stellt die in den Reiseberichten geschilderten subjektiven Erfahrungen einzelner in den damaligen gesellschaftlichen Kontext und rekonstruiert in Ausschnitten ihre Lebenswelten (S. 10, 15).

Im Vergleich mit den Frauen, die im hier vorliegenden Buch vorgestellt werden, waren beispielsweise die Reisebedingungen von Tsuneno, die während der letzten Jahrzehnte der Edo-Zeit lebte und ebenfalls viel auf den Überlandstraßen Japans unterwegs war, der es allerdings immer an Geld mangelte, weitaus widriger (siehe: „Der Atem beraubende Lebensweg von Tsuneno“).

Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen waren nicht selten vorhanden, was an einer Vielzahl an Lehrbüchern zu rekonstruieren ist (siehe: „Frauen, die lesen und schreiben können“). Großbauern, Dorfvorsteher und ländliche Unternehmer (z.B. Sake-Brauer oder Seidenraupenzüchter) investierten in die Bildung ihrer Töchter. Viele Bauernmädchen wurden außerdem in einen Haushalt in der Stadt geschickt, um dort zu arbeiten und eine bessere Bildung zu erhalten, und es gab Frauen mit speziellen Kenntnissen, die Auszeichnungen erhielten (S. 29, 31, 33).

Dass gerade Frauen höherer Gesellschaftsschichten trotzdem gesellschaftlich sehr benachteiligt lebten, geht aus den Beobachtungen von Tsuda Umeko hervor (siehe: „Eine Hochschule für junge Frauen“).

Renate Noda ordnet die Geschehnisse der Edo-Zeit an einigen Stellen in die größere zeitliche Entwicklung ein. Besonders interessant sind die Hinweise auf die Verschlechterung des sozialen Standes vieler Frauen durch die neuen Regelungen und Gesetze der nachfolgenden Meiji-Regierung (1868-1912), verbunden mit dem neuen Ideal der „guten Ehefrau und weisen Mutter“ (ryōsai kenbo, S. 27, 34).

… es bezieht eine Vielzahl zeitgenössischer Zitate ein.

Unter den vielen Zitaten sind auch Aussagen von Japanreisenden, die in den ersten Jahrzehnten nach der Öffnung des Landes unterwegs waren und ihre Eindrücke niederschrieben. Ihre Kommentare laden zu Vergleichen mit der damaligen Reisetätigkeit in Europa ein, die Renate Noda an mehreren Stellen im Buch vornimmt.

Beeindruckt vom Verkehr auf den Überlandstraßen zeigten sich Engelbert Kaempfer (S. 36, siehe auch: „Die Heimat von Engelbert Kaempfer“) und Philipp Franz von Siebold (S. 40, 45).

Gedrucktes Titelblatt des Buches.

15. „Unbeaten Tracks in Japan“ von Isabella Bird, veröffentlicht 1880.

Die Britin Isabella Bird (1831-1904), die nach ihren Aussagen vollkommen problemlos allein durch den Norden Japans reiste (siehe: „13 x Japan aus 13 verschiedenen Blickwinkeln“), beschreibt die Liebe der Väter zu ihren Kindern (S. 27).

Hellgrüner Umschlag des Buches mit Titel und Blumenmotiv.

16. „Japanese Girls and Women“ von Alice Mabel Bacon, veröffentlicht 1891.

Die US-Amerikanerin Alice Mabel Bacon (1858-1918), die an der Schule von Tsuda Umeko unterrichtete (siehe: „Eine Hochschule für junge Frauen“), schrieb die Beobachtungen nieder, dass unter den japanischen Bäuerinnen die Frauen mit der größten Freiheit und Unabhängigkeit seien (S. 20) und dass reichere Bauernfamilien ihr Ansehen durch eine gute Ausbildung ihrer Töchter steigerten (S. 79).

… es verdeutlicht die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis.

Das Buch zeigt anhand von Beispielen den großen Unterschied zwischen den von Männern verfassten theoretischen Traktaten und der gelebten gesellschaftlichen Realität (S. 16-18). Die Ideen des Konfuzianismus hatten je nach sozialem Stand unterschiedlich starken Einfluss auf das Alltagsleben: Je höher die soziale Schicht, umso restriktiver waren die Regeln für die Frauen.

In Bauernfamilien hatten Frauen viele Freiheiten, die in bürgerlichen Familien Europas nicht denkbar gewesen wären. Zum Beispiel waren Scheidungen und Wiederverheiratungen nicht selten und auch nicht unbedingt mit einem sozialen Stigma verbunden (S. 19, 21). Die in die Ehe mitgebrachte Mitgift blieb im Besitz der Frau. Erst in der Meiji-Zeit änderte sich dies mit Gesetzen und Vorschriften zu Ungunsten der Frau, auch zum Besitzstand nach der Heirat (S. 22-23).

Schwarzweiß-Foto eines jungen Paares in ländlicher Kleidung. Sie mit einer Teekanne und einem Tragekorb, er mit einem Strohhut und einer Sense.

17. Beispiel für Gleichberechtigung: Bäuerin und Bauer, vor 1900.

… es zeigt das Funktionieren anderer Modelle als das der Kernfamilie.

Das Buch macht außerdem deutlich: Starke Frauen lebten nicht isoliert von anderen, sondern in einem gemeinsamen Umfeld in Solidarität miteinander. Ihre Gruppen und Netzwerke dienten der gegenseitigen Unterstützung bei der Arbeit, in der Kindererziehung und in der Versorgung der älteren Generation. Zudem waren die Grenzen der Rolle von Frauen und Männern fließender, oft übernahmen Männer einen Teil der Kindererziehung (S. 19, 21, 26).

– Ein Modell, dass sich viele Frauen in der heutigen japanischen Gesellschaft wünschen würden.

Susanne Phillipps

20.03.2024 (Ausgabe 14)

 

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Bildnachweis

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Buch-Arrangement Reisende Frauen: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk

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14: Von Autor/-in unbekannt – Leiden University Library, KITLV, image 83051 Collection page Southeast Asian & Caribbean Images (KITLV), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48349011

15: Von Google Books – Title page of book "Unbeaten Tracks in Japan" by Isabella Bird (1880), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89190246

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