Die Kriegerklasse als Elite – die Samurai in Kriegs- und Friedenszeiten
Wolfgang Schwentker (2019): Die Samurai. München: C.H.Beck; Taschenbuch aus der Reihe C.H.Beck Wissen, 136 Seiten (4., durchgesehene Auflage, Originalauflage von 2003).
Die Samurai sind weltweit bekannt als Kriegerklasse Japans mit einem besonderen Ehrenkodex und mit Idealen, die auch nach der Auflösung ihres Standes noch gelehrt wurden und werden.
Wer aber war ein Samurai?
Es gab in Japan die unterschiedlichsten Krieger, angefangen von Herrschern mit der höchsten politischen Macht im Land über die Regierenden in den Provinzen bis hin zu den herrenlosen und damit verarmten Kriegern. Zu keiner Zeit waren die Samurai eine einheitliche soziale Schicht mit genau umrissenen militärischen oder verwaltungstechnischen Aufgaben.
Wolfgang Schwentker unternimmt eine Reise durch mehrere Jahrhunderte japanischer Geschichte und zeigt auf, welche gesellschaftliche und politische Funktionen den Kriegern im Laufe der Zeiten zukamen, welche Aufgaben sie hatten, welche Privilegien sie genossen, welchen Schwierigkeiten sie ausgesetzt waren.
Der Autor
Wolfgang Schwentker ist Historiker. Er lehrte am Institut für vergleichende Zivilisationsforschung der Universität Ōsaka Kultur- und Ideengeschichte. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Geschichte Japans und die kulturellen Kontakte zwischen Japan und Europa.
Über das Buch
Das Buch ist ein Band aus der Reihe „C.H.Beck Wissen“. Die Reihe wurde 1995 gegründet, im Frühjahr und Herbst werden derzeit je 18 neue Bände im Rahmen der Reihe herausgegeben. Die über 500 Bände, die bisher erschienen sind, behandeln die unterschiedlichsten Themengebiete, vorrangig zur Geschichte (Wikipedia: Verlag C.H.Beck).
Ihre äußere Gestaltung ist einheitlich: Jeder Umschlag ist einfarbig gehalten, oben links steht über dem Eck: „C.H.Beck Wissen“, im Zentrum ist eine kleine Abbildung platziert, darüber der Name der Autorin/des Autors und ein Schlagwort als Titel. In dieser sachlichen Aufmachung hat die Reihe einen hohen Wiedererkennungswert: In sehr vielen Museumsbuchhandlungen liegt ein Stapel eines Bandes zu einem mit der Ausstellung mehr oder weniger eng verbundenen Thema aus. Besucherinnen und Besucher greifen zu dem Taschenbuch mit dem guten Gefühl, hier die wichtigsten Informationen versammelt zu wissen: Die schmalen Büchlein von etwa 120 bis130 Seiten geben einen umfassenden, konzentrierten Überblick über das Thema.
So auch in dem Band über die Samurai. Das Buch besteht im Kern aus neun Kapiteln, die meist 10 bis 15, in einer Ausnahme 20 Seiten lang sind:
- Lehren einer Legende: Die Rache der 47 Samurai
- Die Anfänge der Samurai
- Die Samurai an der Macht
- Kriegführung als Lebensordnung
- Das Alltags- und Privatleben der Samurai
- Der Kriegerstand als Verwaltungselite. Die Samurai in der Edo-Zeit (1600/03-1867)
- Das Shōgunat im Niedergang
- Die Samurai nach der Meiji-Restauration von 1868
- Das Erbe der Samurai
Der Anhang umfasst Literaturhinweise, ein Glossar, ein Abbildungsnachweis und ein kombiniertes Personen- und Ortsregister.
Wolfgang Schwentker folgt mit der Darstellung dem Verlauf der geschichtlichen Entwicklung von der Entstehung der Kriegerklasse im 5. Jahrhundert über ihren Aufstieg und späteren Niedergang während der Meiji-Zeit (Ende des 19. Jahrhunderts). Für jede Epoche skizziert er die Grundstrukturen der politischen Ordnung und zeigt, welche Rolle der Kriegerstand in ihr spielte.
In diese Chronologie sind Informationen wie beispielsweise zur Ausrüstung oder zum Familienleben der Samurai eingeflochten. Den erklärenden Text stützen drei Karten (Japan um 500 n.Chr., S. 20; Feldzüge des Minamoto Yoshitune, S. 39; Japan in der Edo-Zeit, S. 86).
Zur Begriffsgeschichte
Als Sammelbezeichnung für Krieger wird in Japan selbst eher der Begriff bushi („Samurai“, „Krieger“, „Ritter“, „Soldat“) benutzt, erst in der späten Edo-Zeit begann sich der Begriff „Samurai“ als Sammelbezeichnung für die Krieger durchzusetzen.
Ursprünglich hatte der Begriff samurau (bzw. saburau) keine ausschließlich militärische Bedeutung, sonderte stand für „dienen“ oder „aufwarten“, ein samurai war zunächst also einmal ein „Diener“. Er konnte Soldat, Ordnungshüter oder Torwächter sein, genauso aber auch ein Mann in der Verwaltung oder ein Assistent bei höfischen Ritualen. Während der Kamakura-Zeit bezeichnete der Begriff dann einen bestimmten Rang: den Begleiter eines berittenen Kriegers (S. 12-13).
Die ersten Krieger
01. Eine Grabfigur aus nicht glasiertem Ton (haniwa) in der Form eines Kriegers (siehe: Zurück zu den Anfängen). Zur Herausbildung des japanischen Kriegerstandes gibt es verschiedene Hypothesen, die Einflüsse vom Kontinent für die frühe japanische Militärgeschichte sind aber sicher bedeutend (S. 22).
In der japanischen Frühgeschichte hatten die Krieger eine agrarwirtschaftliche Basis: Sie waren mit Pfeil und Bogen bewaffnete Reiterkrieger, die als lokale Grundherren wirtschafteten (S. 20).
Unter den ersten Bewaffneten waren laut Schwentker Krieger, die in Korea und im Norden Japans kämpften, sowie wehrhafte Bergbauern (kume) in der Nähe des heutigen Ōsaka, die Gemüse und Getreide anbauten, auf Jagd gingen und später auch kurze kriegerische Raubzüge unternahmen. Die militärischen Verbände, die sich in den Provinzen bildeten, übten Kriegs-, Polizei- und Henkersdienste aus.
02. Helm aus Eisen und vergoldetem Kupfer, 5. Jahrhundert, Provinz Ise.
Die Rekrutierung der Krieger: Allgemeine Wehrpflicht versus stehendes Heer
Im 6. Jahrhundert kam es zu Machtverschiebungen in Japan: Der immer stärker werdende Zentralstaat setzte eigene Vertreter als neue Instanz über die Regierenden in den Provinzen ein. Zudem wurde der Militärdienst neu geordnet: Auf der Basis von frisch angelegten Grundkatastern wurde regelmäßig ein Drittel aller Männer einer Provinz eingezogen, um Militärdienst zu leisten. Der frühe japanische Zentralstaat verfügte also über kein stehendes Heer (S. 23, 25). Allerdings ließen es die Bauern, die nur ungern ihre Höfe verließen, in bewaffneten Konflikten an Disziplin und Kampfgeist fehlen.
Mit der Anlage einer festen Hauptstadt am Ende des 8. Jahrhunderts zeigte sich die wachsende Stärke des politischen Zentrums. Mit neuen Gesetzen wurde die Macht des Zentralstaates unter dem Tennō endgültig gefestigt und die Reste lokaler Autonomie beseitigt. Die allgemeine Wehrpflicht wurde abgeschafft, dafür kleinere, berittene Eliteeinheiten zum Schutz der Hauptstadt und der Provinzen (Waffenlager, Poststationen und Verwaltungsgebäude) aufgestellt (S. 27-29).
Ab Mitte des 10. Jahrhunderts war der Waffendienst vor allem zum Schutz der Hauptstadt nicht mehr an Personen gebunden, sondern in der Hand bestimmter Familien, vor allem der Familien Minamoto und der Taira. Die Militäreinheiten in der Hauptstadt genossen besonderes Ansehen und bildeten eine militärische Elite.
Professionalisierung: Die Entstehung des Samurai-Standes
Entscheidend für die Entstehung des Samurai-Standes war die Entwicklung in den Provinzen: Indem berittene und bewaffnete Krieger Neuland erschlossen, wurden sie zu Grundherren, denn sie durften ihr Neuland steuerfrei bewirtschaften lassen. Zu den Rodungsherren zählten Hofadlige, Angehörige religiöser Institutionen, Führer mächtiger Familien in den Provinzen und reiche, in Dörfern residierende Großbauern. Aus ihnen gingen die Samurai hervor.
Spätestens seit sie sich in der Mitte des 10. Jahrhunderts in Verbänden (bushidan) zusammenschlossen und untereinander eine Hierarchie entwickelten, wurden sie schrittweise eine eigene gesellschaftliche Schicht. Kein anderer Stand war so gut wie sie dazu in der Lage, ihre neuen Ländereien dauerhaft nach innen und außen zu schützen.
Den Kriegerverbänden schlossen sich Männer unterschiedlichster Herkunft an: angeworbene Söldner, umherwandernde Banditen, entlaufene Bauern, Verwandte lokaler Kriegsherren. Die Gruppierungen waren dazu bereit, sich untereinander zu verbünden und damit Truppenstärken von einigen Tausend Mann zu bilden. Der Hof griff in Auseinandersetzungen in den Provinzen immer wieder ein, indem er im Bedarfsfall auf diese schlagfertigen Truppen zurückgriff (S. 33-35).
Die Samurai an der Macht
Die Heian-Zeit (794-1185) war geprägt vom Zerfall der Zentralmacht. Die andauernden Auseinandersetzungen mündeten in den Genpei-Krieg (1180-1185) zwischen den Kriegerfamilien Taira und Minamoto um die Vorherrschaft über Japan.
03.-04. „Die Schlacht von Ichi no tani“ und „Die Schlacht von Yashima“, Kanō-Schule, Mitte des 17. Jahrhunderts.
Die Wandschirme zeigen zwei Schlachten des Genpei-Krieges, wie sie im „Heike monogatari“ („Erzählung der Familie Heike“) geschildert werden. Zu sehen sind kleinere Episoden, die durch goldene Wolken, Landschaftselemente und architektonische Räume voneinander getrennt und eingerahmt werden.
Die beiden Schlachten endeten in Niederlagen für die Taira.
Nachdem die Minamoto endgültig gesiegt hatten, gab Minamoto Yoritomo die Macht nicht an das Kaiserhaus zurück, sondern ließ sie auf sich selbst übertragen. In weiter Distanz zum alten Machtzentrum Kyōto baute er in Kamakura sein eigenes Machtzentrum auf, von dem aus er seinen Herrschaftsbereich sicherte. Die Vergabe von Ämtern und Lehen als Lohn gingen nun nicht mehr vom Tennō, sondern von ihm aus (S. 38). Mit der Kamakura-Zeit (1185-1333) begann damit die Herrschaft des Kriegerstandes über Japan.
05. Rüstung aus dem frühen 14. Jahrhundert. Der Stil wandelte sich im Detail, hat sich aber über 700 Jahren in den Grundzügen erhalten. Für die berittenen Samurai mussten die Rüstungen elastisch sein, sie bestanden aus zahlreichen Leder- und Metallteilen, die durch Riemen miteinander verbunden waren.
06. Große Anziehungskraft auf die Samurai hatte der Zen-Buddhismus. Er ist skeptisch gegenüber Texten, äußert sich eher in der Tat, schätzt alltägliche Lebenspraxis und Kunst (S. 44-46). Das enge Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler gleicht überdies dem Verhältnis zwischen Herrn und Vasall.
– Die Tuschzeichnung von Kenkō Shōkei (tätig zwischen 1478 und 1506) zeigt ein Treffen unter Zen-Meistern des 9. Jahrhunderts: den chinesischen Priester Niaoke Daolin und den chinesischen Dichter Bai Juyi.
Die großen Künste, die sich mit dem Zen-Buddhismus entwickelten, werden in dem Buch nur kurz erwähnt.
Die Krieger erwirtschafteten Einkommen aus Grundbesitz, sie waren beritten und besaßen Waffen. Im Falle eines Konflikts zogen sie für ihren Herrn in die Schlacht. Auch wenn sich der Samurai-Stand während des Kamakura-Shōgunats als Klasse herausbildete, waren die Grenzen zu Bauern und Handwerkern noch fließend und durchlässig, denn den Mitgliedern des Bauernstandes war es noch nicht verboten, Waffen zu tragen (S. 40-41).
07. Zweimal mussten die japanischen Krieger Invasionsversuche der Mongolen unter Kublai Khan abwehren: 1274 und 1281. Stürme vernichteten einen Großteil der mongolischen Flotte und sollen so Japan vor der Invasion gerettet haben. Aus diesem Grund nannte man sie kamikaze („göttlicher Wind“, S. 47).
Fakt ist, dass die beiden Invasionsversuche das Shōgunat destabilisierten: Da nach den immensen Anstrengungen der verteidigenden Samurai das Shōgunat kein neues Land als angemessene Belohnung ausloben konnte, machte sich Unzufriedenheit breit.
– Tuschzeichnung von Kikuchi Yōsai, 1847.
Dauerhafter Krieg
08.-10. Rüstung und Helme aus der Muromachi-Zeit.
In der Muromachi-Zeit (1333-1573) büßte der Zentralstaat seine Macht auf dem Land weiter ein. Die Militärführer in den Provinzen erlangten eine bis dahin nicht erreichte politische Autorität. Die Kaiserfamilie spaltete sich in zwei Häuser und war zeitweise so verarmt, dass sich die neuen Tennō keine Feiern zu ihrer Inthronisation leisten konnten. Dies alles führte zu einem Jahrzehnte lang anhalten Krieg um die Vorherrschaft im Land. Bündnisse oder Treueschwüre waren von kurzer Dauer, es gab viele Fälle, in denen die Unteren gegen die Oberen revoltierten, und das einzige, was zählte, war militärische Schlagkraft (S. 50-52).
11.-16 Die militärische Elite der Muromachi-Zeit waren die Daimyō (wörtl. „Großer Name“), autokratische Territorialherren, die über ihre Provinzen herrschten.
– Rüstungen verschiedener Daimyō-Familien: 11. Arima; 12. Doi; 13. Matsudaira Echigo; 14. Ogasawara; 15. Oseki; 16. Takasu
Zu einer Rüstung gehörten Helm, Maske, Leibpanzer, Schenkelstücke, Fechthandschuhe und Beinschützer (S. 56).
Samurai in der Epoche des Friedens: Edo-Zeit (1600-1868)
17. Die drei Reichseiniger: Ende des 16. Jahrhunderts gelang es Oda Nobunaga (1534-1582), Toyotomi Hideyoshi (1737-1598) und Tokugawa Ieyasu (1543-1616) schließlich, das Land zu einen.
Neben der militärischen Übermacht waren weitere Faktoren für die Schaffung von Frieden entscheidend: Landvermessungen, die als Basis für eine Neuverteilung des Bodens dienten, das Verbot für Bauern, Waffen zu tragen, und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. So wurde der Bauernstand streng vom Kriegerstand getrennt (S. 60-61).
Mit der erfolgreichen Einigung des Reiches neigten sich die Jahrhunderte, die von ständig aufflackernden Kriegen und Auseinandersetzungen geprägt waren, dem Ende zu. Sie hatten die Samurai zur gesellschaftlichen Elite gemacht.
Die Tokugawa vermochten es, ihre politische Vormachtstellung dauerhaft zu etablieren. In einem ausgeklügelten System kontrollierten sie die Samurai-Familien des Landes, die nun ihren Lebensunterhalt nicht mehr aus eigenen Ländereien bestritten, sondern die Flächen als Lehen bewirtschafteten, Steuern abführten und im Gegenzug je nach ihrem Stand Reiszuteilungen erhielten.
Sie führten keinen Krieg mehr, ihre neuen Aufgaben lagen in der Politik und in der Verwaltung. Alles in allem machten die Samurai einen (sehr hohen) Anteil von 5-6% der Bevölkerung aus (S. 89).
Dabei genossen die Samurai einige Privilegien: Als Adlige durften nur sie einen Familiennamen führen, ihnen war erlaubt, zwei Schwerter, bestimmte Kleidungsstücke und eine bestimmte Haartracht zu tragen.
18. „Das Schwert ist die Seele des Samurai.“ – Das Schwert war nicht nur Waffe, sondern Statussymbol, wer sein Schwert verlor, galt als entehrt.
Die Schwertschmiede genossen ein außerordentliches Ansehen, Schwerter stellten handwerkliche Meisterleistungen dar, waren sagenumwoben. (S. 53-55).
– Der Schmied bei der Arbeit wird von einem Fuchsgeist unterstützt. Holzschnitt von Ogata Gekkō, 1873
19. Vorbereitungen für eine Selbsttötung (seppuku). „Diese Todesform war mit einem sozialen Geltungsanspruch auf Ruhm und Ehre verbunden und insofern ein öffentliches Ereignis, das der Betroffene selbst suchte, und zwar entweder als Individuum oder als ausgewähltes Mitglied einer Gruppe, die ein bestimmtes, elitäres Bewusstsein auszeichnete.“ (S. 78). In der Edo-Zeit gab es zahlreiche Vorschriften zum Ablauf und zur Etikette.
– Holzstich mit dem Titel „Hara-kiri: Die Verurteilung eines Adligen zum Selbstmord“, aus dem Buch „Le Tour du Monde“ von 1867. Kupferstich von Félix Jean Gauchard (1825-1872). Die Zeichnung stammt von L. Crépon nach einem japanischen Gemälde eines unbekannten Künstlers.
Auch in der Edo-Zeit war der Kriegerstand keine einheitliche Schicht. Es gab eine große Kluft von sehr reichen bis zu vollkommen mittellosen Kriegern. Und während der folgenden Jahrhunderte sollten die Samurai weiter verarmen: Durch das System der wechselnden Residenzen in der Hauptstadt Edo und in der Provinz hatten sie hohe Ausgaben. Sie waren keine Großgrundbesitzer mehr, mussten Geldentwertungen und Verminderungen ihrer Reiszuteilungen hinnehmen. Auf der anderen Seite durften sie nur einige wenige Berufe (z.B. als Arzt oder Lehrer) ausüben und lebten oft über ihre Verhältnisse.
20. Die Gräber mit den sterblichen Überresten der sagenumwobenen 47 Samurai am Tempel Sengakuji.
Ihre Tat war so außergewöhnlich, dass sie schon zu Lebzeiten zu Helden wurden: Sie rächten den Tod ihres Herrn Asano Naganori, um damit seine Ehre wieder herzustellen. Da sie gegen herrschendes Recht verstießen, wurden sie nach der Tat zum Tode verurteilt und begingen seppuku, rituellen Selbstmord. Damit verkörperten sie Werte wie Opferbereitschaft, Loyalität und Pflichterfüllung.
Die Geschichte kennt in Japan jedes Kind (siehe: Rache nach Masterplan).
Am Ende der Edo-Zeit wurden die Samurai vor allem als marodierender, deklassierter Stand wahrgenommen, als arrogante Beamte des Shōgun, die oft betrunken die Schärfe ihrer Schwerter an Bettlern und Hunden ausprobierten (nach dem englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock, S. 14).
Die Philosophie des Bushidō („Weg des Kriegers“) wurde im 17. Jahrhundert als Gegenmodell zur sozialen Wirklichkeit entworfen (S. 92-95). Die mit dem Bushidō verbundenen Ideen sind keine Beschreibung des ehemaligen Kriegerstandes, sondern gedacht als Versuch einer Legitimation des unproduktivsten Standes, „eine Art Rechtfertigungslehre für die Existenz von Kriegern in einer nach innen wie nach außen gleichermaßen befriedeten Gesellschaft, und sie zeigten den Samurai als sozialen Erzieher und als Garanten der öffentlichen Ordnung.“ (S. 92).
Abschaffung des Samurai-Standes in der frühen Meiji-Zeit (ab 1868)
Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich Japan in einer inneren wie äußeren Krise, die Regierung war in Bedrängnis. Es zeigte sich, dass das nach außen hin abgeschottete Land nicht mehr verteidigungsfähig war. Das Shōgunat war dazu gezwungen, mit ausländischen Mächten Handelsverträge abzuschließen. Diese „Ungleichen Verträge“ wurden als nationale Schande empfunden.
Samurai verschiedenster Couleur, zwischen „moderaten Pragmatikern und romantischen Royalisten“ (S. 103), alle aber national gesinnt, agierten politisch in die eine oder andere Richtung, zum Teil mit Attentaten. 1868 erwirkten Samurai, die vor allem von niederem Stand waren und aus den Provinzen stammten, dass der Shōgun abgesetzt und die kaiserliche Macht wieder hergestellt wurde (Meiji-Restauration).
Für die Angehörigen des Samurai-Standes bedeute die neue Politik große Veränderungen. Mit der Abschaffung der Reisstipendien verloren sie ihre materielle Lebensgrundlage, mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ihre Funktion, mit dem Verlust des Privilegs, bestimmte Kleidung, einen Zopfknoten im Haar und zwei Schwerter zu tragen, ihre Herrschaftssymbole. Den Widerstand von aufständischen Samurai-Truppen kämpfte das neu geschaffene kaiserliche Heer mit Hilfe moderner Waffen nieder. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Samurai-Stand in den 1870er Jahren abgeschafft. Zur Kompensation erhielten Samurai-Familien Zugeständnisse wirtschaftlicher Art: das Angebot zur Erschließung von Grund und Boden auf Hokkaidō, zum Umtausch von Vermögen in Bargeld, für günstige Kredite in ausgewählten Industriezweigen (S. 114).
21. Hausstand und Waffen verarmter Samurai stehen zum Verkauf, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.
22.-24. Männer in Samurai-Rüstungen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Fotomotiv bei den ersten ausländischen Gästen, die nach Japan kamen.
Empfehlenswert –
– wegen der Kunst, das Wichtigste auf den Punkt zu bringen
Wolfgang Schwentker gelingt es, auf etwa 130 Seiten nicht weniger als die Entstehung, den Aufstieg und den Niedergang der japanischen Kriegerklasse darzustellen. Dies umfasst einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren. Die Informationen werden komprimiert präsentiert, und trotzdem gibt es an einigen Stellen interessante Details.
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der politischen Geschichte: der Erklärung der Machtapparate, der Kräfteverschiebungen und der damit verbundenen Rolle des Kriegerstandes. Einzelpersönlichkeiten und ihre Geschichten, Anekdoten um besondere Begebenheiten finden kaum Platz. Dies passt zum Gesamtkonzept der Reihe, die sich in den Inhalten auf das Wesentliche konzentriert und in der Gestaltung nur einzelne kleine Abbildungen in Schwarzweiß vorsieht. Dass an einigen Stellen Beurteilungen einflossen („Die Hōjō regierten von da an den Nordosten Japans mit großer Umsicht und in weiser Bescheidenheit, …“, S. 43) macht den Text trotzdem persönlich.
25.-26. Samuraigeschichten und -helden wie der legendäre Schwertkämpfer Miyamoto Musashi erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit in der Populärkultur.
– Filmszene „Miyamoto Musashi“ von 1942 und Filmplakat von 1955.
– wegen der Referenzen auf den Stand der Forschung
Schwentker erklärt die Geschichte der Begriffe, die von zentraler Bedeutung sind, und führt aus, in welchem Sinne er Fachtermini benutzt (z.B. „Feudalismus“ nach Otto Hintze, S. 16). Er erläutert die Entstehung der mit dem Kriegerstand in Zusammenhang stehenden Konzepte und Ideen (vor allem zur Loyalität und Opferbereitschaft wie bushidō, seppuku, junshi [„Todesgefolgschaft“]) und erwähnt ihren Missbrauch als Ideologien zur Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs.
Die Darstellung macht deutlich, wie sich Forschungsmeinungen in der Vergangenheit änderten und welche Interpretationsmodelle gerade aktuell sind. Dabei präsentiert Schwentker in wichtigen Fragen Deutung und Gegendeutung (wie zur Gewichtung von Einflüssen, die dazu führten, dass sich die Samurai als eigener Stand etablierten, oder die Debatte um Träger, Motivationen und Leitlinien der Meiji-Restauration).
– wegen der Einbettung in die politische Gesellschaftsgeschichte
Um die Funktion der Samurai zu verschiedenen Epochen in Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur Japans zu erläutern, skizziert Schwentker in Kürze die einzelnen Regierungssysteme, wie beispielsweise Ämter, die das Kernelement der Shōgun-Herrschaft ausmachten (S. 42), oder die Regierung und Verwaltung der Edo-Zeit (S. 84).
Die Darstellung verdeutlicht, dass die essenzielle Frage, die über den Einsatz der Krieger entschied, die Macht und Durchsetzungskraft der Zentralgewalt war, und damit verbunden die Sicherheit, die im Land gewährleistet werden konnte. Mit den wechselnden Machtkonstellationen ergaben sich immer neue Aufgaben für die Samurai.
27. Geschenkgutschein aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Gesellschaftlich gesehen war die Abgrenzung zu anderen sozialen Schichten, mögliche Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Herren und Vasallen, aber auch Folgen verschieden praktizierter Erbrechte bedeutsam (Erbteilung versus Alleinerbenrecht, S. 47).
In einem längeren Abschnitt stellt Schwentker die Lage der Frauen und Konkubinen dar. Ihre Situation wird anhand von Testamenten, Verträgen und Besitzumschichtungen rekonstruiert, Themen sind unter anderem das Erb- und Besitzrecht, strategische Heiraten und mit der Hochzeit verbundene Riten sowie Scheidungen (S. 63-68).
Als erster Einstieg in die Geschichte Japans ist das Buch nicht geeignet, für die Lektüre ist Wissen über historische Eckdaten notwendig. Wenn aber Vorkenntnisse vorhanden sind und spezielles Wissen gefragt ist, dann findet man es in diesem Band sprachlich hervorragend formuliert, kompakt und übersichtlich präsentiert.
Susanne Phillipps
(21.03.2023, Ausgabe 10)
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15: By Sukkoria – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=76574076
16: By Sukkoria – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=88900197
17: Von Artist’s: Kanō Sōshū – Kanō Mitsunobu – Kanō Tan'yū – (File:Odanobunaga.jpg) and (https://it.wikipedia.org/wiki/File:Portrait_of_Toyotomi_Hideyoshi.jpg) and (File:Tokugawa_Ieyasu2_full.JPG), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89573412
18: Von Ogata Gekkō – (1) Gallery Dutta, Geneva, inventory 2/1. (2) Ukiyo-e.org [1], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=286349
19: Von Engraving by Félix Jean Gauchard. Crépon Drawing by L. Crépon, after a Japanese painting by an unknown artist. – Maison de la Gravure – https://www.maisondelagravure.com/gravures-japon/1867-harakiri-d-un-noble-japonais.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=120098846
20: By Stéfan Le Dû – Own work, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1717602
21: By T. Enami – Flickr, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12201616
22: Von Felice Beato – Britannica, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11350099
23: Von Nationaal Archief – Samoerai / SamuraiUploaded by Ms.Finesse, No restrictions, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9414942
24: Von 臼井秀三郎 – Collection of Nagasaki University Library., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3437958
25: Von Nikkatsu – http://www.nikkatsu.com, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=80922912
26: Von Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha) © 1955 – movie poster by Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha) (Downloaded from http://entertainment.webshots.com/photo/2786918980055228984iQZdih accessed 01-March-2008), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3645518
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