Zurück zu den Anfängen

Alfried Wieczorek, Werner Steinhaus und Forschungsinstitut für Kulturgüter Nara (Hg.) (2004). Zeit der Morgenröte. Japans Archäologie und Geschichte bis zu den ersten Kaisern. Katalogband. Mannheim: Reiss-Engelhorn-Museen, Wolfratshausen: Edition Minerva Hermann Farnung (367 Seiten).
und dazu das Handbuch zur Ausstellung mit gleichnamigem Titel, herausgegeben von Alfried Wieczorek, Werner Steinhaus und Sahara Makoto, im selben Verlag erschienen (527 Seiten).
Die beiden Bände sind bleibendes Zeugnis einer fantastischen Ausstellung, die 2004 bis 2005 zuerst in den Reiß-Engelhorn-Museen in Mannheim und dann im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen war. Fünf Jahre lang war die Ausstellung vorbereitet worden, ein organisatorischer Großaufwand, wie die lange Liste der Organisator/innen, beteiligten Wissenschaftler/innen, Leihgeber/innen und Sponsor/innen belegt.
Das Ergebnis war eine Ausstellung der Superlative. Sie präsentierte über 1.500 Objekte, auch Nationalschätze, aus über 100 Grabungsstätten, aus 55 Museen und Institutionen zur japanischen Alten Geschichte, darunter wichtige Kulturgüter Japans. Die Objekte zeichneten die gesamte Geschichte von den frühesten Besiedlungsspuren bis zu den Städten und Palästen der ersten Kaiser nach. Über 80 Autorinnen und Autoren wirkten bei den beiden Bänden mit. Zum ersten Mal überhaupt, noch nicht in Japan und schon gar nicht außerhalb Japans, war ein so umfassender Einblick in die Alte Geschichte der japanischen Inseln gegeben worden. Die Ausstellung rollte, gemeinsam mit den beiden Begleitbänden, den damaligen Forschungsstand auf. Initiator des Vorhabens war der japanische Archäologe Sahara Makoto, der sich der deutschen Sprache und Kultur sehr verbunden fühlte. Er erlebte die Fertigstellung des Projekts leider nicht mehr. Das Handbuch enthält ein unvollendetes Manuskript von ihm, das den Einfluss der europäischen Archäologie auf die japanische zum Thema hat.

01. Die Terrakotta Figuren (haniwa) aus der Kofun-Zeit wurden nicht in den Grabkammern, sondern außerhalb der riesigen Grabhügel platziert.

02. Dōtaku: Das reich verzierte Kunstwerk aus der Yayoi-Zeit in Form einer Glocke wurde aus Bronze gegossen.
Geologische Voraussetzungen
Beide Bände eröffnen mit Informationen zur Topografie Japans: mit Bildern und Artikeln zur Entstehung der Inselkette, ihrer heutigen Erscheinungsform und aktuellen Landeskunde. Karten verdeutlichen, wie sich die Oberfläche der japanischen Inseln über Hunderttausende von Jahren veränderte. Zu sehen ist der Umriss der Inseln nach massiven Schwankungen in der Höhe des Meeresspiegels: Überschwemmungen verkleinerten die Oberfläche der Inseln, zog sich das Meer zurück, wurden die Schwemmlandebenen zu fruchtbaren Küstengebieten. Während des niedrigsten Wasserstands lag der Meeresspiegel etwa 120 Meter niedriger als heute. Landbrücken zum Festland wurden frei, sie dienten Menschen und Tieren als Passagen.

03. Relief von Japan und dem umgebenden Meeresboden. Bei einem tieferen Meeresspiegel tauchen viele Stellen als Inseln aus dem Wasser auf.
Zur Orientierung: Die frühe Geschichte Japans in Stichwörtern
Vorzeit – erste gesicherte Besiedlungsspuren von Menschen: Knochen- und Steingeräte, Mikroklingen und Messer
etwa 45.000 Jahre bis etwa 10.000 Jahre vor heute
Jōmon-Zeit – Jäger- und Sammlerkultur
etwa 10.000 Jahre vor heute bis etwa 300 Jahre vor Chr.
Die Menschen verwendeten Steinpfeilspitzen. In Keramiken lagerten und konservierten sie Lebensmittel und konnten auf diese Weise sesshaft werden. Es entstanden Siedlungen mit großen Bestattungsarealen. Molluskenhaufen, die mehrere Hundert Meter im Durchmesser oder in der Länge haben können, wurden für rituelle Zeremonien genauso genutzt wie zur Ablagerung von Abfall. An ihnen können die jahreszeitlichen Lebens- und Essgewohnheiten der damaligen Menschen abgelesen werden. Die Zeit wird nach der damaligen Keramik benannt: „Jōmon“ bedeutet „Schnurmuster“. Schnüre wurden geflochten oder verdrillt, dann über einen Stab gewickelt. Die Muster auf den Keramiken entstanden durch das Abrollen eines solchen Stabes über der weichen Tonoberfläche.

04. Keramikgefäß der Jōmon-Zeit

05. Dogū: Terrakotta-Figur der Jōmon-Zeit
Yayoi-Zeit – Reisanbau und die Entstehung komplexer Gemeinschaften
etwa 300 vor Chr. bis etwa 300 n. Christus
In der Yayoi-Zeit begannen die Menschen, Reis auf Nassfeldern systematisch anzubauen. Zugleich kam Eisenwerkzeug in Gebrauch. Beide Neuerungen brachten Einwanderer vom Festland: von der koreanischen Halbinsel zuerst in den Norden Kyūshūs, von wo sich das Wissen dann auf weitere Bereiche der Inseln ausbreitete.

06. Rekonstruierte Gebäude der Yayoi-Zeit im historischen Park von Yoshinogari auf Kyūshū.

07. Grubenhäuser sind ebenerdige, zeltartige Behausungen; daneben gab es Speicher und Wohnungen auf Pfählen.

08. Gesamtansicht einer rekonstruierten Siedlung der Yayoi-Zeit in Yoshinogari
Da die Einwanderer Bronze und Eisen zur gleichen Zeit brachten, fehlt auf den japanischen Inseln eine ausgeprägte Bronze-Zeit, eine Besonderheit der japanischen Geschichte. Das viel härtere Eisen ersetzte den Stein als Rohstoff für Werkzeuge und Waffen, Bronze fand vor allem für rituelle Gerätschaften Verwendung.
Zugleich wurden die Zeiten kriegerischer: Die Siedlungen waren nun von Ringgräben und Palisadenzäunen umgeben, Skelette der damaligen Zeit weisen Verwundungen auf, und als Grabbeigaben erhielten verstorbene Oberhäupter nicht mehr magische Spiegel für die Durchführung von Ritualen, sondern Waffen und militärische Ausrüstung.

09. Keramikgefäß der Yayoi-Zeit
Kofun-Zeit – Aufbruch in eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft
etwa 300 bis 592 n. Chr.
Mit China als Vorbild forcierten einige japanische Großfamilien die Bildung einer Zentralgewalt auf den Inseln. Die Übernahme der chinesischen Schriftzeichen und des Buddhismus (538 n. Chr.) unterstützte die Formung dieses Staatswesens. Der Buddhismus übte nicht nur als Religion und Philosophie immensen Einfluss aus, sondern mit seiner Einführung kamen auch neue Bau-, Konstruktions- und Verarbeitungstechniken ins Land.

10. „Kofun“ lautet die Bezeichnung für die gigantischen Hügelgräber der Zeit. Einige sind mehrere Hundert Meter lang und von Wassergräben umgeben. Ihr Grundriss in Form eines Schlüssellochs entsteht durch eine eckige Vorkammer und eine runde Hauptkammer der Gruft. Rund um die aufgeschüttete Erde wurden auf Röhren tönerne Figuren (Haniwa) aufgestellt. Hier der Grabhügel für Tennō Nintoku in Sakai, Präfektur Ōsaka.
Asuka- und Nara-Zeit – Die Entstehung eines zentralen Staats
592 bis 784 n. Chr.
Die Herrscher wurden immer mächtiger und verlangten repräsentative Bauwerke. Im 6. Jahrhundert wurde es üblich, in dem südlich von Nara gelegenen Ort Asuka feste kaiserliche Residenzen zu errichten. Die Regierenden verstanden es, das japanische Machtgefüge umzuwandeln: Unabhängig voneinander regierende Großfamilien mussten einen Großteil ihrer Macht an die Zentralregierung abgeben.

11. Ein Modell des Palasts von Heijō-kyō, ausgestellt im Rathaus von Nara.
710 wurde die Hauptstadt nach Nara verlegt. Der inzwischen zentralisierte Staat wurde nun von Beamten geleitet, von einem Heer geschützt und hatte einen Kaiser an der Spitze. Ein System an Straf- und Verwaltungsgesetzen wurde erlassen, eine Geldwirtschaft etabliert, Steuern eingetrieben, eine schriftliche Verwaltung für die Hauptstadt und die Provinzen geschaffen. 712 wurden mit dem „Kojiki“ („Bericht über alte Begebenheiten“) und 720 mit dem „Nihon shoki“ („Annalen Japans“) die ersten von der Regierung beauftragten Geschichtswerke fertiggestellt.

12. Im Inneren des Palasts.

13. Rekonstruktion der Audienzhalle des Palasts Daigokuden von Heijō-kyō (Nara)

14. Große Buddha-Halle des Tempels Tōdaiji in Nara.
Buddhistische Tempel waren zu einem bedeutenden politischen und wirtschaftlichen Machtfaktor geworden. Tempel besaßen oft ausgedehnte Reisfelder und Werte in Form von Münzen, Stoffen, Edelmetallen, Produktions- und Werkstätten für Baumaterialien und Kunsthandwerk. 752 fand die pompöse Augen-Öffnungszeremonie an der großen Buddha-Statue im Inneren des Tempels statt: eine auf Außenwirkung angelegte Demonstration der Stärke des neuen Zentralstaats. In einer feierlichen Prozession zog Tennō Shōmu zum Tempel, wo sich Tausende buddhistischer Mönche, auch aus dem fernen Ausland, versammelt hatten. Auf einem Gerüst stieg man zum Haupt hinauf und malte die schwarzen Augen des Buddha auf.
Die Ausstellung, der Katalog und das Handbuch „Zeit der Morgenröte“ schließen mit der Etablierung dieses zentral organisierten Staates.
Die Struktur der beiden Bände
Beide Bände orientieren sich in ihrer Kapitelabfolge entlang der Chronologie. Der erste Zeitstrahl beginnt 45.000 Jahre vor heute, der letzte endet 784 n. Chr. mit der Verlegung der Hauptstadt nach Nagaoka.
Der Katalogband birgt auf 367 Seiten mit 3-spaltigem Text in kleiner Schriftgröße eine große Informationsfülle und weist zugleich eine übersichtliche Grundstruktur auf, da alle Kapitel identisch aufgebaut sind: Einer kurzen Einleitung zur Epoche folgt die Beschreibung der Objekte und ihrer Fundstellen. Dazu gehören Diagramme zu chronologischen Entwicklungen, Luftaufnahmen von Regionen und Ausgrabungen, Pläne und Karten von Grabungsorten, Bodenprofile, grabungsbegleitende Detailfotos, Skizzen von Objekten und last but not least hervorragende Fotografien der Ausstellungsstücke. Gemeinsam mit dem Begleittext lässt das umfangreiche Bildmaterial Lebensweise und Alltag der frühen Menschen lebendig werden.

15. Bei der Fundstelle in Kamo-Iwakura (Shimane) wurden 39 Bronzeglocken (Dōtaku) ausgegraben. Sie zählen zu den Nationalschätzen Japans.
Das Handbuch (527 Seiten) vertieft in thematischen Abhandlungen die Informationen zu den einzelnen Epochen. Es enthält Beiträge zur Geschichte der japanischen Archäologie und Fragen zu Kriterien der Periodisierung. Weitere Epochengliederungen werden vorgestellt, da die historische Entwicklung im Norden auf Hokkaidō und im Süden auf den Ryūkyū-Inseln/ Okinawa anders als auf den Inseln Honshū, Shikoku und Kyūshū verlief. Zeitenübergreifend behandeln Aufsätze die Entwicklung von Schmuck und Kleidung, Ernährungs- und Essgewohnheiten.
Beide Bände enthalten Literaturverzeichnisse.
Faszinierende Highlights
Die wenigen Schlaglichter, die hier erwähnt werden, sollen Appetit machen auf die breite Palette an Informationen, die die beiden Bände bereitstellen: Beim Durchblättern passiert es ganz von selbst, dass das Auge an einer Abbildung hängenbleibt, man sich festliest und in einen Artikel eintaucht.
Die überraschend große Zahl der Funde – und das rege öffentliche Interesse
Mit dem rasanten Wirtschaftswachstum, das Japan nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte, veränderte sich das gesamte Land radikal. Vor allem seit den 1960er Jahren griffen große Stadtentwicklungsprojekte, neue Industrieanlagen und der Bau von Verkehrswegen in die Landschaft ein. Im Zuge der Bauarbeiten wurden an unzähligen Stellen alte Siedlungsspuren im Boden gefunden. Sie riefen einen Boom an Ausgrabungen ins Leben, die Zahl an Grabungs- und Forschungsberichten stieg rasant an, und die Aktivitäten trafen auf großes öffentliches Interesse. Ein Ausbau der touristischen Infrastruktur in Form von Museen und Themenparks war die Folge.

16. Der wirtschaftliche Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte die Zersiedelung der Ebenen durch Industriegebiete, Satellitenstätten und Infrastruktur. Hier ein Luftbild des kanalisierten Flusses Neya in Daitō, Ōsaka.
Die Ausstellungen, die daraus hervorgingen, sind hochmodern, setzen aktuelle Erkenntnisse der Museumswissenschaften um und nutzen neuste Medien zur Wissensvermittlung. Meist sind sie zweigeteilt: In einem Abschnitt werden die Funde präsentiert, in einem weiteren die historische Lebenswelt anhand von oft originalgroßen, bis ins kleinste Detail durchdachte Modelle rekonstruiert.

17. Ein Beispiel für den Einsatz lebensechter Modelle ist die Rekonstruktion des Fischerdorfes Kusado Sengen an der japanischen Inlandsee aus dem 13. bis 16. Jahrhundert. Das Dorf wurde vom Ashida-Fluss im Westen der Stadt Fukuyama überschwemmt und inzwischen von Archäologen wieder frei gelegt. In der Mitte des riesigen Raumes erhebt sich eine rekonstruierte Häuserzeile in der Morgendämmerung, bei der Rekonstruktion wurde eine bestimmte Jahreszeit festgelegt und sogar die genaue Uhrzeit bedacht.
Die Methoden der Archäologie: Akribie und Technik
Die Archäologie fasziniert, denn sowohl die Sorgfalt, mit der die Fundstücke behandelt werden, als auch die aufwendigen Techniken der Suche, der späteren Datenerfassung und -sammlung erinnern an Methoden der Kriminalistik. Das Material, das die beiden Bände bereitstellen, lassen die Leserinnen und Leser Zeuge dieser Detektivarbeit werden. Ganz besonders beeindrucken Tafeln chronologisch angeordneter Skizzen von Fundstücken (z.B. von Steinwerkzeugen, Katalogband S. 21), skizzierte Querschnitte von Hügelgräbern, die deren Bauweise deutlich machen (Katalogband, S. 297), oder Skizzen, die die Nahrung der Jōmon-Menschen nach der Jahreszeit anordnen (z.B. Katalogband, S. 69). Schicht für Schicht wurden die Muschelhaufen abgetragen, und die Keramikscherben und Werkzeuge, die Essensreste und Überbleibsel von Ritualen machen deutlich, dass sich die Menschen der Jōmon-Zeit durch Fischfang, Jagd und Sammeltätigkeit planmäßig und effizient ihre Nahrung sicherten.

18. Obsidian-Werkzeuge aus Hokkaidō. Im Norden Japans sind zahlreiche Lagerstätten hochwertigen Obsidians bekannt. Man fand Werkzeuge wie Bohrer, Kratzer oder Rückenmesser. Anhand der speziellen Herstellungstechniken und den Unterschieden im Material können Herkunftsregionen und Handelswege rekonstruiert werden.
Seismoarchäologie
Neben den gängigen Verfahren wie der Dendrochronologie (Datierung anhand der Sequenzen von Jahresringen im Querschnitt von Baumstämmen), der Luftbildarchäologie, der Archäobotanik und -metallurgie etablierte sich Ende der 1980er Jahre in Japan eine weitere spezialisierte Fachrichtung: die Seismoarchäologie.
Die Seismoarchäologie nutzt die Tatsache, dass die japanischen Inseln als Teil des pazifischen Feuerrings auf seismisch sehr aktivem Gebiet liegen: Erdbeben und Vulkanausbrüche treten häufig auf. Im Boden hinterlassen Erdbeben zum Beispiel als Verwerfungen bleibende Spuren, nach Vulkanausbrüchen legen sich weiträumig Schichten von Asche, Lava und Bimsstein am Boden ab. Diese Schichten, die sich nicht nur über die Inselkette, sondern auch über Teile des Festlandes hinweg ausdehnen, dienen als Leithorizonte, die genutzt werden können, um Funde zu datieren.

19. Die Auswirkungen stärkerer seismischer Aktivitäten wie große tektonische Verschiebungen, Bodenrisse, massive Erdrutsche oder die Verschiebung von Flussläufen sind auch nach Jahrtausenden noch im Boden abzulesen. Hier eine grafische Übersicht über die Auswirkungen von Erdbeben verschiedener Stärkegrade (nach ESI 2007, Environmental Seismic Intensity Scale).
Befundfälschungen
So hoch entwickelt die angewandten Technologien auch sind, wappneten sie doch nicht vor Betrug. Inada Takashi beschreibt in seiner Einführung (Handbuch, S. 31-40), wie Fujimura Shin’ichi vorging, als er in den 1980er Jahren allem Anschein nach einen spektakulären Fund nach dem anderen aus dem Boden hob. Fujimura hatte es als Amateur bis zum stellvertretenden Vorsitzenden des Forschungsinstituts für Paläolithische Kulturen Nordost-Honshūs gebracht. Er fälschte nicht die Objekte an sich, sondern deren Alter, indem er Stücke, die er tatsächlich fand, an ihrem Fundort heimlich tiefer in den Boden eingrub. In dieser tieferen Erdschicht wurden sie von unbedarften, nicht eingeweihten Kollegen gefunden und mittels der Stratigrafie, der Altersbestimmung über die Analyse des Bodenprofils, älter als auf ihre tatsächliche Entstehungszeit datiert.
Der Artikel beschreibt den „Skandal um die Fälschung paläolithischer Steinwerkzeuge“ (Kyū-sekki netsuzō jiken) im Umfeld der zeitgenössischen Grabungssituation und nennt Gründe, warum die Fälschungen lange unentdeckt bleiben konnten: Einer der Faktoren war der Hype, den die „Funde“ in den Medien erzeugte und der den Stimmen kritischer Wissenschaftler/innen kein Gehör schenkte. Der Skandal zeigt exemplarisch, wie Ungenauigkeit im Vorgehen, fehlender wissenschaftlicher (auch interdisziplinärer) Austausch und die vorschnelle Schaffung von angeblichen Tatsachen in der Öffentlichkeit den Ruf eines gesamten Forschungszweigs in Frage stellen können.
Warum dieses außerordentliche Interesse seitens der Öffentlichkeit?
Die rege archäologische Tätigkeit fiel in eine Zeit, in der Japan als aufstrebende Wirtschaftsmacht auch internationales Aufsehen erregte. Autorinnen und Autoren im In- und Ausland suchten in Abhandlungen über Japan nach den Ursachen des Erfolges. Die zahlreichen Nihonron (Japandiskurse) bzw. Nihonjinron („Theorien über Japaner“, also Nationalcharakterstudien) stellten Versuche dar, das Charakteristische Japans bzw. der japanischen Persönlichkeit zu fassen. Viele Forschungsgebiete, ob Medizin, Psychologie, Soziologie, Archäologie oder Geschichte, leisteten dazu ihren Beitrag. Die Archäologie ging in diesem Zusammenhang der Frage nach der Herkunft des japanischen Volkes nach. Damals war die Vorstellung weit verbreitet, die Entwicklung auf den japanischen Inseln sei weitgehend eigenständig und unabhängig vom Festland verlaufen und habe in einem ethnisch homogenen Volk gemündet. Hervorragende Steinwerkzeuge aus überraschend frühen Zeiten hätten sehr gut ins Bild gepasst.
In den 1980er Jahren begannen Archäolog/innen aus China, Russland, Korea und Japan gemeinsame Forschungsprojekte, die durch die politischen Beziehungen vorher schwierig bis unmöglich gewesen waren. Auf der Basis dieser Erkenntnisse zeigen die beiden Bände „Zeit der Morgenröte“ nun ein anderes, viel diverseres Bild: Zum einen macht die Ähnlichkeit der Funde die Wanderungen der Menschen von und zum Festland und die Einflüsse aus verschiedenen kontinentalen Kulturen sichtbar. Zum anderen wurde inzwischen deutlich, dass es auf den Inseln in der frühen Geschichte keine einheitliche Entwicklung, sondern viele Umbrüche und regional sehr unterschiedliche Entwicklungen gab.

20. Repliken von Kleidungsstücken der Yayoi-Zeit
Die Jōmon-Kultur auf Hokkaidō
Leider sind die beiden Bände inzwischen über 15 Jahre alt. Als aktuelle Ergänzung eignet sich die DVD und das bebilderte Begleitheft „Das Hokkaidō Universum“ von Mayke Wagner und Pavel E. Tarasov, veröffentlicht 2020 vom Deutschen Archäologischen Institut, Eurasien-Abteilung, Außenstelle Peking.

21. Das „Hokkaidō Universum“, eine Karte mit den Grabungsstellen in Nord-Honshū und Hokkaidō und ein Anhänger mit verdrillten Schnüren.
Den Anhänger fertigte die Archäologin Tsuboi Mutsumi an, um zu zeigen, wie die typischen Muster in die noch feuchten Tongefäße der Jōmon-Zeit eingedrückt wurden.
Der 50-minütige Film berichtet von der gemeinsamen archäologischen Forschung auf Hokkaidō und deren (Zwischen)Ergebnisse nach 10 Jahren. Im Zentrum steht die Jōmon-Zeit. Auch hier ist man auf der Suche nach einem prägenden Charakteristikum: „Töpfe auf Hokkaidō gehören zu den ältesten Keramikgefäßen der Welt, aber Bauern waren die Töpfer nicht. Alle Erfindungen und sozialen Entwicklungen machten sie ohne Feldbau und Viehzucht, bis in die Neuzeit spielte Getreide keine große Rolle.“ (S. 6). Der Einfluss der Einwanderer in der Yayoi-Zeit, die Nassreisfeldbau, Gerätschaften aus Bronze und Eisen mitbrachten und damit den Alltag auf den anderen japanischen Inseln revolutionierten, erreichte Hokkaidō nicht (S. 134). Das heißt: Die feste Verbindung, die Archäologinnen und Archäologen zwischen der Herstellung von Keramiken und der Einführung der Landwirtschaft sahen, war auf Hokkaidō nicht gegeben.

22. Dogū: Terrakotta-Statue der Jōmon-Zeit
Als Besonderheit wird gerade das Kommen und Gehen der Menschen, bedingt durch die Lage Hokkaidōs zwischen den Meeren, betont: „Seit alter Zeit bringen die Wege Menschen aus allen Richtungen hier zusammen.“ (S. 25). „Hokkaidō ist das Zentrum des Nordwestpazifiks, eine offene Tür nach Süden und Norden. Hier treffen sich Meeresströmungen, Fischschwärme, Zugvögel, Waldelefanten und Mammuts, Bären und Affen, und zu jeder Zeit Menschen. Sie machen das Insel-Universum einzigartig.“ (S. 7).
2021 wird die UNESCO entscheiden, ob sie den Spuren der Jōmon-Menschen einen universellen Wert für die gesamte Weltgemeinschaft zuspricht und Hokkaidōs Jōmon-Kultur als Weltkulturerbe anerkennt (S. 101).
Susanne Phillipps
06.12.2020 (Ausgabe 01)
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