160 Jahre Beziehungen zwischen Japan und Deutschland – Wie alles begann

Buch neben Büste von Bismarck

Preußens Weg nach Japan. Japan in den Berichten von Mitgliedern der preußischen Ostasienexpedition 1860-61. Herausgegeben, kommentiert und mit einer Einführung versehen von Holmer Stahncke. München: iudicium, 2000; broschiert, 262 Seiten.

„Es soll ewiger Friede und bestaendige Freundschaft bestehen zwischen Seiner Majestaet dem Koenige von Preuszen und seiner Majestaet dem Taikuhn von Japan, ihren Erben und Nachfolgern, sowie auch zwischen den beiderseitigen Unterthanen.“ (Anm. 1)

– So lautet der erste Artikel des „Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsvertrags“ zwischen Preußen und Japan, der am 24. Januar 1861 in Edo, dem heutigen Tōkyō, unterzeichnet wurde. An diesem Tag war der Expeditionsleiter Friedrich Graf zu Eulenburg nach monatelangen Verhandlungen am Ziel seiner Mission angelangt. 

Die Vertragsunterzeichnung gilt als Geburtsstunde der Beziehungen zwischen Deutschland und Japan – und ist aktueller Anlass dieser Empfehlung: 2021 jährt sich das Ereignis zum 160. Mal.

Einen Eindruck von dem nicht einfachen Prozess hin zu dieser Übereinkunft gibt Holmer Stahncke in „Preußens Weg nach Japan“. Schon in seiner Dissertation hatte sich Stahncke mit den diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan in den politisch bewegten Jahren von 1854 bis 1868 beschäftigt. Für den Band „Preußens Weg nach Japan“ wählte er Passagen aus Aufzeichnungen der preußischen Expeditionsteilnehmer aus, kommentierte diese und versah sie mit einer Einführung.

So entstand ein aufschlussreiches und fesselndes Lesebuch, das nach Edo entführt, und zwar in die Monate von der Ankunft der Expedition im September 1860 bis zur Abreise wenige Tage nach Unterzeichnung des Vertrags im Januar 1861. Die Textausschnitte lassen die Stimmen der Beteiligten lebendig werden, lassen teilhaben an ihrer Begeisterung für das Land und an den Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatten.

Mit den Kommentaren zwischen den Zitaten „moderiert“ Stahncke die einzelnen Textabschnitte: Er ordnet sie in das Gesamtgeschehen ein, indem er beispielsweise Informationen ergänzt, die die Autoren nicht haben konnten.

Im Anhang stellt er außerdem auf knapp 20 Seiten die Quellen vor, gibt biografische Abrisse und Kurzcharakterisierungen der Autoren. Ein Abdruck des Wortlauts des Vertrags, der unterzeichnet wurde, und ein Personenverzeichnis runden den 262-seitigen Band ab.

Portrait in Schwarz-weiß von Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg (1815–1881)

01. Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg (1815–1881), Leiter der preußischen Expedition und Unterzeichner des Handelsvertrags zwischen Preußen und Japan.

Der politische Hintergrund: Die letzten Jahre der Shogunats-Regierung

In der Einführung (S. 7-25) verdeutlicht Stahncke, in welch politisch unübersichtlichen Lage Japan sich in diesen Jahren befand. Nachdem der US-amerikanische Commodore Matthew Perry Anfang der 1850er Jahre mit Kriegsschiffen in der Bucht von Edo aufgetaucht war, musste die Shogunats-Regierung einsehen, dass ihre Isolationspolitik nicht weiter aufrecht zu erhalten war. In den Folgejahren sah sie sich dazu gezwungen, Handelsverträge mit mehreren Staaten zu unterzeichnen, darunter mit England, Frankreich, Russland und den USA. Diese Verträge gingen als „Ungleiche Verträge“ in die Geschichte ein, da sie für Japan und die anderen asiatischen Staaten, die zu Verträgen mit den damaligen Kolonialmächten gedrängt wurden, Nachteile und Beschränkungen in ihrer Souveränität bedeuteten. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis sie sich aus diesen Verträgen lösen konnten.

In einem äußerst repräsentativen Tatami-Raum sitzen auf Stühlen Commodore Perry und vier weitere Vertreter westlicher Nationen drei japanischen Beamten gegenüber.

02. Eine Verhandlung zwischen Commodore Perry und japanischen Delegierten zeigt die ungewohnte Situation: Stühle stehen auf den Tatami-Matten, die die Ausländer mit Schuhen betreten.

Auch Eulenburg beschreibt später den Fußboden „aus sehr schönen, weichen Matten von Reisstroh“, darauf Bettstellen, Tische und Stühle (S. 42).

Für die Verhandlungen mit den Ausländern waren neue Ämter wie das des Gouverneurs für Auswärtige Angelegenheiten (gaikoku bugyō) erst einige Jahre zuvor geschaffen worden. Die japanische Regierung war im Grunde nicht bereit, mit einer weiteren europäischen Macht einen Vertrag einzugehen. Der hohe Beamte Ii Naosuke, der die bisherigen Handelsverträge mit europäischen Staaten abgeschlossen hatte, war einige Monate vor der Ankunft der Preußen von unzufriedenen, über die Regierungspolitik aufgebrachten Samurai ermordet worden. Auch wenn nur einige Samurai tätlich wurden, unter weiten Teilen des Schwertadels herrschte schon längst mindestens eine kritische, wenn nicht eine extrem ablehnende Haltung gegenüber den Ausländern. Sie sahen in der Tatsache, dass das Shogunat mit den Fremden verhandeln musste, das Versagen der eigenen Regierung und der landesweiten Verteidigung: Die fremden Kriegsschiffe, die in der Bucht von Edo vor Anker lagen, waren sichtbarer Beweis der eigenen desolaten Abwehr.

Das Auftauchen des preußischen Geschwaders

Im Herbst 1860 lief nun das frisch ausgerüstete Geschwader der preußischen Flotte in die Bucht von Edo ein: Es brachte eine preußische Gesandtschaft, deren Mission genau darin bestand, einen solchen Handelsvertrag mit Japan, China und Siam zu unterzeichnen. Japan sollte die erste Station sein, ein Vertrag sollte dem zwar schon existierenden, aber schwach entwickelten Handel mit dem Land eine rechtliche Basis verschaffen (S. 8). Zugleich hatte das Vorhaben eine deutliche Signalwirkung für Europa: Preußen, mit neuem Selbstbewusstsein unterwegs, handelt für die Interessen des gesamten Zollvereins.

Gemälde in Schwarz-weiß von drei Segelschiffen.

03. Das Ostasiatische Geschwader der Preußischen Kriegsmarine, Gemälde von Lüder Arenhold.

Der japanischen Regierung kamen die Preußen äußerst ungelegen. Die instabilen innen- wie außenpolitischen Umstände zwang sie jedoch zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die sich über mehrere Monate hinziehen sollten (S. 18-19).

04. Andō Nobumasa (1820-1871) gestaltete in den schwierigen Jahren nach Ii Naosukes Ermordung unter anderem die Außenpolitik Japans. Er versuchte, die Anhänger von Shogunat und Kaiserhof zu einen, scheiterte aber letztendlich mit seiner Politik.

Schwarz-weiß Portrait von Andō Nobumasa

Die Expeditionsteilnehmer

Vielleicht ist es am interessantesten, die Lektüre des Buches mit der Vorstellung der Autoren, allesamt Teilnehmer der Expedition, und ihrer Werke zu beginnen (S. 217-233). Stahncke stellt sie in Kurzportraits vor, informiert über ihren biografischen Werdegang und begründet seine Textauswahl anhand der Qualität ihrer Aufzeichnungen (S. 231).

Die Aufzeichnungen hatten unterschiedliche Zielsetzungen und weichen deshalb in Inhalt und Stil stark voneinander ab. Stahncke zitiert einerseits aus dem amtlichen, sehr gut recherchierten Expeditionsbericht, der von dem Landschaftsmaler Albert Berg verfasst wurde und fundierte Informationen über ein damals in Europa noch weitgehend unbekanntes Land enthält (S. 218). Ganz anders formuliert sind die Briefe des Gesandten Graf Friedrich zu Eulenburg an seine Familie, die Einblicke in sein Innenleben gewähren und selbstverständlich in keine offizielle Schrift Eingang gefunden haben.

Einige Expeditionsteilnehmer standen bei deutschen Zeitungen unter Vertrag und veröffentlichten ihre Eindrücke in Artikeln oder gaben nach der Expedition ihre Erfahrungen und Erinnerungen in Buchform heraus. Besonders beeindruckend sind die Reiseskizzen des Kaufmanns Gustav Spieß und des Zeichners und Fotografen Wilhelm Heine. Beide liefern sehr detaillierte Beschreibungen der fremden Umgebung, sei es von der Landschaft, den Straßenzügen und der Architektur (vor allem S. 90-96, S. 129, S. 137-138), von den aufwendigen Zügen der Daimyō (S. 100-101), von den Menschen (S. 182) und den verschiedensten Situationen, zum Teil gespickt mit Missverständnissen (S. 62, S. 185).

Vor einem Hauseingang mit asiatischem Holzdekor: auf den Stufen in drei Reihen acht Mitgleider der Preußischen Expedition nach Ostasien.

05. Die Mitglieder der preußischen Ostasien-Expedition. Aus der Veröffentlichung des Kaufmanns Gustav Spieß (im Bild oben links: Nr. 7 „Der Verfasser“).

Daneben zitiert Stahncke aus den Reiseskizzen des Landwirtschaftsexperten Hermann Maron, des Kommandanten Reinhold Werner und des Schiffspredigers Kreyer. Interessant sind die Ausschnitte aus einem Matrosen-Tagebuch, von dem ein Teil auf einem Dachboden gefunden wurde, ohne dass seine Urheberschaft ermittelt werden konnte.

Portrait des Malers Wilhelm Heine mit Vollbart.

06. Der Maler Wilhelm Heine. Er war sehr beleibt, und Textpassagen schildern, dass die Pferde bei Ausritten Probleme hatten, ihn zu tragen (Eulenburg, S. 181).

07. Heine verfügte über umfangreiche Japan-Kenntnisse. Er hatte sich einige Jahre vor der preußischen Mission schon mit der Expedition von Commodore Perry in Japan aufgehalten. Über seine Arbeit als Fotograf schreibt er, dass besonders bei komplizierter Architektur und bei „Blicken über die Stadt“ Zeichnungen nicht ausreichten, sondern es nötig war, „zur Fotografie seine Zuflucht zu nehmen“ (S. 183), auch wenn manchmal Personen „der Aufnahme durch ihre Bewegung hinderlich wurden“ (S. 187).

Frontispiz der niederländischen Ausgabe des Werks von Wilhelm Heine mit dem Titel „Reis om de Wereld naar Jpaan“. Gerahmt von einem Skizzenkranz verschiedener Reiseszenen. Unten der Berg Fuji und eine Schreintor.

Durch die Aufzeichnungen, die den Hauptteil des Buches ausmachen, lernt man die Autoren Stück für Stück näher kennen: Die Textausschnitte geben Auskunft nicht nur über ihre Sicht auf Japan, sondern legen zugleich auch ihre Charaktere offen.

Der Aufenthalt in Japan

Stahncke sortiert die Eindrücke chronologisch-thematisch: die Zeit der Ankunft und die Eindrücke der ersten Tage in der neuen Unterkunft; Charakterisierungen der hohen Beamten, des Wach- und Begleitpersonals, der Dienerschaft, besonders der Stallknechte bzw. Pferdeburschen (bettō); Ausflüge innerhalb der Stadt und auf dem Land mit Beschreibungen der Landschaft, der Architektur, der Japanerinnen und Japaner, denen die Expeditionsteilnehmer begegnen; Gefahren wie Feuer und Erdbeben; die unterschwellig ständig vorhandene Bedrohung durch feindlich gesinnte Samurai; die Vertragsunterzeichnung und der Abschied wenige Tage danach.

Durch die Gegenüberstellung von Textpassagen verschiedener Autoren von ein und derselben Situation zeigt er, wie sich ihre Eindrücke unterschieden, beeinflusst durch ihre berufliche Spezialisierung und der Rolle, die sie bei der Mission einnahmen, vor allem aber auch durch ihre Offenheit und ihre bisherigen Erfahrungen (z.B. S. 49, 65). Besonders reizvoll ist der Vergleich der persönlichen Eindrücke von Eulenburg mit dem Wortlaut der offiziellen Berichte.

Erwartungen

Alle führenden Expeditionsteilnehmer kannten die Veröffentlichungen der Japanreisenden der letzten Jahre, sie kamen mit dem entsprechenden Vorwissen und mit der großen Erwartung, das schon Beschriebene selbst zu entdecken und auch neue Erfahrungen zu machen.

Der erste Text des Bandes ist der Veröffentlichung von Gustav Spieß entnommen. Er beschreibt die Erwartung, mit der die Gesandtschaft am 4. September 1860 in die Bucht von Edo hineinsegelte: „nun in Wahrheit diesem so wunderbaren Lande uns zu nähern“, ganz unter dem Einfluss des „wunderbaren Nimbus, der in den letzten Jahrzehnten „Japan“ in den Augen der europäischen Welt umgeben [hat]“ (S. 26).

Mit diesen übergroßen Erwartungen mussten die ersten eigenen Eindrücke zwangsläufig enttäuschen. Eulenburg berichtet von ärmlichen, einstöckigen Holzhäusern und kaum bekleideten Männern (S. 41), Spieß von „nur wenige[n] angenehme[n]  Physiognomien“ und „unschönen Gesichtszügen“ (S. 42).

Herausforderungen

Gleich nach der Ankunft stellten sich die Dolmetscher der anderen Gesandten vor und machten dem preußischen Gesandten ihre Aufwartung. Eine herausragend wichtige Rolle für die Vertragsverhandlungen in den kommenden Monaten sollte der Dolmetscher des amerikanischen Gesandten, Hendrik Heusken (1832-1861), spielen (S. 33).

08. Albert Berg: „Tor am Schloss von Edo“, Lithografie, 1864

Aquarell eines Tores am Palast von Edo.

Eulenburg war klar, dass es eine kaum zu bewältigende Aufgabe darstellte, die japanische Seite überhaupt dazu zu bewegen, Vertragsverhandlungen aufzunehmen. Und die politischen Erklärungen zur eigenen Situation waren auch nicht eben einfach: So mussten Missverständnisse bezüglich der Begrifflichkeiten „Preußen“, „Deutschland“, „Zollverein“ und „Deutscher Bundestag“ geklärt werden, Bezeichnungen, die selbst Spieß als „Klippen“ bezeichnet, zwischen denen es schwierig sei, „die richtige Mitte zu halten“ (S. 37).

Das Buch bietet die schöne Gelegenheit, sich auf die Sprache der unterschiedlichen Texte einzulassen, auf die indirekten Ausdrucksweisen, die verklausulierten Sätze, die Gleichnisse, mit denen versucht wurde, das Anliegen der Vertragsunterzeichnung durchzusetzen. Und die in starkem Gegensatz dazu formulierte Direktheit bei der privaten Beschreibung von Situationen: „Ich war froh, dass ich die Kerle endlich los war; sie fangen an mich zu ennuyieren.“ (Eulenburg, S. 77).

Alles in allem war das Leben der Gesandtschaftsmitglieder auf dem abgeschlossenen, bewachten Tempelgelände, das zur gesicherten Unterkunft umfunktioniert worden war, eher einsam. Sie fühlten sich wie in einem Gefängnis (S. 77), und es war ein entscheidendes Verdienst Eulenburgs, trotz des enormen Erfolgsdrucks, der auf ihm lastete, so viel Geselligkeit und Geschick im Umgang mit seinen Mitreisenden an den Tag zu legen, dass die Männer die abendlichen Runden in guter Laune verbrachten. Eulenburg beschreibt als bestes Mittel gegen seinen Ärger, zum französischen Gesandten Bellecourt zu reiten, denn dieser sei „in einer so überschwenglichen Wut über denselben Gegenstand, dass er komisch wird und kalmierend auf mich wirkt“ (S. 77).

Der Blick auf Japan

Mit der Erweiterung des Aktionsradius stellte sich bei den Expeditionsteilnehmern zunehmend Begeisterung ein. Auch wenn sie immer von Wachmannschaften umgeben waren, genossen sie doch die Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung und waren – abgesehen von einigen Diplomaten – die ersten Europäer, die die fremde Stadt Edo erkundeten. Dabei verursachten sie selbst natürlich auch großes Aufsehen, wenn sie in Gegenden auftauchten, in denen noch keine Ausländer gesehen worden waren, und ihnen war bewusst, wie fremd sie auf die Einheimischen wirken mussten (S. 102-104).

Interessant sind dabei vor allem zwei Aspekte: zum einen die Versuche, das Fremde über Vergleiche zu beschreiben, um es begreiflich zu machen. Ein Beispiel ist die Beschreibung von Edo als gigantisches Dorf ohne die für europäische Großstädte so typischen Kathedralen und Kirchen, ohne die auffälligen Fassaden ausladender Paläste, Theater und Museen, mit der Erklärung, dass die Bedeutung der Stadt nicht in der Höhe der Gebäude, sondern in der geräumigen Ausdehnung der Anlagen zu finden sei (Spieß, S. 86-87). Gruselkabinette werden mit hiesigen Wachsfigurenkabinetten verglichen (S. 145-148), fliegende Händler mit einem europäischen Jahrmarkt, die Bühnendarbietungen erinnern Kreyer an europäische Tänzerinnen und Clowns, „tout comme chez nous“ (S. 141).

Straßenzug in Yokohama: Front von Holzhäusern mit Geschäften, verschiedene Passanten.
vor einem Einkaufsladen: Ein Jongleur und ein Trommler ziehen die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich.

09.-10. Straßenszenen in Yokohama; aus:„Japan and the Japanese illustrated“ (1874).

Weitläufiges Panorama von Edo, von einer Anhöhe aufgenommen. Auffällig ist, dass alle Häuser gleich hoch sind.

11. Die Japan-Reisenden der Zeit waren überrascht von der ungeheuren Ausdehnung von Edo, der Millionenstadt, die über keine hohen Häuser verfügte und in ihrer Gesamtheit eher an ein nicht enden wollendes Dorf erinnerte (S. 27); zeitgenössisches Panorama von Edo, Foto von Felice Beato.

Zum anderen fällt auf, dass die Expeditionsteilnehmer Beobachtungen anstellten, die Reisenden auch heute noch ins Auge fallen, wie der friedvolle Umgang mit ihren Kindern (S. 119), die große Begeisterung fürs Lesen (S. 120), die öffentlichen Badehäuser (S. 124).

Bei der Beschreibung von Gartenanlagen erfasst Eulenburg einen Kern der japanischen Ästhetik: „Alles ist gepflanzt, alles ist künstlich angelegt, aber mit so unendlichem Geschmack oder vielmehr mit einem solchen Gefühl für die Natur, dass man immer glaubt, alles sei wild gewachsen, wie es da steht […]“, und ergänzt in Begeisterung sogar: „Ich bin ganz verliebt in dieses Land“ (S. 97).

Vor einem Laden, der Gegenstände aus Bronze verkauft. Auf einem Karren wird gerade eine Glocke gebracht. Die Arbeiter tragen nur Hüte und einen Lendenschutz.

12. Die hochwertigen japanischen Handwerkserzeugnisse erregten die Aufmerksamkeit der Preußen, vor allem die Qualität der Schwerter (S. 52). Im Austausch für ihre Geschenke erhielten sie von ihren Gastgebern viele fein gearbeitete Objekte. Zudem erwarben sie Kunsthandwerk, um es nach Europa mitzuführen. Hier ein Laden mit Bronzegegenständen; aus: „Japan and the Japanese illustrated“ (1874).

Straßenfront mit den Geschäftshäusern der Mitsui. Viele Passanten, einige in einer Tragesänfte.

13. Schrittweise entdeckten die Preußen die besten Händler und teuersten Geschäfte für Lackwaren, Seidenstoffe, Backwaren, Rüstungen und Waffen. Das Viertel um die Nihonbashi war ihnen als Hauptsitz namhafter Firmen ein Begriff; hier ein Straßenzug mit der Ladenfront der Mitsui.

Zugleich entdeckten die Expeditionsteilnehmer zum Beispiel in den Gruselkabinetten (> Geistergeschichten) oder bei der Zurschaustellung der Köpfe von Hingerichteten (S. 170) die „abschreckende Sucht nach grauenhaften, haarsträubenden oder frivolen, obszönen Gegenständen“ (Heine, S. 148). Von der Dualität zwischen Ästhetik und Grausamkeit wird noch Jahrzehnte später die Wahrnehmung Japans geprägt sein, auf den Punkt gebracht in dem Titel „The Chrysanthemum and the Sword. Patterns of Japanese Culture“, einer Nationalcharakterstudie (Nihonjinron) von Ruth Benedict aus dem Jahr 1946.

Es entsprach der Zeit, die fremde Kultur mit einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Überlegenheitsgefühl zu betrachten. Umso größer waren Überraschung und Erstaunen auf preußischer Seite ob der Niederländisch-Kenntnisse der Japaner, ihrer schnellen Auffassungsgabe beim Spracherwerb, ihrer Kenntnisse über Europa durch die so genannten „Hollandstudien“ (rangaku, S. 35, 54), über die Bedeutung der Wissenschaften in Japan allgemein und die Wissbegierde der Gelehrten, mit denen sie verkehrten (S. 55-56). Besonders verblüffte die Expeditionsteilnehmer der hohe Wissenstand bezüglich aller europäischen medizinischen Methoden (S. 105).

Eine äußerst interessante Beobachtung macht Berg (S. 67), als er den Scharfsinn und die Weltgewandtheit von Muragaki Awaji no Kami beschreibt, der gerade von einem Auslandsaufenthalt in den USA zurückgekehrt war. Was die preußischen Gesandten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten: In den Folgejahren würden die politischen Ziele der Samurai immer unvereinbarer und radikaler werden, und ihre Sichtweise wurde oft entscheidend durch die Tatsache mitgeprägt, ob sie das Ausland bereist hatten oder nicht.

Bild einer Samurai-Familie: Vater und Mutter, Tochter und Sohn. Vater und Sohn tragen die beiden Schwerter im Gürtel.

14. Portrait einer Samurai-Familie; aus:„Japan and the Japanese illustrated“ (1874). Vollkommen falsch deuten die Expeditionsteilnehmer das Schwärzen der Zähne bei verheirateten Frauen, auf keinen Fall eine absichtliche Entstellung als Treuebeweis gegenüber dem Ehemann, sondern die Nachahmung eines Schönheitsideals des Hofadels (S. 174).

Unsicherheiten

Während sich die Verhandlungsführer der beiden Seiten immer näher kennenlernten, stellte die preußische Seite bald fest, dass die Japaner zwar Interesse an allem Ausländischen hatten, selbst aber kaum Informationen über das eigene Land herausgeben wollten oder durften (S. 59-60): „[Sie] widersprechen sich aber im Laufe einer halben Stunde zehnmal und lügen wie gedruckt“ (Eulenburg, S. 60). Über die Gründe konnten sie nur spekulieren. Beförderungen oder Versetzungen ihrer Verhandlungspartner konnten sie genauso wenig einordnen wie die Warnungen vor Attentaten, die höchstwahrscheinlich auf Ausländer in Planung seien. Tatsächlich war die Shogunats-Regierung sehr besorgt, ein ausländischer Diplomat könnte einem Attentat zum Opfer fallen, denn sie fürchtete Vergeltungsaktionen durch den betreffenden Staat.

Die letzten Wochen in Japan

Echten Schutz gewährten die begleitenden Wachmannschaften nicht, und die Gesandtschaftsteilnehmer wussten von zurückliegenden Morden an Ausländern, ihrer japanischen Dienerschaft, gar an Kaufleuten, die ihnen ihre Waren anboten (S. 208). Ständig bestand die Gefahr, „insultiert zu werden“ (Eulenburg, S. 192), d.h. von (manchmal angetrunkenen) Samurai provoziert oder beleidigt zu werden: Sie ritten auf die Fremden zu, lachten sie aus, schauten sie grimmig an und griffen an ihr Schwert. Auf der anderen Seite gab es auch immer wieder Zwischenfälle mit betrunkenen ausländischen Seeleuten in der Ausländergemeinde in Yokohama.

Blick auf ein Stadtviertel in Yokohama direkt an der Küste mit Häusern, die im westlichen Stil erbaut sind.

15. Yokohama gehörte zu den Vertragshäfen, die für Handel geöffnet werden mussten. Hier ließen sich ausländische Kaufleute nieder, ihnen war der Zutritt zur Hauptstadt Edo verwehrt; aus: „Japan and the Japanese illustrated“ (1874).

Am 15. Januar 1861, nur wenige Tage vor der Vertragsunterzeichnung, fiel der Dolmetscher Hendrick Heusken, der Eulenburg ein unersetzlicher Assistent geworden war, einem Attentat zum Opfer. Samurai überfielen ihn, als er in der Nacht von Eulenburgs Unterkunft zurück zur amerikanischen Gesandtschaft ritt. Die Schilderungen der Situation an seinem Sterbebett (S. 200-201) und der feierlichen Bestattung als Zeichen einer politischen Demonstration (S. 202-203) sind die emotionalsten Textpassagen des Buches.

Es ist dunkel. Ein Europäer zu Pferd wehrt sich gegen mehrere schwarz vermummte Samurai, deren Schwerter hell aufblinken.

16. Das tödliche Attentat auf Hendrik Heusken.

Die Vertragsunterzeichnung erfolgte kurz darauf am 24. Januar 1861. Danach beeilten sich die Gesandtschaftsmitglieder, das Land zu verlassen, die Einschiffung war für den 28. Januar vorgesehen. Eulenburg war gedanklich schon bei den Vorbereitungen seiner nächsten Station, China.

160 Jahre

Holmer Stahncke führt mit der Textauswahl in diesem Buch durch die Monate der Vertragsverhandlungen, er vermittelt einen äußerst lebendigen Eindruck der Vorgänge – und zwar wie sie aus preußischer Sicht wahrgenommen wurden. Die Textsammlung verdeutlicht, wie im Kern innereuropäische Angelegenheiten, wie die preußische Suche nach nationaler und internationaler Anerkennung, in die Welt getragen wurden.

Dem Vertrag von 1861 folgten bis zum Ersten Weltkrieg weitere Schifffahrtsabkommen: zwischen Japan und dem Norddeutschen Bund im Jahr 1869, 1896 dann zwischen Japan und dem Deutschen Kaiserreich. Im letzteren wurden die Rechten und Pflichten gleichermaßen auf beide Staaten ausgedehnt, Japan wurde zum gleichberechtigten Partner (Anm. 2).

Die SMS Arkona vor dem Berg Fuji.

17. Die preußische Korvette Arcona

So war der Januar 1861 Startpunkt für eine Beziehung, die in den 160 Jahren ihres Bestehens nicht nur Turbulenzen mit sich brachte, sondern über lange Phasen auch stabile Partnerschaft bedeutete. Die Bundesregierung beurteilt die aktuelle Lage folgendermaßen: „Das bilaterale Verhältnis Deutschlands zu Japan ist von einer hohen Dichte des politischen Austauschs und einer engen internationalen Zusammenarbeit gekennzeichnet.“ (Anm. 3). Und ganz wichtig: Inzwischen gibt es nicht nur viele offizielle Kooperationen und Partnerschaften in Politik und Wirtschaft, in Kultur und Wissenschaft, sondern auch ungezählte persönliche Freundschaften.

Susanne Phillipps

21.06.2021 (Ausgabe 03)

Anmerkungen

1. Zitiert nach Preußens Weg nach Japan. Japan in den Berichten von Mitgliedern der preußischen Ostasienexpedition 1860-61, S. 239.

Nachzulesen ist die korrigierte Version des „Freundschafts-, Handels- und Schiffahrts-Vertrags zwischen dem Norddeutschen Bunde und den zu diesem Bunde nicht gehörigen Mitgliedern des Deutschen Zoll- und Handelsvereins einerseits und Japan andererseits“ in der Fassung vom Februar 1869 auf:

https://de.wikisource.org/wiki/Freundschafts-,_Handels-_und_Schiffahrts-Vertrag_zwischen_dem_Deutschen_Zollverein_und_Japan

2. Cord Eberspächer (2011): „Ungleiche Verträge. Die Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsverträge zwischen Preußen-Deutschland und Japan 1861-1896“. In: Ferne Gefährten. 150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen. Herausgegeben von der Curt-Engelhorn-Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen und dem Verband der Deutsch-Japanischen Gesellschaften. Regensburg: Verlag Schnell und Steiner. S. 39-41.

3. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/japan-node/bilateral/213038, zuletzt eingesehen am 11.06.2021.

Datenschutzhinweis: An dieser Stelle ist eine Anmerkung notwendig. Ich habe meine Website selbst erstellt, sie nutzt weder Cookies für Webtracking noch Web-Analyse-Programme. Ich verweise auf meine Datenschutzerklärung und verstehe die weitere Nutzung meiner Website als Einverständniserklärung.

Bildnachweis

Header: Von Bruno Cordioli from Milano, Italy – Kimono enchantment, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10405206, Ausschnitt, Schrift eingesetzt.

Buch-Arrangement Preußen-Japan: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk. Vielen Dank an Andrea und Rainer.

01: Von Reinhold Conrad Muschler – aus: Philipp zu Eulenburg, Verlag Fr. Wilhelm Gronow,Leipzig, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34629799

02: By Wilhelm Heine ? – Leiden University Library, KITLV, image 36D540 Collection page Southeast Asian & Caribbean Images (KITLV), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48410273

03: Von Diverse – Diverse, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41753250

04: Von Autor unbekannt – Ursprung unbekannt, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4567129

05: Von Bismark, Fotograf – G. Spieß, Die preußische Expedition nach Ostasien…, 1864, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=6231956

06: By Unknown author – Datenbank Tripota in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier/Stadtarchiv, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=97312849

07: By Wilhelm Heine – Maastricht University Library, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32173160

08: Von Albert Berg (* 15. Juni 1825 in Berlin; † 20. August 1884 in Hallstatt im Salzkammergut) war ein deutscher Diplomat, Reisender und Landschaftsmaler, der u.a. auch an der Preussischen Expedition nach Ost-Asien (1860-1862) teilnahm. – Peter Pantzer & Sven Saaler: Japanische Impressionen eines Kaiserlichen Gesandten . Karl von Eisendecher im Japan der Meiji-Zeit. München 2007., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18041398

09: By Humbert, Aimé, 1819-1900 – https://archive.org/stream/japanjapaneseill00humbuoft#page/12/mode/2up, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10880782

10: By L. CréponInternet Archive Book Images – https://www.flickr.com/photos/internetarchivebookimages/14595279068/Source book page: https://archive.org/stream/japanjapaneseill00humb/japanjapaneseill00humb#page/n314/mode/1up, No restrictions, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43948854

11: Von Felice Beato – Colored Photochrom print version of File:Panorama of Edo bw.jpg. Click the link for the description.http://366days.net/konoe/Edo.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6842429

12: By Internet Archive Book Images – https://www.flickr.com/photos/internetarchivebookimages/14781541372/Source book page: https://archive.org/stream/japanjapaneseill00humb/japanjapaneseill00humb#page/n259/mode/1up, No restrictions, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43792923

13: By E. Bayard – http://crd.ndl.go.jp/reference/uploads/d3ndlcrdentry/collection/3000000791/2.jpg, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43893736

14: By Humbert, Aimé, 1819-1900 – https://archive.org/stream/japanjapaneseill00humbuoft#page/18/mode/2up, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10881462

15: By Humbert, Aimé, 1819-1900 – https://archive.org/stream/japanjapaneseill00humbuoft#page/xxii/mode/2up, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10879798 

16: Von Autor unbekannt – Yomigaeru Bakumatsu, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31035245

17: Von Karl von Eisendecher (* 23. Juni 1841 in Oldenburg; † 19. August 1934 in Baden-Baden) war ein deutscher Marineoffizier, zuletzt Vizeadmiral und Diplomat. – Peter Pantzer & Sven Saaler: Japanische Impressionen eines Kaiserlichen Gesandten . Karl von Eisendecher im Japan der Meiji-Zeit. München 2007., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18041787