Nō-Masken zum Leben erweckt
Udaka Michishige (2018). The Secrets of Noh Masks. Mit Fotografien von Yamagata Shūichi und einem Vorwort von Ruth Ozeki. New York: Kodansha USA (erste Auflage 2010 durch Kodansha International); broschiert, 160 Seiten.
Ausschließlich männliche Schauspieler schreiten in ruhigen Schritten über die Bühne, sie tragen prachtvolle Kostüme und Masken und bringen in langsamen, stilisierten Bewegungen die Handlung voran. Begleitet von einem Männerchor, von Trommeln und Flöte, zeigen die Schauspieler mit kleinsten Gesten die inneren Regungen der an der Geschichte beteiligten Figuren – Das Nō-Theater soll keine realitätsnahe Darstellung liefern, sondern eine symbolische, höchst abstrakte Schilderung von Ereignissen. Dabei entsteht eine ganz eigene spirituelle Atmosphäre.
Vor etwa 650 Jahren – zur gleichen Zeit wie die Teezeremonie oder die Kunst des Blumensteckens (Ikebana) – entstanden, gilt das Nō-Theater als die älteste Dramenform, die heute noch aufgeführt wird. Die Stücke sind weitestgehend unverändert und erzählen von universellen, zeitlosen Emotionen, wie ewiger Liebe oder tiefer Verzweiflung. Nicht Details des Geschehens oder die Entwicklung der Handlung sind interessant, sondern die starken Emotionen einer Figur und der Schicksalsschlag, durch den die Figur in die Situation geriet.
2001 wurde das Nō-Theater durch die UNESCO zum Immateriellen Weltkulturerbe erklärt.
Über den Bildband
Dieses Buch ist keine ausführliche Einführung in das Nō-Theater, sondern stellt 32 Masken vor, die von Udaka Michishige geschnitzt wurden. Schon die Aufteilung des Bildbandes macht dies deutlich: Nach einer kurzen Einleitung von nur wenigen Seiten beginnen die beiden zentralen Kapitel mit den außergewöhnlichen Fotos und den kurzen Begleittexten, und erst am Ende des Bandes gibt es einige Seiten mit grundlegenden Erklärungen zum Nō-Theater („Noh and Noh Masks“, S. 145-157).
– Es gibt zwei unterschiedliche Schreibweisen, um die Länge japanischer Silben zu markieren: Im Englischen hat sich die Schreibung „Noh“ durchgesetzt, im Deutschen wird ein Längungsstrich über das „o“ gesetzt: „Nō“. Bei allen anderen japanischen Begriffen werden in diesem Band aber leider keine Längungen markiert, zum Beispiel (im Text weiter unten) „yugen“ anstelle von „yūgen“. –
Der Autor Udaka Michishige
Der Band eröffnet mit einer kurzen Grußadresse der japanisch-amerikanischen Schriftstellerin Ruth Ozeki, einer ehemaligen Schülerin der Gesangs- und Tanzklassen von Udaka Michishige, die auch an seinen Workshops zum Schnitzen von Masken teilnahm. Sie betont die Mehrfachperspektive von Udaka Michishige auf die Masken: als Schauspieler, als Schnitzer und als Lehrer, der schon früh dazu bereit war, die Kunst des Nō-Schauspiels auch an ausländische Schülerinnen und Schüler weiterzugeben.
Die Kunst des Nō wird in der Familie von Udaka Michishige seit mehreren Hundert Jahren weitergegeben: Etwa 360 Jahre lang, bis zur Generation seines Großvaters, standen die Männer als Nō-Darsteller in Diensten der Domäne Matsuyama (Shikoku). Sie waren Angehörige der Kongō-Schule, eine der Schulen, die shite-Darsteller (Schauspieler der Hauptrollen) ausbilden (S. 151).
Udaka Michishige wurde 1947 geboren und begann seine Ausbildung als Schauspieler im Alter von 12 Jahren. Mit 18 Jahren begann er zudem, sich die Kunst des Maskenherstellens anzueignen. Seitdem verfolgte er als einziger Künstler in Japan beide Karrieren: als professioneller Schauspieler und als Holzschnitzer, zwei Tätigkeiten, die für ihn nicht zu trennen sind.
1986 gründete er das International Noh Institute. 1991 wurde er von der japanischen Regierung zum Repräsentanten eines nationalen immateriellen Kulturguts ernannt. Er schreibt selbst Nō-Stücke und lehrt in Japan und im Ausland.
Zur Einstimmung: Der zentrale Begriff yūgen
In seiner Einleitung ordnet Udaka in knappen Sätzen die Entstehung des Nō-Theaters im 14. Jahrhundert historisch ein. Den Großteil der Einführung verwendet er dann für seine Gedanken zu dem zentralen ästhetischen Begriff, yūgen, übersetzt als „verhaltene Eleganz“, „subtile Anmut“, die Schönheit hinter der äußeren Erscheinung: „The aesthetic principle of yugen in art is a perpetual issue for those in pursuit of beauty, myself included.“ (S. 8).
Der Begriff stammt von Zeami Motokiyo (1363-1443), der als der große Schauspieler, Dramatiker und Theoretiker des Nō gilt. Schon als Jugendlicher wurde er gemeinsam mit seinem Vater Kan’ami (1333-1384) von Shōgun Yoshimitsu (1330-1367) gefördert. In theoretischen Abhandlungen hielt er seine Sichtweise des Nō fest, und sein Werk Fūshi kaden diente über Jahrhunderte hinweg als grundlegendes Lehrbuch für das Nō-Theater. Es spiegelt die ästhetischen Ideale der Samurai-Kultur vom 13. bis zum 16. Jahrhundert.
Udaka betont, dass es nicht möglich sei, den Begriff yūgen exakt zu beschreiben: „It refers, I suppose, to a sort of mysterious, unfathomable aesthetic quality, but even this is uncertain“ und schildert, dass er trotz täglicher Übungen nicht sicher sein könne, das Innere eines Charakters ganz zu fassen. Er versuche, durch die wiederholte Ausführung einfachster Gesten kleinste emotionale Feinheiten darzustellen (S. 8). Im Erklärungsteil am Buchende kommt er noch einmal auf Zeamis Konzept von Schönheit, yūgen, zurück: „referring to a highly charged state of profound intensity and suggestiveness, but also a highly ambigous, subtle concept of myriad interpretations“ – „einen stark aufgeladenen Zustand von tiefer Intensität und Suggestivität, aber auch ein höchst mehrdeutiges, subtiles Konzept unzähliger Interpretationen“ (S. 151).
Nō-Masken sind Teil dieser yūgen-Ästhetik. Obwohl sie starre Gesichtszüge zeigen, können die Schauspieler mit ihnen Stimmungswechsel darstellen. Nur der Darsteller der führenden Rolle (shitekataoder shite) trägt eine typisierende Maske. Diese löscht die Identität des Schauspielers und zeigt allein den Charakter der Figur.
01-05. Prozess der Herstellung einer Nō-Maske.
06. Präsentation des Herstellungsprozesses einer Nō-Maske in acht Schritten.
Die Präsentation der Masken
Mit diesen ersten Eindrücken startet man direkt, ohne Inhaltsverzeichnis oder weitere Erklärungen, in die beiden Hauptkapitel: „Women and Ghosts“ mit insgesamt elf Masken (S. 10-59) und „Men, Deities, and Demons“ mit insgesamt 21 Masken (S. 60-143). Es handelt sich um Masken, die Udaka Michishige selbst angefertigt hat und auch auf der Bühne trug.
Diese beiden zentralen Kapitel leben von den gelungenen Aufnahmen des Werbefotografen Yamagata Shūichi, der auch für andere Bildbände wie zu Design (z.B. Gift Wrapping with Textiles: Stylish Ideas from Japan) oder zu kulinarischen Themen (z.B. Flavor and Seasonings: Dashi, Umami and Fermented Foods) fotografierte.
– Aus Gründen des Urheberrechts werden zur Illustration dieser Empfehlung nicht Fotos aus dem Buch, sondern aus anderen Quellen benutzt. –
07. Nō-Schauspieler mit Maske
Die meisten Masken werden auf vier Seiten vorgestellt. Der Hintergrund aller Fotoseiten ist in Schwarz gehalten. Die erste Seite zeigt in weißen Großbuchstaben den japanischen Namen der Maske, dazu in leichtem Schatten die dazugehörigen japanischen Schriftzeichen. Die Maske wird in der üblichen Frontalansicht gezeigt und daneben steht in weißen Buchstaben der dazugehörende Erklärungstext.
Die weiteren drei Seiten zeigen die Maske in ungewohnten Perspektiven, um ihre im Text beschriebenen Besonderheiten deutlich zu machen: aus einem ausgefallenen Blickwinkel, sei es von oben, von unten oder von einer Seite, oder in Nahaufnahme, manchmal nur ausschnitthaft, wie etwa die Augen- oder Mundpartie. Auch die dem Schauspieler zugewandte Rückseite mit Aufschriften und Verzierungen wird gezeigt (zum Beispiel: S. 97, S. 107). Diese Innenseite der Maske ist entscheidend für den Klang der Stimme des Darstellers (S. 104-105).
Während Teile der Masken geheimnisvoll im schwarzen Schatten verschwinden, setzt die Beleuchtung Akzente und hebt Ausschnitte hervor: Sie lässt die geschnitzten Gesichtszüge, die auf die Maske gezeichneten Haarsträhnen und die bemalten Zähne deutlich hervortreten, die mit Gold unterlegten Partien aufleuchten und die ganze Maske manchmal fast dreidimensional erscheinen.
08. Die Ko-omote-Maske stellt eine junge, noch naive Frau dar und symbolisiert vollendete jugendliche Schönheit (S. 12-15).
12. Die Dōji-Maske (dōji, wörtl. „Kind“, „Knabe“, „Bursche“) hat im Nō eine besondere Bedeutung: „the combination of noble beauty and ethereal unworldliness makes this mask a common choice for gods in human form“, „a divine being symbolizing eternal youth“ (S. 62).
09. Die Deigan-Maske (deigan, wörtl. „[Gold]Schlamm-Auge“ hat ihren Namen vom Goldauftrag (kindei, „Goldfarbe“) an den Augen der Maske (S. 42). Ein Goldauftrag auf der Maske bedeutet immer, dass die Figur kein menschliches Wesen ist.
13. Die Jūroku-Maske verkörpert einen noch jungen, vergleichsweise unerfahrenen Krieger von sechzehn Jahren (S. 74-77).
10. Die Hannya-Maske mit Hörnern steht für den Geist einer verstorbenen Frau, die von Eifersucht besessen ist: Sie zeigt eine Mischung aus Boshaftigkeit und Elend. Die Goldbemalung symbolisiert, dass es sich um einen weiblichen Dämon handelt (S. 50-53).
11. Auch die Shinja-Maske symbolisiert einen von Hass und Eifersucht besessenen Frauengeist. Die goldenen Augen glänzen, das Innere des weit aufgerissenen Mundes in knalligem Rot gehalten (S. 54-57).
Die Begleittexte
Aus den Begleittexten spricht die praktische Erfahrung Udaka Michishiges, sein Erleben der Masken. Die Texte enthalten zumeist die Erklärung des Namens und eine ausführliche Beschreibung der Gesichtszüge und des Gesichtsausdrucks, den daran gebundenen Figurentyp und dessen Charakterzüge sowie eine Aufzählung, in welchen Stücken die Maske zum Einsatz kommt.
Udaka erwähnt die Herausforderungen für den Schnitzer bei der Herstellung: wie der gewünschte Charakter in den wichtigsten Gesichtspartien – bei Stirn, Nasenrücken, Augenbrauen und Augenlidern, Wangenknochen und Lippen – umgesetzt werden kann, wie der Verlauf der einzeln aufgemalten Haarsträhnen wirkt (kegaki, „Aufmalen der Haare“) und wie sich der Ausdruck verschiebt, wenn diese Partien nicht gelingen wie geplant.
Besonders diese Überlegungen sind nahe an der Forschung zur Nonverbalen Kommunikation, die charakteristische Gesichtszüge für bestimmte Emotionen festmacht. An den Beschreibungen wird deutlich, dass sich die stilisierten Gesichtsausdrücke über die Jahrhunderte in ihrer Form fest verankerten und durch ihre Eigenheiten die Fantasie des Publikums anregen.
Einige Masken stellen keinen (Charakter)Typ dar, sondern eine Figur in einem bestimmten Stück, sie werden nur für diese eine Rolle getragen. Hier fasst Udaka die Geschichte zusammen, um die Figur psychisch deuten zu können (zum Beispiel „Semimaru, S. 72-73, oder „Yoroboshi“, S. 66-69).
Andere Masken stellen historische, durch Geschichten aber legendär überhöhte Persönlichkeiten dar, wie die Dichterin Ono no komachi (etwa 825 – etwa 900), die auch im Alter wunderschön ausgesehen haben soll (Maske Komachi rōjo, „Komachi als alte Dame“, S. 38-41).
14. Semimaru, der blinde Sohn eines Tennō, wird auf Geheiß des Vaters hin Mönch und zieht sich in die Berge zurück (S. 72-73).
15. Yoroboshi, eine Maske, die Schmerz mit einem zarten Lächeln verbindet: Von der Stiefmutter verleumdet, vom Vater verstoßen, erblindet Yoroboshi während seiner Wanderungen (S. 66-69).
16. Die Kasshiki-Maske repräsentiert einen jungen Mönch mit einer Haarsträhne in Form eines Ginkgo-Blattes (S. 80-81).
17. Die Chūjō-Maske repräsentiert den Adligen Ariwara no Narihita, der Name der Maske verweist auf seinen militärischen Rang (Generalleutnant, S. 82).
18. Die Akobujō-Maske für einen alten Mann mit vielen Jahrzehnten an Lebenserfahrung (S. 90-93). Früher erwies man den Rollen mit jō-Masken, die hohes Alter symbolisieren, großen Respekt (S. 120-121).
19. Ikkaku sennin-Maske für einen Eremit in Indien, Sohn eines Hirsches, der den Regen bringenden Drachengott einsperrt. Eine hübsche Frau befreit den Drachengott und bewahrt das Land vor Dürre (S. 110-113).
Systematische Einteilung der Masken
Auf den Seiten am Ende des Buches erklärt Udaka, dass bei den heutigen Aufführungen etwa 60 Maskentypen regelmäßig benutzt werden, die er in sechs Gruppen einteilt (S. 153):
- onna (Masken für Frauen)
- otoko (Masken für Männer)
- jō (Masken für ältere Figuren)
- okina (Masken für gealterte Gottheiten)
- kijin/ kishin (Masken für übernatürliche Wesen wie Dämonen und Götter)
- onryō (Masken für Rachegeister).
20. Die Sarutobide-Maske für den Geist eines überirdischen Lebewesens mit Affenkopf, Tanuki-Rumpf, mit Tigerklauen und Schlangenschwanz (S. 128).
21. Die Ōbeshimi-Maske zur Darstellung von einem Tengu (siehe: Hokusai Manga).
Kurze Texteinschübe
In kurzen Texteinschüben berichtet Udaka aus seinem Berufsleben, zum Beispiel vom Spiegelraum (kagami no ma), einem Raum zwischen Garderobe und Bühne, in dem der Hauptdarsteller (shite) in seine Rolle eintaucht, indem er die Maske aufsetzt (S. 126-127, 153-154). Oder davon, dass die Wahl der Frauenmaske mit den ihr jeweils eigenen Charakterzügen über die Interpretation eines Stücks entscheidet (S. 34-35).
22. Eine neutrale Frauenmaske (chūkan hyōjō, wörtl. „neutraler Gesichtsausdruck“) kann verschiedene emotionale Ausdrücke annehmen (S. 44-45): Durch leichte Kopfbewegungen des Schauspielers wird das Licht auf der Maske unterschiedlich reflektiert, und die Maske drückt verschiedene Gefühle aus. Einige Nō-Masken sind außerdem nicht symmetrisch: Die beiden Maskenhälften deuten zwei verschiedene emotionale Zustände der Hauptfigur an. Der Schauspieler zeigt sich dem Publikum erst nur von der einen, nach einer inneren Verwandlung dann von der anderen Seite (S. 154-155).
Im Anhang: Grundlegende Informationen über das Nō-Theater –
– zur historischen Entwicklung
Nō ging aus unterhaltsamen Theaterstücken (sarugaku) hervor, die ursprünglich aus China kamen und an Tempeln und Schreinen aufgeführt wurden. Im 14. Jahrhundert revolutionierten die beiden Nō-Künstler Kan’ami und Zeami die Stücke, indem sie die Musik verfeinerten, narrative Elemente implementierten und die neuen Bühnenwerke mit witzigen Kurzstücken (kyōgen) kombinierten. Damit entstand die Aufführungspraxis, die heute noch praktiziert wird.
23. Eine Aufführung unter freiem Himmel.
– zur Nō-Bühne
Ursprünglich wurden die Theaterstücke im Freien aufgeführt. Bis heute sind Aufbau und Bühnenbild einer Nō-Bühne bei allen Stücken identisch: Die hintere Bühnenwand ziert ein Gemälde einer Kiefer des Kasuga-Schreins (Nara), vor der die erste Aufführung stattgefunden haben soll.
Die prächtig gekleideten Schauspieler hantieren mit minimalen Requisiten. Da ihr Sichtfeld durch die engen Augenöffnungen der Masken sehr eingeschränkt ist, dienen ihnen die Pfeiler der Bühne als Orientierung.
24. Nō-Bühne im Hauptgebäude des Kunstmuseums in Atami, Shizuoka.
25. Grundriss einer Nō-Bühne: 1. Spiegelzimmer (kagami no ma); 2. Brücke (hashigakari); 3. Bühne; 4.-7. vier Pfeiler; 8. Chor; 9. Musiker, von rechts nach links: Querflöte, kleine Trommel, mittlere Trommel und manchmal große Trommel; 10. Souffleur; 11. Platz für den Kyōgen-Darsteller für die eingeschobenen humoristischen Zwischenstücke; 12. Treppenstufen (kizahashi); 13. weißer Sand (shirazu); 14-16. Kiefern; 17. Raum hinter der Bühne; 18. Haupteingang (makuguchi) mit einem schweren Vorhang aus drei oder fünf Farben; 19. Eingang für Chor und Souffleur (kiridoguchi); 20 Bühnenbild (kagamiita): Gemälde einer Kiefer, meist im Stil der Kanō-Schule.
– zur Art der Stücke, zum Format des Programms
Repertoire, formale Struktur und Aufführungspraxis der Nō-Stücke wurden über die Jahrhunderte weitgehend unverändert weitergegeben. Sie sind nach ihren Themen in fünf Kategorien unterteilt: shin, nan, nyo, kyō, ki (mit den Schriftzeichen 神男女狂鬼 für „Gottheit“, „Mann“, „Frau“, „verrückt“, „Dämon“). Das Programm traditioneller Nō-Aufführungen besteht aus je einem Stück aus jeder Gruppe (S. 147-148).
1. Kategorie shin: Kamimono („Götterstücke“) zeigen den Hauptdarsteller in der Rolle einer Gottheit.
2. Kategorie nan: Die Bezeichnung Shuramono („Kriegerstücke“) bezieht sich auf die Welt der endlosen Kämpfe, nach buddhistischer Vorstellung eine der Unterwelten, in denen Lebewesen mit schlechtem Karma wiedergeboren werden. Der Hauptdarsteller erscheint als Geist eines verstorbenen Samurai und erlangt mit Hilfe eines Mönchs bei der Wiederholung seiner Todesszene Erlösung.
3. Kategorie nyo: Katsuramono („Perückenspiele“) zeigen den Hauptdarsteller in einer weiblichen Rolle bei raffinierten Liedern und anmutigen Tänzen.
4. Kategorie kyō: Die vierte Gruppe umfasst knapp einhundert verschiedene Stücke, in der oft der Wahnsinn eine wichtige Rolle spielt. Der Hauptdarsteller zeigt eine Figur, die seelisch unausgeglichen ist oder aufgrund der Lebensumstände um den Verstand gebracht wurde. Unterkategorien sind beispielsweise kyōranmono („Wahnsinnsspiele“) oder onryōmono („rachsüchtige Geisterspiele“).
5. Kategorie ki: Onimono („Dämonenstücke“) werden als kirinō („letzte Stücke“) zum Abschluss gezeigt. Der Hauptdarsteller ist in der Rolle eines Kobolds oder Dämons zu sehen.
26. Frauen bei einer Nō-Aufführung (1891).
– zu den Nō-Darstellern
Zwei Schauspieler, der Hauptakteur (shite) und der Nebenschauspieler (waki), tragen die Handlung. Im ersten der beiden Akte treffen die beiden Figuren zusammen. Im zweiten Akt deckt der Nebendarsteller die wahre Identität des Hauptdarstellers auf. So ist er beispielsweise kein Krieger, wie im ersten Akt vorgegeben, sondern ein Geist, der aufgrund einer Tragödie an den Ort seines Sterbens gefesselt ist. In anderen Stücken ist eine Frau dem Wahnsinn verfallen, weil sie einen schweren Schicksalsschlag erleben musste. Meist kann ein buddhistischer Mönch im weiteren Verlauf der Erzählung die Geister der Umherirrenden besänftigen und schließlich befrieden.
27- 29. Eine Serie von Drucken von Nō-Darstellern, um 1898.
– zu den Masken und ihrer Herstellung
Udaka beschreibt den langen Herstellungsprozess: Das gefällte Zypressenholz wird nach dem Fällen zwanzig Jahre lang in Wasser eingelegt, dann weitere zwanzig Jahre getrocknet (S. 155). Die Arbeitsschritte des Künstlers umfassen das Schnitzen, das Auftragen der Grundierung und das Auftragen der Farbe und Patina (S. 156-157).
Ein sinnlicher Genuss
Ruth Ozeki beschreibt in ihrer Grußadresse, dass die Gesichtszüge der Masken Schritt für Schritt aus dem Zypressenholz heraustreten, ein Prozess „nothing short of magic.“ Und: „This book is a document of that magic.“ (S. 6)
Das Buch ist kein teurer, schwerer Bildband, sondern ein Paperback, das Format etwas kleiner als Din A4, und trotzdem vermag es in seiner Gestaltung deutlich zu machen, dass Masken ursprünglich in religiösen Handlungen genutzt wurden. Die weiche Optik der Aufnahmen beschwört etwas Mystisches herauf: durch die in Schwarz eingebetteten Masken und die zusätzlichen fotografischen Impressionen von Gräsern im Abendlicht, von Wolken oder Sumpflandschaften im Nebel. Das Schriftzeichen 霊 („rei“, „ryō“, „tama“) bezeichnet sowohl die Seele eines Lebenden wie den Geist eines Verstorbenen, und besonders auf der Nō-Bühne scheint der Übergang der Figuren zwischen Leben und Tod fließend (vgl. S. 46).
Udaka, der sein Leben dem Nō widmete, gießt seine persönlichen Erfahrungen in Beschreibungen, die in hochachtungsvollem Ton gehalten sind. Der Umgang mit den Masken, wie das Verschwinden des Schauspielers hinter der Maske im Spiegelraum, zeigt, wie nahe die Kunst beim Ritus liegt.
Die letzte Doppelseite enthält einen Index mit Schwarzweiß-Fotos der im Hauptteil vorgestellten Masken in alphabetischer Reihenfolge. Es lohnt ein Vergleich mit den Masken in der Übersicht auf der japanischen Wikipedia-Seite. Obwohl die Maskentypen standardisiert sind, wird durch den Vergleich deutlich, wie viel persönliche Interpretation des Künstlers in die konkrete gestalterische Ausführung der Masken einfließt.
Susanne Phillipps
21.12.2021 (Ausgabe 05)
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Abbildungsnachweis
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Buch-Arrangement Nō-Masken: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk
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20: By 東京国立博物館 – ColBase: Integrated Collections Database of the National Museums, Japan: online database: entry tnm/C-1543, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=97807529
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29: Von Tsukioka Kōgyō (Japan, 1869-1927) – Image: http://collections.lacma.org/sites/default/files/remote_images/piction/ma-31817553-O3.jpgGallery: http://collections.lacma.org/node/238238 Archivkopie, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27326955