Mit Bild und Text erzählen
Liebe, Kriege, Festlichkeiten. Facetten der narrativen Kunst aus Japan. Herausgegeben von Khanh Trinh (2021). Konzeption und Co-Autorschaft: Estelle Bauer, Melanie Trede und Khanh Trinh. Zürich: Museum Rietberg und Verlag Scheidegger & Spiess; Hardcover, 366 Seiten, durchgehend in Farbe.
„Bilder von Erzählungen“ (monogatari-e) sind Darstellungen, die eine berühmte Geschichte oder Ausschnitte davon wiedergeben. Inspiriert sind sie vom Kanon buddhistischer Texte, von literarischen Klassikern oder Volksmärchen, Erzählungen und Legenden. Ob auf Bildrollen, Wandschirmen, Stellwänden oder im Futter eines Kimonos – in erstaunlich detailreichen Darstellungen laden sie, meist in Kombination mit Texten, Betrachterinnen und Betrachter in die Geschichten ein.
Diese so genannte narrative Kunst hat in Japan eine immense Bedeutung. Anders als in Europa, wo sich Schrift- und Bildkunst (Bücher und Gemälde) voneinander trennten, gab es in Japan zu allen Zeiten Werke, die beides miteinander vereinten. Ein Grund liegt vielleicht darin, dass die bedeutungstragenden Schriftzeichen im Grunde auf Bildelementen basieren, die Trennung von Schrift und Bild in Japan wohl nie so strikt wahrgenommen wurde wie in Europa.
Dies hatte Konsequenzen für die Wertschätzung der Werke. Narrative Kunst war in Europa lange Zeit ein nicht besonders beachtetes Genre und damit auch kein Forschungs- und Ausstellungsthema.
01.-04. Szenen aus der „Geschichte vom Prinzen Genji in 54 Kapiteln“ („Genji monogatari 54 chō“), umgesetzt von Utagawa Hiroshige, 1852. Um eine Szene darzustellen, ist das Bild im Zentrum von Wolken umrahmt. Diese Wolken enthalten eine Überschrift und einen Text, die das Bild begleiten.
Bei dem vorliegenden Band handelt es sich deshalb um ein ganz besonderes Werk. Es ist der Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung, die vom 10. September bis zum 5. Dezember 2021 im Museum Rietberg in Zürich gezeigt wurde. Präsentiert wurden über einhundert Werke erzählender Kunst, von denen eine Reihe zuvor noch nie öffentlich zu sehen gewesen waren (S. 7). Über dreißig öffentliche Einrichtungen und Privatsammlungen stellten damals ihre Werke als Leihgeber zu Verfügung (S. 12, 19).
Es handelt sich um Neuentdeckungen japanischer Objekte in europäischen Sammlungen, die unter anderem durch eine Förderung der Ishibashi-Stiftung gemacht werden konnten (S. 9, 11). Als Publikation dieser Bestandsaufnahme ist der reich bebilderte Katalog zugleich eine gründliche Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes.
Anmerkung: Die hier gezeigten Abbildungen stammen nicht aus dem Katalog, sondern sind berühmte Werke, die weithin bekannt sind.
Die Personen, die das Werk entwarfen, entwickelten und erarbeiteten
Der Katalog wurde von Khanh Thrinh herausgegeben. Sie ist Kunsthistorikerin und war als Kuratorin und Dozentin für japanische Kunstgeschichte in Berlin, Rom, Tōkyō und Sydney tätig. Derzeit ist sie Kuratorin am Museum Rietberg, Zürich.
Khanh Thrinh ist eine der drei Frauen, die sich seit der Zeit ihrer Promotion in Tōkyō kennen, inzwischen seit über 25 Jahren befreundet sind und nun für die Gesamtkonzeption und den Großteil der Texte im Ausstellungskatalog sorgten (S. 10-11).
Die anderen beiden sind Estelle Bauer, Professorin für japanische Kunstgeschichte am INALCO (Nationales Institut für orientalische Sprachen und Zivilisationen) in Paris, und Melanie Trede, Professorin für Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Heidelberg.
Es gibt ein gemeinsames Video der drei Frauen, in dem sie verschiedene Aspekte zur Ausstellung vortragen.
Jede Kuratorin stellt außerdem ihr Lieblingsobjekt vor: Khanh Thrinh, Estelle Bauer und Melanie Trede.
Im Katalog werden auf einer Liste darüber hinaus 19 Spezialistinnen und Spezialisten aufgeführt, die Texte beigetragen haben: Professor/innen für Kunstgeschichte sowie Museumsdirektor/innen oder Kurator/innen von Abteilungen für Ostasiatische Kunst.
Über den Band
Der Bildband besteht aus vier Teilen:
- Vorangestellt sind die Beiträge, die bei Ausstellungskatalogen üblich und wichtig sind: ein Vorwort und ein Grußwort, Danksagungen, ein Verzeichnis der Leihgeber und eine Liste der Autorinnen und Autoren sowie Hinweise für die Lektüre (S. 6-14).
- Zur Einstimmung und Einführung werden in fünf Aufsätzen wichtige Aspekte zum Themenkreis „Das Bild in der Erzählung – Erzählen im Bild“ umrissen (S. 17-55).
- Der Hauptteil (S. 56-334) stellt die Ausstellungsobjekte in acht Bereichen vor.
- Der Anhang (S. 337-364) enthält ein Werksverzeichnis, ein Literaturverzeichnis, ein Personen- und Sachregister sowie eine Zeittafel.
Die 8 Kapitel des Hauptteils sind:
I. Japanische narrative Kunst: ein Panorama – Überblick über die historische Entwicklung
II. Die Kraft des Glaubens – Legenden zum Ursprung von Gottheiten, Tempeln und Heiligtümern, Hagiografien bedeutender religiöser Figuren
III. Dichter unterwegs: die „Geschichten von Ise“ – Sammlung von rund 125 Episoden um den adligen Helden Ariwara no Narihira (Heian-Zeit)
IV. Kabale und Liebe: die „Geschichte vom Prinzen Genji“ – Roman in 54 Kapiteln von Murasaki Shikibu über das Leben des Prinzen Genji: Erzählungen von Liebe und Intrigen am kaiserlichen Hof (Heian-Zeit)
V. Helden im Kampf um Macht und Ruhm: die Erzählungen von den Heike – Epos über den Kampf der beiden Kriegerfamilien Minamoto und Heike (Kamakura-Zeit)
VI. Dämonen besiegen: Shuten Dōji und Rajōmon – Fabeln und Volkssagen menschlicher Tiere, Monster, Gestaltenwandler (vor allem in Werken der Edo-Zeit)
VII. Sehnsuchtsort China – Geschichten aus China und die Darstellung des Fremden
VIII. Parodie und Unterhaltung – Fabelwesen (vor allem in Werken der Edo-Zeit)
Hinzu kommt Abschnitt IX, eine Übersicht über japanische narrative Kunst in Europa: 12 spannende Kurzbiografien von Personen, deren Privatbesitz die Grundlage für asiatische Kunstsammlungen in Europa wurden. Sie waren erfolgreiche Unternehmer oder reiche Erben, Weltreisende, Wissenschaftler oder Quereinsteiger, waren gut vernetzt, kulturell interessiert und weitsichtig, mit großem Sammelinteresse und gutem Gespür für die Objekte. Sie arbeiteten mit Kunsthistorikern und Händlern zusammen, veröffentlichten Kataloge zu ihren Sammlungen, gründeten Stiftungen und veräußerten ihre Kollektionen an Museen.
Der Katalog ist so facettenreich und zugleich detailliert, dass ich im folgenden nur auf einige wichtige Punkte eingehen kann. Zur Darstellungswelt der übernatürlichen Wesen möchte ich auf die Beiträge „Licht in der Welt des Halbdunkels“ und „Ruhelose Rache“ verweisen.
Die einführenden Aufsätze
Einleitend behandeln die Autorinnen und Autoren Fragen zum Verhältnis von Text und Bild, sie geben Definitionen der Begriffe und eine erste Übersicht über die Vielfalt der Objekte.
Das Verhältnis von Textquelle und ihrer Umsetzung im Bild
Eine Erzählung ist eine Abfolge von Handlungen ausgewählter Figuren an bestimmten Orten (S. 27). Dies kann in einem Text mit Worten geschildert oder in einem Bild dargestellt werden. In den Beiträgen des Katalogs geht es stets um die spannende Frage, wie Text und Bild miteinander funktionieren, welches Verhältnis sie zueinander haben.
Auf der einen Seite stehen die Textquellen, ein festes Repertoire an Geschichten, in Europa vergleichbar mit den Episoden aus der Bibel, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden. In Japan sind dies vor allem Sammlungen von Erzählungen (monogatari), deren hervorstechendes Merkmal die Kombination von Erzähltexten mit Gedichten ist.
In dem Ausstellungsband spielen etwa zwanzig literarische Quellen eine wichtige Rolle, allen voran „Die Geschichte des Prinzen Genji“ („Genji monogatari“). Diese Texte existieren in zahlreichen Abschriften und Überlieferungen.
Auf der anderen Seite stehen immer neue, aktuelle Umsetzungen der Geschichten in eine Bildsprache, die gerade en vogue ist: „Generationen von Künstlern, die mit unterschiedlichen Medien arbeiteten, adaptierten dieselben Geschichten und passten sich mit ihren visuellen Interpretationen ihrer Zeit und dem jeweiligen sozioökonomischen Hintergrund ihres Publikums an.“ (Khanh Trinh, S. 23, außerdem: Melanie Trede, S. 292).
monogatari-e („Geschichten-Bilder“): Malereien, die mittels verschiedener Medien […] in einzelnen oder mehreren fortlaufenden Szenen eine oder mehrere Episoden einer Erzählung abbilden (S. 20-21).
gachūshi: Textergänzungen im Bild wie Dialoge oder kurze Beschreibungen (S. 28)
kotobagaki: Bilder zur Illustration von Textabschnitten (S. 39)
05. Aus der Hagiografie des Mönches Shinran („Shinran shonin eden“).
06. Detail aus der Bildrolle „Obusuma Saburō emaki“. In den Krieger-Geschichten wurde stets besonderen Wert auf die Darstellung der Ausrüstung gelegt.
Über die Jahrhunderte gab es große Unterschiede in der Wahl des Mediums und damit der Materialität, im Bildformat und in der stilistischen Umsetzung. Wichtig war nicht nur die Richtung der Maler, Kunsthandwerker und Gestalter, sondern auch der persönliche Geschmack der Auftraggeber und des Zielpublikums (S. 21).
Die Art und Weise, wie die Inhalte in immer neuer Weise bearbeitet wurden, erinnern an Stationen auf einem Weg. Timothy Clark prägte dafür den Begriff „cultural route“ (S. 23): Zuerst kursierte die Erzählung am kaiserlichen Hof, danach wurden sie abgewandelt als Nō-Theater vor Angehörigen der Militäraristokratie aufgeführt, in späteren Jahrhunderten in neuen Varianten für ein breiteres Publikum gedruckt, dann für das Bunraku- und das Kabuki-Theater bearbeitet – um nur einzelne der vielen Umsetzungen zu nennen. Nicht alle Stoffe haben an jeder Station eine Realisierung erfahren, manche waren zu bestimmten Zeiten beliebter als andere. Wichtige Werke wurden immer wieder aufgegriffen und umgearbeitet, oftmals auch parodistisch und mit versteckten Andeutungen.
Alle Zeiten brachten für sie typische Merkmale hervor, die Szenen zu visualisieren. So entstanden Gemälde, Hänge- und Querrollen, Stellschirme und Fächer, Holzschnitte, gedruckte, gefaltete und gebundene Bücher, Lackobjekte, quadratische Gedichtkarten (shikishi), Textilien, Keramik, Metallarbeiten und Spiele (S. 19).
Ein Beispiel ist die Umsetzung der Szene „Der Fluss Akuta“ aus der Serie „Geschichten von Ise“. Der Held Ariwara no Narihira und seine Geliebte sind auf der Flucht. Verschiedene Darstellungsweisen spiegeln unterschiedliche Formen der Beziehung der beiden zueinander, einige eher liebevoll, andere eher erotisch.
07. Szene gestaltet von Nonomura Sōtatsu (verstorben 1643), Tusche und Farben auf Papier.
08. Szene gestaltet von Katsukawa Shunshō (1726-1793), Holzschnitt-Serie „Geschichten von Ise in modischen Brokatbildern“ („Fūryū nishiki-e Ise monogatari“), ca. 1772-73.
09. Szene gestaltet von Mori Kansai (1814-1894), 1850.
Und es geht noch einen Schritt weiter: Da bestimmte Szenen aus den Geschichten immer wieder dargestellt wurden, waren Figuren und Handlung allseits bekannt. Dies brachte mit sich, dass die Figuren gar nicht mehr dargestellt werden mussten, sondern allein die Szenerie verdeutlichte, auf welche Geschichte angespielt wurde. Ein berühmtes Beispiel ist eine Szene aus den „Geschichten von Ise“.
Der Held Narihira wird aus Kyoto verbannt. Als er durch den Osten Japans wandert, stößt er auf eine Brücke, die aus acht Holzbrettern besteht (Yatsuhashi). Sie führt über ein Sumpfgebiet, in dem Schwertlilien wachsen. Narihira verfasst ein Gedicht über die Sehnsucht nach seiner Liebe in der Hauptstadt. Die Anfangssilbe einer jeden Zeile des Gedichts ergibt das Wort „kakitsubata“ („Iris“ oder „Schwertlilie“).
10. Szene mit Figuren: Ariwara no Narihira, sein junger Schwertträger und ein alter Mann auf der Yatsuhashi („Acht-Planken-Brücke“), Holzschnitt von Utagawa Kuniyoshi (1798-1861).
Inzwischen ist bei Kunstgegenständen allein die Darstellung mehrerer Holzstege und / oder eines Schwertlilienfelds als Anspielung auf die beschriebene Szene erkennbar. Die Technik wird „abwesendes Motiv“ (rusu moyō) genannt (S. 21, 132-136, 163).
11. Kiste für Schreibutensilien mit dem Motiv der Brücken und Schwertlilien, von Ogata Kōrin (1658–1716).
12. Anspielung auf die Acht Brücken auf einem Schwertblatt, 17. Jahrhundert.
13.-14. Schwertlilien und eine Brücke aus Holzplanken. Wandschirm-Paar (byōbu) von Ogata Kōrin (1658–1716).
Wichtigstes Medium der narrativen Kunst: illuminierte Bildrollen (e-maki)
15. Schema und Aufbau einer Text-Bild-Rolle [emakimono: ein Gegenstand (mono), der aus gerollten (maki) Malereien (e) zusammengesetzt ist; S. 27]. Siehe auch den sehr guten, äußerst ausführlichen englischsprachigen Eintrag bei Wikipedia (Wikipedia, Eintrag emakimono).
Bedeutend in der narrativen Kunst sind illuminierte Bildrollen [„illuminiert“ mit der Bedeutung „(mittelalterliche Handschriften) ausmalen, mit Buchmalerei versehen“]. Die Querrollen, die Schrift und Malerei vereinen, gibt es in Japan wahrscheinlich ab dem 6. Jahrhundert, seit der Einführung des Buddhismus und der chinesischen Literatur (Estelle Bauer, S. 27). Einige Rollen sind knapp dreißig Meter lang (S. 312). Sie werden in Holzkisten aufbewahrt und nur zum Betrachten herausgenommen, dabei von rechts nach links gelesen. Beim Anschauen sind sie etwa eine Armlänge breit aufgerollt, beim weiteren Öffnen wird das zuletzt Gesehene schrittweise wieder eingewickelt. Dies bedeutet, dass sich – anders als bei einem statischen Gemälde – der sichtbare Ausschnitt beim Betrachten stets verändert.
16. Eine vollständig geöffnet Bildrolle: „Bildrolle der hungrigen Geister“ („Gakizōshi“), 12. Jahrhundert.
Darstellungstechniken im Bild
Wie in japanischen Texten durch sprachliche Unbestimmtheiten (wie z.B.: kein benanntes Subjekt, keine eindeutige Verbform) oft nicht deutlich gemacht wird, wer gerade handelt oder spricht, sind die Figuren im Bild nicht individualisiert. Die Gesichter der Adligen sind idealisiert, alters- und emotionslos: versehen mit so genannten „Strichaugen und Hakennasen“ (hikime kagibana). Lediglich Figuren aus niederen Ständen werden manchmal ausdrucksstärker dargestellt.
17. Adlige aus der Bildrolle „Kasuga gongen jiki“, Geschichten rund um den Kasuga-Schrein und den Kōfukuji-Tempel in Nara, 14. Jahrhundert.
18. Gesichter und Mimik der Handwerker aus derselben Bildrolle.
Die Kleidung der Figuren hat die Funktion, auf ihren sozialen Stand hinzudeuten, genauso ihre Anordnung im Bild. Die Dargestellten füllen eher eine Rolle aus, als dass sie eine individualisierte Person wären. (S. 30-31, 35-37).
Die langen Bilder ohne zwischengezogene Abgrenzungen (wie beispielsweise die Seiten in einem Buch) erzeugen ein Kontinuum von Raum und Zeit. Dies erfordert verschiedene Technik des Übergangs von einem zum nächsten Schauplatz.
So gibt es zum Beispiel ein langgestrecktes Gebäude, das es nach und nach zu entdecken gilt, oft mit fehlenden Dächern, um in die Räume hineinschauen zu können (fukinuki yatai, wörtl. „weggeblasenes Dach“, S. 29). In verschiedenen Räumen des Gebäudes werden Handlungen dargestellt, die zeitgleich stattfinden.
Andere Bildelemente, die Szenen voneinander trennen, sind Wolken oder bestimmte Landschaften wie bewaldete Hügel.
19. Beispiel für die Darstellung mit der Technik „weggeblasenes Dach“. Szene aus der Kriegergeschichte „Obusuma Saburō emaki“.
Das Arrangement von Text und Bild
Die Platzierung von Text und Bild bewirkt einen bestimmten Rhythmus im Lesefluss (S. 85). Häufig stehen die Malereien am Ende einer im Text beschriebenen Szene. Es gibt aber auch Bildrollen, in denen die Bilder Szenen zeigen, die in den Textabschnitten nicht beschrieben werden. Die Bilder gehen also mit den Texten ein Wechselspiel ein, und ohne sie wäre der Fortgang der Geschichte nicht verständlich.
20. In Japan angefertigte Bildrolle, die sich in der Technik noch sehr an chinesischen Vorbildern orientierte: Der Text ist unter dem Bild angeordnet, was sich in Japan nicht durchgesetzt hat. Aus: „Illustrierte Sutra von Ursache und Wirkung in Vergangenheit und Gegenwart“ („Kako genzai inga kyō“), eine Hagiografie des Buddha, 8. Jahrhundert.
21. Wechsel von einem Text- zu einem Bildabschnitt in „Obusuma Saburō emaki“, 8. Jahrhundert.
22. In das Bild eingestreute Text-Passagen; Bildrolle zu den Abenteuern des Urashima Tarō, 1500.
In einigen Bildern sind Texte neben den Figuren eingestreut. Es handelt sich um den Namen der Figur, genauere Erläuterungen zur Handlung oder um das, was die Figur sagt, also um Dialoganteile, die wie Sprechblasen zu lesen sind. Das gibt den dargestellten Szenen fast einen dramatischen Charakter (Sebastian Balmes, S. 39-40).
23. Zur Darstellung des Fremden, des Anderen, wurden chinesische Elemente genutzt. Sie zeigen imaginäre Orte, wie ein frei erfundenes China oder den Drachenpalast am Meeresgrund (S. 260-261). Szene aus „Das Lied vom ewigen Leid“ („Chōgonka“) von Kanō Sansetsu (1589-1651). Die Geschichte basiert auf einem chinesischen Gedicht aus dem 9. Jahrhundert.
24.-25. Drachen aus der Erzählung „Geschichte der Kegon-Schule“, („Kegon-shū soshi eden“), 1250.
Im Zentrum des Katalogs: die Vorstellung der Ausstellungsstücke
Die Gliederung orientiert sich motivisch an der Entstehungszeit der Erzählungen: zunächst religiöse Schriften (8. Jahrhundert), ab dem 10. Jahrhundert dann Geschichten mit nicht-religiösen Inhalten des Kaiserhofes, des Kriegeradels, Volkserzählungen. Die Abschnitte haben eine Länge von 20 bis 40 Seiten, am längsten zur „Geschichte vom Prinzen Genji“ mit knapp 80 Seiten, was die Bedeutung der Geschichte zeigt.
Die Ausstellungsstücke stammen aus dem 13. bis 20. Jahrhundert, die meisten aus der Edo-Zeit (1600-1868), einer Epoche, in der sich die Genres der erzählenden Kunst in einer Fülle so „umfassend, vielseitig und monumental“ zeigten wie nie zuvor. Neue Drucktechniken ermöglichten einen einfacheren Zugang zu erzählender Kunst und brachten zugleich mit sich, dass die Luxuseditionen von handgefertigten Querrollen als Statusobjekt gesehen wurden (Melanie Trede, S. 43-49).
26. Stellschirm mit verstreuten Büchern, frühe Edo-Zeit, 17. Jahrhundert
Die Begleittexte zu den Abbildungen der Ausstellungsstücke umfassen nicht nur Beschreibung und Interpretation des Dargestellten, sondern auch Informationen zum Trägermedium, zum Material, zum Werdegang der Objekte, zum Beispiel zur Zerstörung des Gesamtwerks, zur Aufspaltung in Einzelteile und zum Verkauf an verschiedene Sammlungen.
Dabei fließen Erklärungen zur gesellschaftlichen Rolle von Objekten immer wieder ein (zu Fächern beispielsweise S. 209). Die Autorinnen verfolgen die Spur der Motive auf verschiedenen Objekten: Welche Ideen kamen wann auf, wurden wie transformiert, eigneten sich auf welchen Ausstattungsstücken besonders gut: Darstellungen von Schönheiten aus dem „Genji monogatari“ als modische Stoffmustervorlagen für Damen, kriegerische Stoffe auf Tabakdöschen für Herren.
27.-28. Auch die Innenseiten von Muscheln wurden häufig mit Szenen berühmter Geschichten bemalt. Bei dem Spiel „kai-awase“ gehört immer ein Muschel-Paar zusammen. Das Spiel ähnelte dem heutigen Memory.
Der Ausstellungskatalog ist unbedingt betrachtens- und lesenswert, denn …
… er ist ein Meisterwerk.
Die Anordnung der Texte und Abbildungen ist gut durchdacht und wunderbar aufeinander abgestimmt. Die Texte sind sehr informativ, sowohl für ein Fachpublikum wie auch für Leserinnen und Leser ohne große Vorkenntnisse. Dies funktioniert über leicht verständliche Erklärungen und mittels unzähliger Querverweise in den Fußnoten.
Die Erzählstränge der zuweilen sehr ausufernden literarischen Quellen werden übersichtlich zusammengefasst, die Objekte fachkundig und zugleich anschaulich beschrieben. Die Texte sind hervorragend lektoriert.
… er bietet mit traumhaften Abbildungen eine unglaubliche Einsicht in die Werke.
Der Ausstellungskatalog glänzt mit einer wunderbaren Opulenz, einem Spektakel an Farben und Formen. Er ist ein Augenschmaus selbst für ein Bild-verwöhntes Publikum oder, wie Annette Bhagwati, Direktorin des Museums Rietberg, formuliert: „Illuminationen, die einen Rausch aus Sinnlichkeit, Drama und Pracht erzeugen.“ (S. 6)
Durch Fotos von höchster technischer Qualität kann der Katalog diese Schönheit der Objekte vermitteln. Wie durch den Zoom einer Kamera sieht man die Ausstellungsstücke: manchmal verkleinert, um den Umfang einer sehr langen Querrolle zu vermitteln, dann wieder in maximaler Vergrößerung, in der einem die dargestellten Figuren in nicht gekannter Größe gegenübertreten. Die Vergrößerungen offenbaren in feiner Strichführung die Ornamentik der Objekte: Baumstrukturen, Muskeln und Haare, manchmal kleinste Härchen am Bart einer Figur. Die mit goldener Tusche gezeichneten Striche, Blattgoldsprenkel und Silberfäden scheinen hervor. Dies vermittelt den Eindruck, man könne die Textur der Materialoberflächen berühren und spüren.
Die Abbildungen sind nach ihrer Funktion strukturiert:
– Kleinere Abbildungen (mit der Bezeichnung „Abb. xy“) begleiten die einzelnen Texte und dienen zur Veranschaulichung der Erklärungen.
– Größere Abbildungen (mit einfach durchgehender Nummerierung) sind Katalogabbildungen der Ausstellungsstücke. Sie stehen im Hauptteil im Vordergrund, werden dort in den Begleittexten eingehend beschrieben und interpretiert.
– Außerdem gibt es großformatige Abbildungen, die über eine ganze Seite gehen. Fünf davon stehen vor jedem Kapitel des Hauptteils. Es sind vergrößerte Ausschnitte der Katalogabbildungen von Objekten, die im anschließenden Kapitel vorgestellt werden. Sie verführen zum Betrachten und Staunen, ziehen in das Kapitel hinein, verleiten zum Schmökern. Es macht Freude, nach der Lektüre zurückzublättern und die Abbildungen mit dem neuen Wissen noch einmal zu bewundern.
– Zudem gibt es an sieben Stellen ausklappbare Seiten, auf denen lange Bildrollen dargestellt sind.
… er ist ein umfangreicher Forschungsbericht.
Die Texte des Katalogs loten die verschiedensten Verhältnisse von Text und Bild aus und machen dabei keinen Unterschied zwischen bildender und dekorativer Kunst, von Kunst und Kunsthandwerk. In zahlreichen Fußnoten werden Verknüpfungen gezogen, Zusammenhänge und Querverweise innerhalb des Katalogs aufgezeigt, Hinweise auf Sekundärliteratur gegeben.
Sowohl die Vielseitigkeit der Objekte als auch ihre Herkunft aus den verschiedensten Sammlungen lassen ahnen, wie weitreichend um umfassend die Vorbereitungen für diese Ausstellung gewesen sein müssen. Das Zusammenwirken der drei Kuratorinnen ist bemerkenswert und wegweisend.
Sie arbeiteten die neuesten Entdeckungen von Objekten aus europäischen Sammlungen hervorragend auf und schufen so einen Ausgangspunkt für weitere Forschungsvorhaben.
Susanne Phillipps
20. Juni 2024 (Ausgabe 15)
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Bildnachweis
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Buch-Arrangement Narrative Kunst: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk
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07: Von Tawaraya Sôtatsu – L'Empire du regard – Mille ans de peinture japonaise – éditions Groupe Libella Phébus, Paris – auteur: Maurice Coyaud – langue: français – mois: novembre – année: 1981 – pages: 256 – isbn: 2859400397 – passage: 170-171., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=24338839
08: Von Katsukawa Shunshō – Honolulu Museum of Art, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36792172
09: Von Mori Kansai – Yamaguchi Prefectural Art Museum, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39532356
10: Von Utagawa Kuniyoshi – https://www.britishmuseum.org/collection/object/A_2008-3037-04343, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89873519
11: Von HANSHIITI PHOTO Co.,Ltd. – Masterpieces of Japan Arts Vol 5th, TOHTO BUNKA KOEKI Co.,Ltd. Tokyo, 1953-09-30, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17224363
12: Von Anonym (Japan) – Walters Art Museum: Home page Info about artwork, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18830716
13: By Ogata Kōrin (1658-1716) – Metropolitan Museum of Art, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62587803
14: By Ogata Kōrin (1658-1716) – Metropolitan Museum of Art, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62587802
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17: By 高階隆兼(模写:板橋貫雄) – https://dl.ndl.go.jp/ja/pid/1287490/1/5, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146240670
18: By 不明、500年以上前に死亡 – Kasuga Gongen Genki E, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=60401990
19: By Daderot – Own work, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70301943
20: By Unknown author – Woodblock reproduction, published in 1941 by Sinbi-Shoin Co., Tokyo, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1982174
21: By Unknown author – http://www.emuseum.jp/detail/100332, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18570004
22: By Unknown author – The Bodleian Library, Oxford, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41963931
23: By Kanō Sansetsu – Chester Beatty Library, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27951961
24: By Unknown author – From the Japanese book "栂尾山高山寺 (Toganosan Tōsan-ji Temple)"[1], Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146304756
25: By Attributed to Enichibō Jōnin – Kyoto National Museum, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7857923
26: Von Ismoon (Diskussion) 15:17, 10 December 2018 (UTC) – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74972112
27: By Jean-Pierre Dalbéra from Paris, France – Peinture sur coquillage (musée d'art oriental, Venise), CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37213006
28: By Keramini – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62801759