Ganz Japan, in Wörter gepackt

Die drei Bände des Großen deutsch-japanischen Wörterbuchs, zwei davon aufgeschlagen, eines im Karton-Schuber

Großes japanisch-deutsches Wörterbuch. In drei Bänden herausgegeben von Jürgen Stalph, Irmela Hijiya-Kirschnereit, Wolfgang Schlecht und Ueda Kōji. München: Iudicium. 2009‒2022.

Zunächst einmal ist es der schiere Umfang des Vorhabens, der beeindruckt: Das Nachschlagewerk ist in drei Bänden angelegt und damit das größte Projekt seiner Art, das umfangreichste japanisch-deutsche Wörterbuch, das es bisher gegeben hat. Auf mehr als 7.500 zweispaltigen Seiten werden über 130.000 Stichwörter mit mehreren Hunderttausend Zusammensetzungen und Anwendungsbeispielen aufgelistet, dazu ca. 70.000 Satzbelege mit Quellenangaben aus Zeitungen und Zeitschriften, Werbung, Wissenschaft und Literatur. Zusätzlich zu Begriffen des allgemeinen Sprachgebrauchs fanden Fachwörter aus allen denkbaren Disziplinen Eingang. Also: ein wahrlich großes Wörterbuch, ein daijiten.

Neben seinem Umfang gibt es aber weitere Aspekte, die es zu einem ganz besonderen Nachschlagewerk machen. Wörterbücher werden gemeinhin als mehr oder weniger praktische Hilfsmittel betrachtet, laut Wikipedia ist ein Wörterbuch „ein Nachschlagewerk, das Wörter oder andere sprachliche Einheiten in einer meist alphabetisch sortierten Liste verzeichnet und jedem Eintrag (Lemma) erklärende Informationen oder sprachliche Äquivalente zuordnet.“ Die Informationen können sprachlicher Art, sachbezogen oder eine Mischform aus beidem sein. (Wikipedia: Wörterbuch).

Welche Informationen bietet also das „Große japanisch-deutsche Wörterbuch“?

Ein Blick in die Geschichte

Einsprachige Wörterbücher wie der „Duden“ richten sich in erster Linie an Muttersprachler/innen. Neben den Wortbedeutungen vermitteln sie zusätzliche Informationen etwa zu Aussprache, Grammatik oder Herkunft und Geschichte eines Wortes (Etymologie). Die wenigsten Wörterbücher sind allerdings Universalwörterbücher, sondern setzen mit der Auswahl ihrer Stichwörter einen bestimmten Schwerpunkt und sind damit ein Spezialwörterbuch für ein ausgesuchtes Fachgebiet.

01. Wörterbücher begleiten die Menschen seit Jahrtausenden. Hier ein Wörterbuch aus Uruk, um 600 v. Chr.

Steinplatte mit systematisch angeordneten Schriftzeichen.
Das japanische Wörterbuch Kōjien im Schuber auf einem Schreibtisch stehend.
Buchrücken des Kōjien neben dem Eintrag „Friedrich von Schiller“.

02.-03. Das wichtigste einsprachige Universalwörterbuch des Japanischen ist das „Kōjien“ („Großer Garten der Wörter“).

Doppelseite eines Buches mit systematisch angeordneten chinesischen Schriftzeichen.

04. Das „Wamyō ruijushō“ (oder „Wamyō ruijūshō“, wörtl. „Japanische Namen [für Dinge], klassifiziert und kommentiert“) stammt aus dem Jahr 934 und ist das älteste erhaltene Wörterbuch Japans, das in Überschriften mit Bedeutungseinheiten gegliedert ist. Entwickelt wurde diese Form des lexikografischen Sortierungssystems in chinesischen Wörterbüchern.

Der Gelehrte der Heian-Zeit Minamoto no Shitagō (911–983) begann 934 auf Wunsch der Tochter von Tennō Daigo mit der Zusammenstellung. (Wikipedia: Wamyō ruijushō)

Doppelseite des Bildwörterbuchs, auf der rechten Seite das Silbenalphabet „I-ro-ha“, auf der linken Seite Skizzen zu Wörtern mit der Anfangssilbe „i“.
Doppelseite des Bildwörterbuchs, Skizzen zu Wörtern mit der Anfangssilbe „ho“.
Doppelseite des Bildwörterbuchs, Skizzen zu Wörtern mit der Anfangssilbe „me“.

05.1-05.3. „Das schnelle Bild-Wörterbuch“ („Ehon hayabiki“) von Katsushika Hokusai (Edo-Zeit, siehe auch die Empfehlung zu Hokusai Manga).

Traditionell werden in japanischen Veröffentlichungen Text und Bild oft miteinander kombiniert, da bieten sich Bildwörterbücher geradezu an.

Zweisprachige Wörterbücher werden herangezogen, um Wörter oder Sätze von einer Ausgangs- in eine Zielsprache zu übersetzen. „Unidirektional“ bedeutet dabei, dass die Übersetzung nur von einer in die andere Sprache gegeben wird (z.B. englisch > deutsch), „bidirektional“ aus beiden Sprachen in die jeweils andere (z.B. englisch > deutsch und deutsch > englisch).

Bei dem vorliegenden Wörterbuch handelt es sich also um ein zweisprachiges, unidirektionales Wörterbuch, zu dem es eine Zahl von Vorgängern gibt.

Im 16. Jahrhundert setzte mit der Ankunft der Portugiesen auf Kyūshū zum ersten Mal in Japan eine rege Übersetzungstätigkeit in eine europäische Sprache ein.

Gedruckte Titelseite, im Zentrum die reich verzierten Buchstaben „IHS“ für „Iesum Habemus Socium“ („Wir haben Jesus als Gefährten“).

06. Titelseite des Wörterbuches „Vocabulario da lingoa de Japam“, ein japanisch-portugiesisches Wörterbuch, das 1603 in Nagasaki von Jesuiten erstellt wurde.

Zweispaltig gedruckte Seite mit Einträgen japanischer Wörter in Umschrift und ihrer portugiesischen Übersetzungen.

07. Beispielseite des japanisch-portugiesischen Wörterbuchs.

Sechszeiliger Wörterbucheintrag „Saqe“.
Zweizeiliger Wörterbucheintrag „Tofu“.
Dreizeiliger Wörterbucheintrag „Xoyu“.

08.1.-08.3. Die Einträge für Sake („Saqe“), Tōfu („Tofu“) und Shōyu („Xoyu“).

Titelseite von „Reisen in Afrika und Asien, vorzüglich in Japan, während der Jahre 1772 bis 1779“

09. Reisebericht von Karl Peter Thunberg (1743-1828).

Ende des 18. Jahrhunderts erschien ein erstes japanisch-deutsches Wortverzeichnis: Unter dem Titel „Reisen in Afrika und Asien, vorzüglich in Japan, während der Jahre 1772 bis 1779“ erschien 1792 eine erste, gekürzte Übersetzung des Berichts von Karl Peter Thunberg, des schwedischen Naturforschers und Weltreisenden (1743-1828). Der Band enthält unter der Überschrift „eine Probe von einem japanischen Wörterbuche“ eine Liste von mehr als 870 deutschen Stichwörtern, dazu Erklärungen zur Grammatik und Satzbeispiele.

Seit der Öffnung Japans in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind weit über eintausend Wörterbücher zum Japanisch-Deutschen entstanden. Dabei gibt es viel mehr deutsch-japanische als japanisch-deutsche Wörterbücher.

Diese Informationen stammen aus: Irmela Hijiya-Kirschnereit: „Wilde Gänsejagd. Eine Einführung in die japanisch-deutsche Lexikographie“, Vortrag in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 18.10.2018.

Genaue Zahlen zu Wörterbüchern enthält der Band von Jürgen Stalph und Harald Suppanschitsch (1999), auf den sich auch I. Hijiya-Kirschnereit bezieht: „Wörterbücher und Glossare. Eine teilannotierte Bibliographie japanisch-deutscher und deutsch-japanischer Nachschlagewerke“ 和独独和辞典・用語集解題 (Bibliographische Arbeiten aus dem Deutschen Institut für Japanstudien der Philipp Franz von Siebold Stiftung, Band 5) München: Iudicium.

Der Vorgänger des jetzt erschienenen Wörterbuchs, das „Große Japanisch-Deutsche Wörterbuch“ von Kimura Kinji, wird seit Jahrzehnten immer wieder nachgedruckt. Der Wortschatz reicht allerdings nur bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Seither klafft eine riesige lexikographische Lücke von mehr als 80 Jahren.“ (Irmela Hijiya-Kirschnereit: a.a.O.)

10. Der „Große Kimura“.

Kinji Kimura, Großes Japanisch-Deutsches Wörterbuch: das Buch in braunem Umschlag neben dem gelblichen Schuber aus Pappe.

Vier Herausgeber, eine Herausforderung

Irmela Hijiya-Kirschnereit, Jürgen Stalph und Wolfgang Schlecht sind Japanologen, Ueda Kōji ist Germanist. Sie alle sind in den Geistes- bzw. Kulturwissenschaften tätig und haben Jahrzehnte lange Erfahrung im Übersetzen literarischer Texte. Zugleich verfassten sie zahlreiche Aufsätze, in denen sie den Kulturexport Japans beobachteten, sie formulierten theoretische Überlegungen zur Übertragung von Texten und kulturellen Werken allgemein.

Ihren ersten Übersetzungen literarischer Texte wurden Begriffen wie „Futon“, „Sake“ oder „Sushi“ noch erklärende Fußnoten beigefügt. Inzwischen, nach einer weltweiten Begeisterung vor allem für japanische Populärkultur, sind diese und andere Wörter zum Allgemeingut geworden.

Doch trotz dieser Begriffe, die inzwischen bekannt sind, gibt es vieles, das in der anderen Sprache nicht vorhanden ist, für das es keinen Ausdruck gibt, der dem Original direkt entsprechen würde. Wörter müssen in die Zielsprache eingebettet werden, sie müssen in ihrem Kontext aufgehen. Und dies ist die Herausforderung, der sich dieses Wörterbuch stellt: Es gibt mehr als alle anderen Wörterbücher Beispiele für die Anwendung der Stichwörter. „Wörter brauchen Kontext, sie leben im Verbund.“ (Jürgen Stalph, Vorwort, I 9). Was ist damit gemeint?

Sprachwissenschaftlich gesehen

Eine Sprache funktioniert als komplexes System, bei dem man Einheiten und ihre Strukturen auf verschiedenen Ebenen unterscheidet. Die Laute (Phonetik/ Phonologie) formen sich zu Silben und bilden Wörter (Morphologie), es entstehen Sätze (Syntax) mit bestimmten Bedeutungen (Semantik), die sich je nach der Situation, in der ein Satz ausgesprochen wird, voneinander unterscheiden können (Pragmatik).

Alle Ebenen spielen zusammen, und wenn Sprachen nicht weit auseinander liegen, gibt es auf den verschiedenen Ebenen große Übereinstimmungen. Dies ist aber mit dem Japanischen und dem Deutschen nicht der Fall. Es gibt kaum Symmetrien auf der Wortebene, d.h. auf der lexikalischen Ebene, die in einem Wörterbuch erfasst wird: Generell haben Wörter mehrere Bedeutungsnuancen, und in der Zielsprache gibt es meist kein Wort, das genau die identischen Bedeutungsaspekte umfasst. So gibt es im Japanischen beispielsweise den „Bruder“, aber es gibt ihn vor allem als „älteren Bruder“ und als „jüngeren Bruder“. Die Bedeutungsgrenzen zwischen den Wörtern werden anders gezogen, es gibt andere Aspekte, die wichtig sind.

Und das ist das Anliegen dieses Wörterbuchs: zu zeigen, wie ein Wort in der jeweils anderen Sprache funktioniert – wie es eingesetzt wird, an welcher Stelle es steht, mit welchen Wörtern es kombiniert wird, um bestimmte Nuancen zu schaffen. „Zweisprachige Wörterbücher […], die neben der akribischen Dokumentation des Wortschatzes auch nachzeichnen, auf welche Weise eine andere Sprache anders ist und welche lexikalischen oder syntagmatischen Wege in diesem Anderssein typischerweise beschritten werden, spiegeln in der Summe dann nicht nur Wörter, sondern […] Kulturen […].“ (Vorwort, Jürgen Stalph, I 9).

Herausgekommen ist also kein einfaches Glossar, das Wort neben Wort stellt, keine Auflistung von Wortentsprechungen, sondern ein Angebot, in die andere Sprache einzutauchen mit ihrer speziellen Sicht auf die Welt, denn „gutes Übersetzen heißt: kontextuell großzügiges Übersetzen.“ (Irmela Hijiya-Kirschnereit: a.a.O.)

Ziel ist es, zwischen dem Ausgangs- und dem Zieltext eine ästhetische Äquivalenz herzustellen, den Ausdruck in beiden Sprachen mit möglichst gleicher Bedeutung ähnlich klingen zu lassen. Und dies bedeutet, dass es sein kann, dass in einem Übersetzungsbeispiel das eigentliche Stichwort gar nicht vorkommt, sondern der Sachverhalt in der Zielsprache ganz anders ausgedrückt wird.

Scherenschnitt einer Verfolgungsszene, bei der durch die Wahl eines Bildausschnitts Täter und Opfer vertauscht werden.

11. „Context matters“ – So geht es jedem einzelnen Wort, das in seiner sprachlichen Umgebung eine spezifische Bedeutung annehmen kann.

Der Aufbau der Artikel

Um die Bedeutung eines Stichworts kontextbegleitend in die neue sprachliche Umgebung zu bringen, greifen die Eintragungen in dem Wörterbuch weit über die lexikalische Ebene hinaus. Es braucht zwei verschiedene Schriftarten und eine Menge typografischer Zeichen, die wie Verkehrszeichen dazu dienen, die Benutzerinnen und Benutzer geschmeidig durch die einzelnen Einträge zu leiten.

Das eigentliche Stichwort, die Angaben zur Wortart, die deutschen Entsprechungen, Ableitungen, Zusammensetzungen und Beispielsätze sind in der Standardschrift Times New Roman wiedergegeben, eine weitere Schriftart (Vera Humana 95) wird genutzt, um zusätzliche Erläuterungen, Anmerkungen, Herkunftsangaben, Verweise auf Antonyme usw. anzuführen. Auch Anmerkungen in Fettdruck und Kursivierung transportieren bestimmte Arten von Informationen. Die Abkürzungen und Symbole sind meist selbsterklärend und bleiben deshalb bei der Vermittlung des Inhalts fast unbemerkt.

Alle Einträge haben als zugrunde liegende Struktur eine feste Schablone (I 19). Zu ihr gehören unter anderem das Stichwort in Umschrift, in japanischer Schreibung, die Wortart, Varianten der Lesung, Angaben zur Herkunft, zum Stil, zum Fachgebiet, typische Verwendungsweisen, Beispielsätze und Quellen, Sprichwörter und ggf. Anmerkungen.

Langer Wörterbucheintrag zu „baai“.

12. Ausschnitt aus einer Beispielseite zum Buchstaben „B“: der Eintrag „baai“.

Zwei Asterisken vor dem Stichwort kennzeichnen das Wort als Teil des Grundwortschatzes.

Im ersten Absatz werden die Bedeutungen aufgeführt, im zweiten Absatz (hinter dem weißen Karo) Beispielsätze, im dritten Absatz (hinter dem schwarzen Dreieck) ausgesuchte Zitate aus Quellen.

In kleinerer Schrift steht hinter jedem Zitat die Quellenangabe.

Wörterbucheintrag zu „baggu“.

13. Der Eintrag „baggu“.

Der Pfeil „<“ bedeutet: „entstanden aus“, „kommt von“. Das Wörterbuch führt gesicherte Angaben zur sprachgeschichtlichen Entwicklung japanischer Wörter an, bei Begriffen, die aus anderen Sprachen entlehnt wurden, deren Herkunft.

Wörterbucheintrag zu „bai“.

14. Der Eintrag „bai“.

Kapitälchen kennzeichnen Fachgebiete, hier: „(ZOOL)“ für „Zoologie (Fauna)“, dahinter die Erklärung des Begriffs als Jahreszeitenwort in der Literatur.

Allgemeinwortschatz und Fachbegriffe

Die Einträge umfassen japanische Begriffe der Moderne: von der Meiji-Zeit bis in die Gegenwart. Es versammelt die Wörter eines universal angelegten Nachschlagewerks und ergänzt diese mit dem Fachwortschatz von knapp 90 Spezialgebieten (I 30): aller wesentlichen Wissenschafts- und Technikbereiche wie der Architektur, Flora und Fauna, Medizin, Mathematik, Wirtschaft und der Finanzen, aber auch ausgefallenere Bereiche wie der Luftfahrt, des Brauereiwesens, des Holzbaus, der Nautik oder des Tanzes.

Basis der Einträge sind bedeutende ein- und zweisprachige Wörterbücher, allgemeine wie spezielle. Im Japanischen wurden zum Beispiel auch Wörterbücher für lautmalende Wörter (Onomatopoetika) oder Lehnwörter herangezogen, dazu Sammlungen von Sprichwörtern und ausgesuchte Zeichenwörterbücher. Auf der deutschen Seite stehen neben der Brockhaus Enzyklopädie und Wörterbüchern verschiedener Ausrichtungen aus der Duden-Redaktion eine Zahl an Spezialwörterbüchern wie zum Beispiel zu Gartengehölzen, zu Musikinstrumenten und Mode.

Skizze, die über mehrere Figuren Personen-, Orts- und Zeitbeziehungen im Englischen veranschaulicht.

15. Jede Person bildet mit jeder Aussage ein sprachliches Zentrum, einen Punkt, an dem sie sich an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst verortet (deiktisches Zentrum). Mit bestimmten Ausdrücken werden Beziehungen zur Umwelt – zu anderen Personen, Orts- und Zeitbezüge, Nähe und Distanz – geschaffen, die von Sprache zu Sprache sehr verschieden sind. Dieses Schaubild verdeutlicht die hinweisende Funktion von Wörtern in der englischen Sprache.

Das Japanische verfügt z.B. über ein ausgefeiltes System an Pronomen, über das hierarchische Beziehungen ausgedrückt werden können. Sie haben in das Wörterbuch mit Beispielen Eingang gefunden.

Eine breite Palette möglicher Ausdrücke

Mit sozialen Sprachvarianten und Begriffen aus Sondersprachen wird ein sehr breites sprachliches Feld erfasst. Aufgenommen wurden beispielsweise dialektale, pejorative und Slang-Wörter, saloppe, scherzhafte, poetische, derbe, euphemistische, förmliche, höfliche und nur in der Schriftsprache gebrauchte Ausdrucksweisen (I 23).

Wörterbucheintrag zu „babattchii“.

16. Der Eintrag „babatchii“, ein Beispiel für einen Ausdruck der Kindersprache. Auch Gaunersprache und andere Gruppensprachen wie Kaufmannssprache oder Schülersprache werden gesondert gekennzeichnet (I 24).

Bunte Landkarte Japans mit den verschiedenen Dialektbereichen.

17. Die Wörterbucheinträge umfassen auch Dialekte, d.h. lokale Variationen der Sprache.

Hier eine Karte der japanischen Dialekte.

Eintauchen in die Kulturen:

Harry Potter, die Bibel und die Brüder Grimm auf Japanisch und Deutsch

Titelseite des Deutschen Wörterbuchs, in der Seitenmitte das Bild eines Engels mit einem Schild im Arm: „Im Anfang war das Wort“.

18. „Im Geist der Brüder Grimm“ titelte Viktoria Eschbach-Szabó ihre Besprechung des ersten Bandes des Wörterbuchs in der NZZ (19.08.2010). – Hier die Titelseite des ersten Bandes des (einsprachigen) Wörterbuchs der Brüder Grimm …

Portraitfoto der Brüder Grimm, der eine sitzend, der andere hinter ihm stehend.

19. … und ein Foto der Sprachwissenschaftler und Volkskundler Wilhelm und Jacob Grimm von 1847. Gemeinsam sammelten sie die Kinder- und Hausmärchen und gaben das Deutsche Wörterbuch heraus, lehrten die enge Verbindung zwischen Sprache und Kultur.

Das Quellenverzeichnis am Ende des dritten Bandes umfasst 28 Seiten, im Schnitt werden etwa 28 Werke pro Seite angeführt, das Verzeichnis listet also über 770 Quellen auf. Neben Wörterbüchern zur Sammlung der Stichwörter gibt es viele weitere Titel, die als Quellen für die Beispielsätze dienten, wie japanische Zeitungen und Zeitschriften (z.B. „Asahi shinbun“, „Aera“, „Chūnichi shinbun“, „Friday“, „Mainichi shinbun“, „Yomiuri shinbun“), die Japanische Straßenverkehrsordnung oder das Japanische Zivilgesetzbuch in deutscher Sprache.

Der größte Teil der Quellen stammt aus dem Kanon der modernen japanischen Literatur. Die Bücher wurden im japanischen Original und parallel in der deutschen Übersetzung durchgearbeitet. Vor dem inneren Auge sieht man förmlich die Markierungen, die Anmerkungen und bunten Zeiger aus den jeweiligen Büchern herausquellen.

Portraitfoto in Schwarz-weiß.
Foto an einem Tisch voller Zeitungen, im Hintergrund ein Bücherregal.
Schwarz-weiß-Foto im Kimono.
Portraitfoto in Schwarz-weiß.
Portraitfoto in Schwarz-weiß.

Abb. 020.1-020.5. Die Beispielsätze sind Erzählungen von Vertreterinnen und Vertretern der modernen japanischen Literatur entnommen: unter anderem von Abe Kōbō, Akutagawa Ryūnosuke (20.1), Ariyoshi Sawako (20.2), Dazai Osamu, Enchi Fumiko, Endō Shūsaku, Ibuse Masuji, Inoue Yasushi (20.3), Kawabata Yasunari, Kawakami Hiromi, Kikuchi Kan, Kōno Taeko (20.4), Kunikida Doppo, Mishima Yukio, Miyamoto Yuriko, Miyazawa Kenji, Mori Ōgai, Murakami Haruki, Nagai Kafū, Natsume Sōseki, Nosaka Akiyuki, Ōe Kenzaburō, Shiga Naoya (20.5), Tanizaki Jun’ichirō, Tayama Katai.

Dazu kommen Originale des deutschsprachigen Literaturkanons und ihre japanischen Übersetzungen, wie Texte von Bertolt Brecht, der Brüder Grimm, von Lothar-Günther Buchheim, Michael Ende, Johann Wolfgang von Goethe, Franz Kafka, Erich Kästner, Thomas Mann oder Patrick Süskind.

Außerdem wurden Zitate aus japanischen und deutschen Übersetzungen bedeutender literarischer Texte anderer Sprachen aufgenommen, wie Ausschnitte aus der Bibel, aus Texten von Jorge Luis Borges, Albert Camus, Ernest Hemingway, James Joyce, Vladimir Nabokov, Edgar Allan Poe, Joanne K. Rowling, Antoine de Saint-Exupéry oder Mark Twain.

– Alles in allem ein Zitatenschatz, der bei einem japanisch-deutschen Wörterbuch nicht zu erwarten ist.

Nahaufnahme rosafarbener Blüten.

21. Pflaumenblüten – ume: Jahreszeitenwort (kigo) für Frühling. Jahreszeitenwörter werden in der traditionellen japanischen Lyrik (renga, haikai, haiku) benutzt, um auf eine bestimmte Zeit im Jahr Bezug zu nehmen. In japanischen einsprachigen Wörterbüchern werden sie generell aufgeführt (I 18).

Ein Wörterbuch zum Nachschlagen, zum Schmökern, zum Lernen, zum Lesen, zum Genießen

Eine große Herausforderung für Lexikographen besteht darin, die Funktionen eines Wörterbuchs genau zu umreißen. Deshalb bestand der Seminarleiter meines ersten „Einführungskurs in die japanologischen Hilfsmittel“ stets darauf, die „Hinweise für die Benutzer“ (hanrei) von Nachschlagewerken durchzulesen. Das ist die Gebrauchsanweisung, hier erfahren die Benutzerinnen und Benutzer, für wen und zu welchem Zweck das Werk konzipiert wurde und wie die Informationen vermittelt werden. Im vorliegenden Fall umfassen die „Hinweise“ 19 Seiten. Sie spiegeln die grundsätzlichen Entscheidungen zur Sammlungstätigkeit und zur Aufbereitung der Informationen.

Aus der hanrei des „Großen japanischen-deutschen Wörterbuchs“ geht hervor, dass es als Zeitdokument zu verstehen ist: als umfassende Momentaufnahme des modernen Japanisch.

Mit der Umschrift (Transkribierung) der japanischen Anwendungsbeispiele und mit den grammatikalischen Hinweisen – hinter jedem Verb erscheint beispielsweise die Verneinungs- und Vergangenheitsform, sodass die Flexionsart des Verbs deutlich wird – bezieht das Wörterbuch konsequent die Perspektive deutschsprachiger Benutzerinnen und Benutzer mit ein.

Mit einem gewissen Maß an sprachlichem Vorwissen führt der Gebrauch dieses Wörterbuchs zu einer unglaublichen Bereicherung des Wortschatzes: Die Vielzahl der Anwendungsbeispiele, die Redewendungen und Zitate bieten einen neuen, sprachlich aktuellen und umfassenden Zugang zum Japanischen.

Das Wörterbuch ist somit kein bloßes Hilfsmittel, es ist ein Lesebuch. Manchmal erzählen Schriftstellerinnen und Schriftsteller davon, dass Wörterbücher zu ihrer Lieblingslektüre gehören. Mit dem „Großen japanisch-deutschen Wörterbuch“ kann das passieren, denn beschäftigt man sich regelmäßig damit, gelangt man unweigerlich zu der Frage: Was macht die japanische Sprache aus und was die deutsche?

Verschiedene Wörter in unterschiedlichen Farbabstufungen zwischen Grün und Gelb, waagrecht und senkrecht angeordnet.

22. Schlagwortwolke zum Wikipedia-Stichwort „Geographischer Raum“.

Eine Schlagwortwolke ist eine Methode zur Informationsvisualisierung, bei der eine Liste aus Schlagwörtern […] flächig angezeigt wird, wobei einzelne unterschiedlich gewichtete Wörter größer oder auf andere Weise hervorgehoben dargestellt werden (Wikipedia: Schlagwortwolke).

In ähnlicher Weise tasten die Einträge in dem Wörterbuch mit den Beispielsätzen die Wortbedeutungen der Stichwörter ab.

Gedruckt oder digital?

Das „Große japanisch-deutsche Wörterbuch“ ist digital, was im Zeitalter der maschinellen Übersetzung selbstverständlich ist. Aber wenn sich der Trend fortsetzt, dass kurzlebige Informationen eher digital, Bücher mit bleibendem Inhalt eher im Druck erscheinen, dann gehören diese drei Bände trotz aller Praktikabilität des digitalen Übersetzens in gedruckter Form in die Regale von Hochschulen, Bibliotheken und anderen Institutionen. Und – falls es finanziell möglich ist – in die Regale von Japanbegeisterten.

Otsukare-sama deshita.

– otsukare-sama: das Müdesein (von einer Anstrengung), das Erschöpftsein; oft in der Form otsukare-sama desu/deshita (als Dank, Gruß o.ä. nach oder bei einer Arbeit oder anderen anstrengenden Tätigkeiten verwendet): „Vielen Dank für Deine/Ihre Mühe!“ // „Das war sicher anstrengend.“ // „Du bist/Sie sind jetzt sicher müde.“ –

(Großes japanisch-deutsches Wörterbuch, Band III, Eintrag „otsukare-sama“)

„Das Erstellen eines Wörterbuches ist ein komplexer und meist langwieriger Prozess. Bei allen größeren Projekten wird die Arbeit von mehreren Personen ausgeführt. Sie führt zu einem gedruckten Wörterbuch, einem elektronischen Wörterbuch oder zu einer lexikalischen Datenbank, die Grundlage für beides sein kann.“ (Wikipedia: Lexikographie)

Genau das ist hier gelungen, über 25 Jahre hinweg. Im Herbst 1997 hatte der wissenschaftliche Beirat des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) in Tōkyō dem Vorschlag von Irmela Hijiya-Kirschnereit zugestimmt, ein japanisch-deutsches Wörterbuch zu erstellen; im folgenden Jahr nahmen die Herausgeber die Arbeit auf (Jürgen Stalph, Vorwort, I 9). Um ein Vorhaben in einer so riesigen Dimension anzugehen, ist es wohl fast notwendig, sich gar nicht ausmalen zu können, welche Risiken und Gefahren die Ausführung birgt. In der Folge erschienen Band I (A-I; 2009), Band II (J-N; 2015) und nun, im März 2022, abschließend der letzte Band, Band III (O-Z).

Mit wohligem Schaudern schlägt man die zarten Seiten um, schaut auf den Fleiß und die konsequente Genauigkeit, die notwendig sind, um die geforderte Einheitlichkeit über das gesamte Projekt hinweg durchzuziehen.

Doch dies ist nur ein Aspekt. Ein weiterer ist das Vermögen, aussagekräftige Textpassagen in gelungenen Übersetzungen aus den Quellen herauszufiltern. Mit den Beispielsätzen entstand zugleich eine Hommage an die Übersetzerinnen und Übersetzer der letzten Jahrzehnte.

Man sieht es dem Werk an: Die 25 Jahre müssen eine riesige Herausforderung des Koordinierens, des Finanzierens und des gemeinsamen Durchhaltens gewesen sein. Dies gilt für die Herausgeber, die auf einer langen Liste versammelten Sponsoren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wörterbuchs und die des Iudicium-Verlags: Für diejenigen, die im Zentrum des Projekts standen, wurde es zum Lebenswerk. In der Geschichte der Nachschlagewerke wird das „Große japanisch-deutsche Wörterbuch“ einen äußerst prominenten Platz einnehmen.

Susanne Phillipps

21.06.2022 (Ausgabe 07)

Datenschutzhinweis: An dieser Stelle ist eine Anmerkung notwendig. Ich habe meine Website selbst erstellt, sie nutzt weder Cookies für Webtracking noch Web-Analyse-Programme. Ich verweise auf meine Datenschutzerklärung und verstehe die weitere Nutzung meiner Website als Einverständniserklärung.

Bildnachweis

Header: Von Bruno Cordioli from Milano, Italy – Kimono enchantment, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10405206, Ausschnitt, Schrift eingesetzt.

Buch-Arrangement GJDW: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk

01: Von Hermann Junghans – Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0,

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28058686

02: Von Takayoshi Nishida – R0004116, CC BY-SA 2.0,https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44025601

03: Von Fraxinus2 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87648262

04: Von Минамото-но Ситаго – http://archive.wul.waseda.ac.jp/kosho/ho02/ho02_06479/ho02_06479_0008/ho02_06479_0008_p0016.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36130890

05.1: Von Katsushika Hokusai – Diese Datei wurde als Teil des Partnerprojektes mit dem Metropolitan Museum of Art an Wikimedia Commons gespendet. Siehe auch die Dateiquellen und Zugriffsberechtigungen ein., CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59495661

05.2: Von Katsushika Hokusai – Diese Datei wurde als Teil des Partnerprojektes mit dem Metropolitan Museum of Art an Wikimedia Commons gespendet. Siehe auch die Dateiquellen und Zugriffsberechtigungen ein., CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59495669

05.3: Von Katsushika Hokusai – Diese Datei wurde als Teil des Partnerprojektes mit dem Metropolitan Museum of Art an Wikimedia Commons gespendet. Siehe auch die Dateiquellen und Zugriffsberechtigungen ein., CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59495664

06: Von Autor unbekannt – https://archive.org/details/nippojishovocabv06doit, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=95333640

07: Von Societas Jesu – Vocabulario da Lingoa de Iapam com Adeclaração em Portugues (Foto: Japanese National Diet Library), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22297421

08.1: Von Autor unbekannt – https://archive.org/details/nippojishovocabv06doit, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=95333946

08.2: Von Autor unbekannt – https://archive.org/details/nippojishovocabv06doit, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=95333979

08.3: Von Autor unbekannt – https://archive.org/details/nippojishovocabv06doit, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=95334088

09: Von Carl Peter Thunberg (1743-1828) – This file was uploaded to Wikimedia Commons in the context of the Expedition Wikipedia project., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31916856

10: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk.

11: Von ziliun.com – https://teacherhead.com/2017/05/12/context-is-king-shortblog/, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64372250

12: © Iudicium Verlag, München

13: © Iudicium Verlag, München

14: © Iudicium Verlag, München

15: Von Wesn – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23637208

16: © Iudicium Verlag, München

17: By Maximilian Dörrbecker (Chumwa), translations provided by ブローデルゼン尾田佳代- Own work, using this file for the dialects and this file for the pitch accents, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19397291

18: Von Brothers Grimm, Verlag von S. Hirzel, Leipzig – Scan by Raimond Spekking, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1053412

19: Von Hermann Biow – [1], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=78917236

20.1: By Unknown author – http://www.ca-kugenuma.com/concept/index.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=33720694

20.2: Von 主婦と生活社 撮影者不明- 主婦と生活社『主婦と生活』4月号(1960)より, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=58032940

20.3: By 朝日新聞社- 『アサヒグラフ』1955年10月19日号, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=33644580

20.4: Von 日本出版販売 撮影者不明- 日本出版販売『新刊展望』12月15日号(1965)より, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=58564032

20.5: Von Autor unbekannt – This image is available from the website of the National Diet Library, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2685628

21: Von wang leon from Nanjing, China – 0603mr21, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2777654

22: Von: de.wikipedia.org/wiki/Informatik, 21.10.2012, https://www.flickr.com/photos/environmentalinformatics-marburg/30053438721/