Kurze Momentaufnahmen einer überbordenden Kunst – Schlaglichter der japanischen Filmgeschichte

Taschenbuch vor zwei Filmrollen, ein Film ist locker von der Spule gewickelt

Kayo Adachi-Rabe (2021). Der japanische Film. München: edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag (Filmgeschichte kompakt); Taschenbuch, 125 Seiten.

Schon die ersten Filme, die in Europa entstanden, wurden in Japan neugierig aufgenommen. Früh entwickelte sich eine eigene Filmindustrie, und von Anfang an ließen sich japanische Filmemacher von technischen Neuerungen und cineastischen Innovationen aus Europa inspirieren. Durch technische Weiterentwicklungen und neue Themen entstanden in Japan stilbildende, wegweisende Genres mit ganz speziellen Formsprachen.

Die Meisterwerke – wie Samurai- und Monsterfilme oder Skizzen des kleinbürgerlichen Alltagslebens – sind in Europa gut bekannt. Sie alle waren und sind ein direkter Ausdruck ihrer Zeit, zugleich eine Reaktion auf technische und wirtschaftliche Bedingungen, auf die kulturelle Situation und die politischen Umstände.

Heute sind mehrere Generationen von Filmschaffenden aktiv, die sehr verschiedene Stile pflegen. Stets am Puls der Zeit, befassen sie sich mit Themen, die die Gesellschaft bewegen.

Das schmale Taschenbuch fasst die vielfältigen Strömungen der japanischen Filmkunst von den Anfängen bis zur Gegenwart zusammen.

Über die Autorin

Kayo Adachi-Rabe schloss ihr Germanistik-Studium in Japan mit einer Arbeit zum Film „Berlin Alexanderplatz“ von Rainer Werner Fassbinder ab. Danach studierte sie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ihre Magister-Arbeit verfasste sie zu Literaturverfilmungen von Sergej M. Eisenstein, ihre Dissertation zum Thema „Abwesenheit im Film. Zur Theorie und Geschichte des hors-champ“.

Sie publizierte zahlreiche Aufsätze zur Filmästhetik und zum asiatischen Kino. Kayo Adachi-Rabe ist Lehrbeauftragte am Seminar für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Anmerkung: „Hors-champ“ ist ein filmwissenschaftlicher Begriff, der die Handlungsanteile eines Filmes bezeichnet, die nicht sichtbar sind (von französisch: „hors de champ“, wörtlich: „außerhalb des Feldes“).

Gemaltes Filmposter: Frau im Kimono im Vordergrund, Briefseiten im Hintergrund

01. Filmplakat „The Mountain Pass of Love and Hate” – „Aizō tōge” (Mizoguchi Kenji, 1934)

Gemaltes Filmposter: sitzende, in Kimono gekleidete Frau, die raucht

02. Filmplakat „Ōsaka Elegy“ – „Naniwa erejii“ (Mizoguchi Kenji, 1936)

Gemaltes Filmposter: die Portraits der sechs Hauptdarsteller

03. Filmplakat „Blue Mountain Range” – „Aoi sanmyaku“ (Imai Tadashi, 1949)

im Zentrum das Foto einer Filmszene mit dem Schauspieler Mifune Toshirō

04. Filmplakat „Skandal” – „Sukyandaru” (Kurosawa Akira, 1950)

Über den Verlag edition text + kritik

Im Verlag edition text + kritik erscheinen seit den 1960er Jahren Zeitschriften, Buchreihen und Einzelpublikationen zu Themen der Geistes- bzw. Kulturwissenschaften, vorrangig zu Literatur, Musik und Film. Jede Ausgabe der berühmten Zeitschrift „TEXT+KRITIK“ stellt das Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers vor dem zeitgenössischen politischen und kulturellen Hintergrund dar.

Herausragende Veröffentlichungen von edition text + kritik sind die Nachschlagewerke „Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ (KLG) und „Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur“ (KLfG), die als Loseblattwerke konzipiert sind und regelmäßig durch Beiträge zu neuen Künstlerinnen und Künstlern erweitert werden. Die Beiträge sind viele Seiten lang und umfassen eine ausführliche Bibliografie.

Mit dem Buch von Kayo Adachi-Rabe wurde eine neue Reihe mit dem Titel „Filmgeschichte kompakt“ begründet. Es handelt sich um kurze, überblicksartige Einführungen in nationale Filmgeschichten, hier die Charakterisierung durch den Verlag:

„Die Reihe „Filmgeschichte kompakt“ richtet den Blick auf den internationalen Film. Jeder Band ist der Filmgeschichte eines einzelnen Landes oder eines transnationalen Phänomens gewidmet – und soll dabei eine kompakte, verlässliche und leicht zugängliche Einführung für den cineastisch und/oder wissenschaftlich interessierten Leser bieten. Der historische Überblick wird ergänzt durch eine Auflistung der wichtigsten, d. h. am stärksten kanonisierten Regisseure und Filme des jeweiligen Landes sowie weiterführende Literatur in das Thema.“

„Der japanische Film“ war der erste Band der neuen Reihe, weitere Bände liegen inzwischen zum französischen, dänischen, chinesischen, britischen, argentinischen Film und zum Film im Nationalsozialismus vor.

oben die Portraits der drei Hauptdarsteller, unten eine Filmszene

05. Filmplakat „Der Idiot” – „Hakuchi“ (Kurosawa Akira, 1951)

links die Portraits der drei Hauptdarsteller, rechts eine Filmszene

06. Filmplakat „Lady Musashino” – „Musashino fujin“ (Mizoguchi Kenji, 1951)

im Zentrum eine Filmszene, unten die Portraits der vier Hauptfdarsteller

07. Filmplakat „Der Geschmack von grünem Tee über Reis“ – „Ochazuke no aji” (Ozu Yasujirō, 1952)

Über das Buch

Das Buch ist in ein Vorwort und 15 Kapitel unterteilt, die jeweils 4 bis 10 Seiten umfassen. Die sehr übersichtliche, feingliedrige Struktur des Inhaltsverzeichnisses gibt Orientierung über die Entwicklung der japanischen Filmkunst und ist notwendiger Fahrplan durch das Buch.

  1. Anfänge und Stummfilm-Experimente: erste Filme in Japan, Einfluss des Kabuki-Theaters, erste Trickaufnahmen, Besonderheit der Film-Kommentatoren (benshi)
  1. Verlängerte Stummfilmzeit: Einfluss der Film-Kommentatoren, Gattung des „Tendenzfilms“ mit links-ideologischer Botschaft, Zensur, „kleinbürgerliche Filme“
  1. Frühe Tonfilme und Vorkriegszeit: Techniken der Vertonung, Bedeutung der Stimmen und Geräusche, audiovisuelle Experimente
  1. Kriegszeit und Neubeginn: Propagandafilme (bis 1945), Filmzensur durch die Alliierte Besatzung (bis 1952)
  1. Das Goldene Zeitalter in den 1950er Jahren und seine Regisseure: Japan als exotisches Filmland auf internationalen Filmfestspielen, im Hintergrund der berühmten Regisseure: der Kameramann Miyagawa Kazuo (1908-1999)
  1. Entwicklung des Genre-Kinos und Vorläufer der Nouvelle Vague: Verschiedene Genres wie Gespenster-, Monster- und Katastrophenfilme
  1. Nouvelle Vague I – Politik und Eros: Regisseure machen sich in den 1960er Jahren von den Studios unabhängig und realisieren in eigenen Produktionsfirmen gesellschaftskritische Autorenfilme
  1. Nouvelle Vague II – Kunstavantgarde: Regisseure, die andere Kunstgattungen in ihr Filmemachen einbringen, wie der Ikebana-Künstler Teshigahara Hiroshi (1927-2001)
  1. Entwicklung des Unterhaltungsfilms und neue Autoren der 1970er Jahre: Yakuza- und Kriminalfilme, Erotik- und Katastrophenfilme in Konkurrenz zum Medium Fernsehen
  1. Spätwerke der Meisterregisseure: Neue Stilrichtungen und international berühmte Filme der großen Regisseure in den 1980er Jahren
  1. Neue Perspektiven und Dekonstruktion: Unabhängige Autoren mit eigenen Produktionsfirmen in der Phase des Wirtschaftswachstums, Realisation von Heimatfilmen in Zusammenarbeit mit Filmkommissionen bestimmter Regionen, „Tanpopo“ (1985) als Prototyp des Gourmet-Films
  1. Gewalt, Poesie und Virtualität: Gewalt- und Action-Filme vor den vielfältigen Krisen der Heisei-Zeit (1989-2019), Einfluss popkultureller Elemente, Anime-Filme
  1. Die cineastische Schule: Verschiedene Schulen mit analytischem Blick, dokumentarisch anmutende Filme zum Familienleben in Zeiten der Rezession, Horror-Filme
  1. Dokumentarismus und Fiktion: International vernetzte Regisseure von Dokumentarfilmen, Techniken des Dokumentarfilms bei der Herstellung von Spielfilmen
  1. Die neue Generation: Aktuell innovative Filmschaffende, Ausblick

Der Anhang umfasst einen kleinen Kanon des japanischen Films (1 Seite), weiterführende Literatur (1 Seite), die Danksagung und ein Personenregister (6 Seiten).

Der Band enthält zehn Standbilder aus berühmten Filmen in Schwarzweiß.

gemaltes Poster: vier Szenen, die fließend ineinander übergehen

08. Filmplakat– „Erzählungen unter dem Regenmond“ – „Ugetsu monogatari”  (Mizoguchi Kenj, 1953)

im Zentrum eine Filmszene, gerahmt von den Portraits der Hauptdarsteller

09. Filmplakat „Die Reise nach Tōkyō“ – „Tōkyō monogatari” (Ozu Yasujirō, 1953)

links von oben nach unten groß der Schriftzug des Titels, rechts die Portraits der vier Hauptdarsteller in Kimonos

10. Filmplakat „Die Legende vom Meister der Rollbilder” – „Chikamatsu monogatari“ (Mizoguchi Kenj, 1954)

Die Herangehensweise: Kurzcharakterisierung der Filme

Im Vergleich zu den anderen Empfehlungen von japanwissen.info werde ich an dieser Stelle kaum inhaltlich auf das Thema eingehen. Zusammenfassend kann man sagen, dass in dem Buch nicht nur die international bekannten, sondern alle bedeutenden japanischen Filmschaffenden erwähnt werden. Wie im Inhaltsverzeichnis dargestellt, erfolgt die Vorstellung in chronologischer Folge. Im Mittelpunkt stehen Epoche machende Werke, deren Entstehungshintergrund und der Einfluss, den sie auf die weitere Entwicklung der japanischen Filmkunst hatten.

Bei der Lektüre des Bandes ist Vorwissen auf zwei Gebieten von Vorteil:

Zum einen zur Filmkunst allgemein, um die Vergleiche mit anderen Genres und Stilrichtungen nachvollziehen zu können (Beispiel: die frühen Schwertfilme, in ihrer Ästhetik wie Film Noir, S. 19).

Zum anderen Kenntnisse zur Gegenwartsgeschichte Japans. Eine wichtige Rolle spielt beispielsweise die Revolte der Studierenden während der 1960er Jahre, die in Japan äußerst radikal verlief. Anführer der Studentenbewegung an der Universität Kyōto war der spätere Regisseur Ōshima Nagisa (1932-2013).

Mich persönlich faszinierte von Anfang an die ungeheuerliche Herausforderung, die enorm umfangreiche Filmgeschichte Japans in einem Taschenbuch von nur etwa 120 Seiten zusammenzufassen. Und: Gleich im ersten Absatz gibt Kayo Adachi-Rabe den Hinweis, dass aufgrund der Vorgabe der Seitenzahl nur eine sehr schmale Auswahl an Filmen vorgestellt werden könne (S. 7).

Anmerkung: Familienname und persönlicher Name werden dabei leider nicht nach der in Japan üblichen, sondern nach europäischer Reihenfolge angegeben.

links von oben nach unten groß der Schriftzug des Titels, Hintergrund gleißend gelb, Vordergrund der Hauptdarsteller in erschreckt-aufgebrachter Pose

11. Filmplakat „Bilanz eines Lebens” – „Ikimono no kiroku” (Kurosawa Akira, 1955)

rechts von oben nach unten groß der Schriftzug des Titels, links unterschiedlich groß die Portraits der Hauptdarsteller in traditioneller Kleidung

12. Filmplakat „Die neue Geschichte der Taira” – „Shin Heike monogatari ” (Mizoguchi Kenji, 1955)

Gebündeltes Wissen

Meist eröffnet Adachi-Rabe eine Erläuterung zu einem Regisseur bzw. einem Film mit der Einführung in das gesellschaftliche Umfeld. Wie es ihr gelingt, die Entwicklung der japanischen Filmkunst anschaulich auch auf engstem Raum zu vermitteln, soll am Beispiel des Regisseurs Kurosawa Akira (1910-1998) verdeutlicht werden. Er wird an zwei Stellen des Bandes ausführlicher erwähnt.

Zunächst einmal wird er als berühmter Regisseur des „Goldenen Zeitalters“ (1950er Jahre) vorgestellt. Hier beschreibt Adachi-Rabe seine kreative Stilmischung über Vergleiche: die Schattenmalerei ist beeinflusst von Josef von Sternberg, Traumsequenzen und surreale Elemente von Luis Buñuel, die Duellszenen sind im Stil des japanischen Puppenspiels Jōruri gehalten (S. 25).

Seine Filme aus den 1980er Jahren werden dann im Kapitel „Spätwerke der Meisterregisseure“ vorgestellt. Die Charakterisierung des Filmes „Ran“ von 1985 verdeutlicht, wie verdichtet Adachi-Rabe die wichtigsten Informationen zu einem Film zusammenfasst:

„In diesem [Film] ist die Qualität der VistaVision perfektioniert, durch die komprimierten, streng komponierten Bilder wird eine klare Tiefenschärfe und harmonische Farbgebung erreicht. Diese Nō-Theater-Version von „King Lear“ spielt überwiegend im Freien, wo der dem Wahn anheimgefallene Fürst Hidetora (Tatsuya Nakadai) durch die Gegend irrt. Die weit entfernt von den Figuren positionierte Kamera mit Zoomobjektiv erreicht auf diese Weise eine Abstraktheit der Distanz vergleichbar der Situation bei der Vogelbeobachtung. Dieses Verfahren hat eine deutliche Parallele zur Theorie des Nō-Meisters Zeami, nach der der Schauspieler sich selbst aus der Ferne betrachten und steuern soll (riken no ken), um eine Aura der Mystik (yūgen) auszustrahlen. […]“ (S. 69-70).

langes, schmales Poster, oben der Schauspieler Mifune Toshirō mit einem Schwert unten die Hauptdarstellerin mit einem Messer in der Hand

13. Filmplakat „Rashōmon“ (Kurosawa Akira, 1950)

gelber Hintergrund, davor Fotos von drei Filmszenen, in blau, rot, grün gehalten

14. Filmplakat „Rashōmon“ in den USA

Ähnlich diesem Zitat werden folgende Informationen aufgeführt, falls sie für den betreffenden Film von Bedeutung sind:

  • Entstehungsgeschichte und Finanzierung (z.B. im Ausland gedreht oder gemeinsames Leben mit Aktivisten, um deren Alltag portraitieren zu können, S. 53);
  • Kurzzusammenfassung des Filmes, Hauptthema oder Hauptaussage;
  • Herausstellen der innovativen Techniken, die angewandt wurden;
  • Wirkung und Eindruck, die damit hervorgerufen werden;
  • internationale Einflüsse, Imitation oder Verfremdung von Szenen anderer Filme;
  • Bezugnahme auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedingungen, die den Film prägten oder die zum Thema wurden (wichtiges Beispiel: das Leiden der Menschen unter der Umweltverschmutzung während der Hochwachstumsphase, S. 54);
  • und auch umgekehrt: ein Fall, bei dem Anschläge nach einem im Film gezeigten Vorbild verübt wurden (S. 53);
  • ggf. Zensur;
  • Bedeutung für die weitere Filmgeschichte.

Schauspielerinnen und Schauspieler werden dann erwähnt, wenn sie besonders bedeutend waren oder über längere Zeit hinweg dem Wandel der Zeit folgend immer wieder neue Idealfiguren der Gesellschaft verkörperten (z. B. Hara Setsuko, S. 19).

langes, schmales Poster, links groß der Schriftzug des Filmtitels, im Hintergrund verschiedene Filmszenen, fließend ineinander übergehend

15. Filmplakat „Shichinin no samurai” – „Die Sieben Samurai“ (Kurosawa Akira, 1954)

Möglichkeiten des Zugriffs und der Nutzung

rechts groß der Schriftzug des Filmtitels, links unterschiedlich groß Portraits der drei Hauptdarsteller

16. Filmplakat „Die Straße der Schande” – „Akasen chitai ” (Mizoguchi Kenji, 1956)

Das Buch ist kein Lesebuch im engeren Sinne, sondern ähnelt einem strukturierten Nachschlagewerk mit aufeinanderfolgenden Einträgen.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, es gewinnbringend zu nutzen:

 

  • über das Inhaltsverzeichnis: Das Inhaltsverzeichnis schafft mit der gängigen Einteilung in die Epochen und Genres einen allgemeinen Überblick. Die Lektüre einzelner Kapitel bietet Film-Enthusiasten eine zeitliche bzw. ästhetisch-stilistische Einordnung von Filmen in die cineastische Gesamtentwicklung.
  • über das Personenregister: Hat man einen Film gesehen, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Regisseur (viel seltener: die Regisseurin) im Personenregister verzeichnet ist. So kann man mehr über dieses Werk erfahren und es in die Filmgeschichte einordnen. Leider enthält der Band kein Filmregister, es wäre wegen der Vielzahl der Titel für einen einzigen Film (in Originalsprache und verschiedenen Übersetzungen) wahrscheinlich zu umfangreich geworden.
  • schmökernd: Am interessantesten ist sicherlich die Lektüre mit gleichzeitiger Nutzung des Internets, in dem man Filmplakate, Szenenbilder und Filmausschnitte findet. So kann man sich tatsächlich in den Stil einer Epoche oder einer /eines speziellen Filmschaffenden hineinfinden.
langes, schmales Poster, links groß der Schriftzug des Filmtitels, die einzelnen Schriftzeichen in Quadraten voneinander abgesetzt, links die Portraits der Hauptdarsteller ebenfalls in Quadraten voneinander abgesetzt

17. Filmplakat „Tōkyō in der Dämmerung” – „Tōkyō boshoku“ (Ozu Yasujirō, 1957)

Auch wenn es kleine Fehler enthält (z.B. begann die Heisei-Zeit 1989, nicht 1990, S. 82) –

Das Buch ist unbedingt wert, als Referenz herangezogen zu werden, da …

… es die japanische Filmkunst konsequent aus internationalem Blickwinkel betrachtet.

Von Anfang an war die japanische Filmkunst immer von internationalen Produktionen inspiriert. Den japanischen Regisseuren war zu jeder Zeit bewusst, welche Strömungen gerade international angesagt waren, und so zeigt Adachi-Rabe z. B. Einflüsse des deutschen Expressionismus (S. 12), des russischen Revolutionsfilms (S. 14), des deutschen Films der Neuen Sachlichkeit (S. 14) oder von einzelnen Regisseuren wie Alain Resnais und Jean-Luc Godard (S. 49).

… und es zugleich die Entwicklung in Japan nachzeichnet.

Die japanischen Filmschaffenden kombinierten diese Vorbilder mit ihrer ganz eigenen Filmsprache, und ihr großer Experimentiergeist sorgte dafür, Teil der internationalen Avantgarde zu werden (S. 10-11).

Kayo Adachi-Rabe macht die Entwicklungen von Genres deutlich (z.B. von Monster- zu Katastrophenfilmen, S. 42) und zeigt die Vorgeschichte der Regisseure, die in Europa vor allem durch ein spezielles Werk oder eine bestimmte Gruppe von Werken bekannt wurden: welche Filme sie vor ihrem großen Durchbruch realisierten, welche Rolle sie für die Entwicklung der Filmkunst in Japan spielten. Hinzu kommt die Erwähnung von berühmten Filmszenen, die in Japan als für ihre Zeit enorm symbolträchtig betrachtet wurden (z.B. S. 25).

Besonders gelungen ist der Autorin die Einflechtung der japanischen Filmschaffenden in den internationalen Rahmen. Dies wirkt einer häufig anzutreffenden Exotisierung der japanischen Filmkunst entgegen.

Poster in der Horizontale geteilt: oben Nahaufnahme eines Herrn am Telefon, darunter der Schriftzug des Filmtitels, unten aus der Vogelperspektive Blick auf eine Stadt

18. Filmplakat „Zwischen Himmel und Hölle” – „Tengoku to jigoku“ (Kurosawa Akira, 1963)

… es Verbindungen zu anderen Künsten sieht.

Immer wieder weist die Autorin auf klassische Literaturvorlagen hin, auf denen filmische Stoffe basieren (wie das Gespenster-Genre, S. 41), und erwähnt Schriftsteller wie Tanizaki Jun’ichirō oder Kawabata Yasunari, die als Drehbuchautoren arbeiteten (S. 10-11).

Besonders eng sind die Verbindungen zum klassischen japanischen Theater, bis heute gibt es Referenzen zum Nō, Kabuki oder Bunraku. Wichtigen Einfluss haben außerdem Rauminszenierungen der Architektur und Stadtgeografie (S. 29), Malerei (z.B. Kamerafahrten entlang einer Szenerie nach Modell eines Rollbildes, S. 31), Musik und selbst die Ikebana-Kunst (S. 55).

… es feine Beobachtungen zur Entwicklung der Techniken enthält.

Interessant ist, dass die Autorin Hinweise zur Technik nicht außen vorlässt. Es sind kleine Beobachtungen, die vielen bekannt sind, in Nebensätzen aber Erwähnung und somit Aufmerksamkeit finden.

Zu den Filmkommentatoren der Stummfilmzeit (benshi) erklärt Adachi-Rabe beispielsweise, dass diese für das japanische Publikum bekanntermaßen nicht außergewöhnlich waren, da die traditionellen Bühnenkünste auch zwischen Darstellern und Rezitatoren unterschieden. So empfand man in Japan nicht, dass es wirklich „stumme“ Filme gegeben habe (S. 10).

Mit der Erwähnung des Filmmaterials und der Aufnahmetechnik, der Helligkeit und Buntheit macht Adachi-Rabe den Einfluss der Techniken auf die Aussage eines Films deutlich und zeigt, mit welchen Mitteln die Regisseure und Kameraleute den Blick zu ungewohnten filmischen Wahrnehmungen der Welt lenkten (z.B. S. 29-30, 33). Interessant ist beispielsweise die Vertonung der Zeit durch das Ticken und Schlagen einer nicht sichtbaren Wanduhr (S. 17).

… es vom umfassenden Wissen der Autorin zeugt.

In einer ungeheuerlichen Dichte werden Regisseurinnen und Regisseure und vor allem Filmtitel genannt und treffend charakterisiert. Das große Hintergrundwissen der Autorin und ihr souveräner Umgang mit dem unüberschaubaren Material macht den entscheidenden Unterschied zu Überblicksartikeln im Online-Format.

Im Vorwort werden „wahrnehmungsästhetische Traditionen, thematische Schwerpunkte, Reflexionen des Zeitgeistes, Stilentwicklungen, Konfrontation mit der technischen Entwicklung des Mediums, interne und externe Einflüsse“ versprochen (S. 7), und die einzelnen Kapitel des Buches lösen dieses Versprechen auch ein.

Kayo Adachi-Rabe ist dabei mit eigenen Bewertungen sehr zurückhaltend, wie beispielsweise zu einer Serie von Historienfilmen, deren Handlungsstränge und Inszenierungen wohl surreal und alogisch sind und sich nach der Autorin „als reines Vergnügen an der Stilschönheit des Genres“ verstehen (S. 64).

Das Buch leistet, was in dieser Kürze kaum zu leisten ist. An allen Stellen wünscht man sich, mehr zu erfahren, viel mehr.

Susanne Phillipps

22.09.2024 (Ausgabe 16)

Datenschutzhinweis: An dieser Stelle ist eine Anmerkung notwendig. Ich habe meine Website selbst erstellt, sie nutzt weder Cookies für Webtracking noch Web-Analyse-Programme. Ich verweise auf meine Datenschutzerklärung und verstehe die weitere Nutzung meiner Website als Einverständniserklärung.

Bildnachweis 

Header: Von Bruno Cordioli from Milano, Italy – Kimono enchantment, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10405206, Ausschnitt, Schrift eingesetzt.

Buch-Arrangement Japanischer Film: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk

01: Von Nikkatsu Tamagawa, © 1934 – scan of movie poster by Nikkatsu Tamagawa(http://www.mtime.com/movie/14346/posters_and_images/259669/ watermark removed), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3723480

02: Von Shochiku Company, Limited (松竹株式会社, Shōchiku Kabushiki Gaisha), © 1936 – movie poster made by Shochiku Company, Limited (松竹株式会社, Shōchiku Kabushiki Gaisha). Downloaded from http://www.aba-pon.net/eiga.html http://www.aba-pon.net/image51/posuta2.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6869135

03: Von Toho – [1], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=63499839

04: Von Shochiku Company, Limited (松竹株式会社, Shōchiku Kabushiki Gaisha) © 1950 – scanned movie poster released by Shochiku Company, Limited, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3664882

05: Von Shochiku Company, Limited (松竹株式会社, Shōchiku Kabushiki Gaisha) © 1951 – scanned movie poster released by Shochiku Company, Limited, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3665029

06: Von Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha), © 1951 – movie poster by Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3686391

07: Von Shochiku Company, Limited (松竹株式会社, Shōchiku Kabushiki Gaisha) © 1952 – scanned movie poster released by Shochiku Company, Limited (http://dvdtoile.com/Film.php?id=38541), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3711810

08: Von Daiei Motion Picture Company (大映株式会社, Daiei Kabushiki-gaisha), © 1937, – https://monstermoviemusic.blogspot.in/2014/07/ugetsu-monogatari-daiei-studios-1953.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3670653

09: Von Shochiku Company, Limited (松竹株式会社, Shōchiku Kabushiki Gaisha) © 1953 – scanned movie poster released by Shochiku Company, Limited, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5703901

10: Von Daiei Film – poster.c.blog.so-net.ne.jp, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46923795

11: Von Toho Company, © 1955 – scanned movie poster released by Toho Company, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3665183

12: Von Daiei Motion Picture Company (大映株式会社, Daiei Kabushiki-gaisha) © 1955 – movie poster made by Daiei Motion Picture Company (大映株式会社, Daiei Kabushiki-gaisha). Downloaded from http://entertainment.webshots.com/photo/2627875320055228984utdgNo accessed 01-March-2008., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3645972

13: By Daiei, (c) 1962 – http://entertainment.webshots.com/photo/2011951000055228984dXleQp[dead link] accessed 01-March-2008, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3644246

14: By RKO Radio Pictures – http://www.impawards.com/intl/japan/1950/rashomon.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=114107209

15: By Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha) © 1954 – movie poster made by Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107586431

16: Von Daiei Film – Ameblo.jp, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46923731

17: Von Shochiku – ha.com, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47954197

18: Von Toho Company Ltd. (東宝株式会社) – movie poster made by Toho Company Ltd. (東宝株式会社, Tōhō Kabushiki-kaisha), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=117849173