Auf der Suche nach „dem Japanischen“ – Über die Interpretation von Architekturelementen

Isozaki Arata (2025). „Das Japanische“ in der Architektur. Übersetzt von Nora Bierich. Herausgegeben von Ulf Meyer und Marco Kany. Saarbrücken: Edition AK. Original: „Kenchiku ni okeru ‚Nihon-teki na mono‘” [2003]; Hardcover, 356 Seiten.
Isozaki Arata (1931-2022) war nicht nur ein international gefragter Architekt, Träger des renommierten Pritzker-Preises, sondern auch ein kulturtheoretisch versierter Denker mit einem immensen Wissen, der in seinen Abhandlungen souverän bis kühn an westliche und östliche Theorien anknüpfte.
In seinen Essays behandelt er das architektonische Erbe Japans und widmet sich dabei vor allem der Frage, aus welchen Gründen welche Gebäude zu bestimmten Zeiten als „besonders japanisch“ wahrgenommen wurden. Dabei bezieht er sich auf die unterschiedlichsten Bereiche der japanischen und europäischen Kulturgeschichte. Bei seinen Untersuchungen hat er vor allem zwei Blickwinkel:
– zum einen auf die Baugeschichte: Isozaki zeichnet Prozesse nach, bei denen aus dem Ausland importierte Bautechniken eine Anpassung an japanische Gegebenheiten und ästhetische Vorlieben erfuhren.
– zum anderen auf die Rezeptionsgeschichte: Isozaki stellt fest, dass die Suche nach „dem Japanischen“ in der Architektur erst durch den Blick von außen ausgelöst wurde: „Die Problematik ‚des Japanischen‘ war von Anfang an Teil einer Perspektive, die sich von außen auf Japan richtete.“ (S. 12). Europäische Künstler und Architekten bezeichneten „das Japanische“ meist als „einfach“, „schlicht“, „rein“, „leicht“ oder „dezent“ (S. 13). Damit begann laut Isozaki in Japan selbst das Bestreben, eine genuin eigene Ästhetik zu definieren.
Insgesamt hält der Band eine solche Fülle an Denkanstößen bereit, dass ich im Folgenden nur auf einige herausragende Punkte inhaltlich eingehen kann.

01. Isozaki Arata, 1996
Über den Autor
Isozaki Arata studierte von 1953 bis 1961 Architektur an der Universität Tōkyō, unter anderem bei dem Architekten Tange Kenzō (1913-2005), bei dem er von 1959 bis 1963 arbeitete. Er vertrat die japanische Architekturströmung des Metabolismus und galt dann als postmoderner Architekt. Nach der Gründung seines eigenen Büros erhielt er zahlreiche Aufträge im In- und Ausland. Zu seinen Entwürfen zählen Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Museen oder Theaterhäuser. In Berlin entwarf er das Volksbank-Gebäude am Potsdamer Platz.

02. Zentralbibliothek und Literaturmuseum von Kita-Kyūshū, 1975

03. Nihon University Ochanomizu Square Building, Tokyo, 1987

04. The Globe in Shinjuku, Tōkyō, 1988

05. Art Tower in Mito, Ibaraki, 1990

06. Berliner Volksbank am Potsdamer Platz, Berlin, 1997
Isozaki Arata prägte mit seiner Sichtweise über Jahrzehnte hinweg den weltweiten architektonischen Diskurs aktiv mit. Er nahm an internationalen Wettbewerben teil und wurde zu Ausstellungen im Ausland eingeladen. So war er von Anfang seiner Tätigkeit an gezwungen, „das Japanische“ zu erklären. Die Essays sind in gewisser Weise auch ein Spiegel bzw. Deutung seines eigenen Schaffens, mit einem Rückblick auf die Inszenierung seiner Konzepte inklusive der Problematik, seine Inhalte für ein internationales Publikum ins Englische zu übersetzen (S. 104).

07. Isozaki war immer international vernetzt. Hier sieht man ihn in der Mitte eines Posters von Designern, die mit Hans Hollein an der Ausstellung „MAN TRANSFORMs“ im Cooper-Hewitt Museum of Decorative Arts and Design arbeiteten (1976; über damalige internationale Architektur-Netzwerke, S. 91-92).
Die Herausgeber
Ulf Meyer ist Architekturjournalist. Er studierte Architektur, arbeitete bei verschiedenen Architekturbüros und lebt inzwischen als freier Autor und Journalist im Bereich Architektur und Städtebau. Er übernimmt Lehrtätigkeiten an Universitäten, hält Vorträge und gestaltet Städtereisen.
Marco Kany ist Architekturfotograf und Grafiker. Er gründete den Verlag Edition AK.
Die Übersetzerin
Nora Bierich studierte Philosophie und Japanologie. Seit fast 30 Jahren übersetzt sie japanische Gegenwartsliteratur und Sachbücher aus den Bereichen Philosophie und Kunst ins Deutsche. 2008 wurde sie mit dem Übersetzerpreis der Japan Foundation und 2019 gemeinsam mit Ursula Gräfe mit dem renommierten Noma Award for the Translation of Japanese Literature ausgezeichnet.
In einem Journal zu Übersetzungsprojekten kommentiert Nora Bierich unter dem Titel „Ursprung und Trümmer“ ihre Erfahrungen zum Übersetzungs- besser Übertragungsprozess der Essays von Isozaki Arata: „Oberstes Ziel war es, in der Übersetzung möglichst ‚klare Verhältnisse‘ zu schaffen, um eine Fokussierung auf Isozakis anspruchsvolle Thesen zu gewährleisten.“ – Dazu gehörte unter anderem die genaue Recherche der japanischen Fachbegriffe bzw. Termini, für die es keine deutschsprachige Entsprechung gibt.
Über den Band
Der Band enthält ein Vorwort von Ulf Meyer (zur Entstehungsgeschichte der deutschen Übersetzung), vier Kapitel mit je einem Essay von Isozaki Arata und einen Anhang.
Die Essays haben architekturhistorisch bedeutende Ereignisse der japanischen Geschichte zum Thema. Zu Beginn steht ein zentraler Text, der sich über mehrere Epochen erstreckt und sich der Frage nach „dem Japanischen“ in der Architektur widmet. Dieser Text stammt von 2003 und verlieh dem Band in der deutschen Übersetzung seinen Titel. Die weiteren drei Essays behandeln, chronologisch schrittweise in die Vergangenheit vorstoßend, einzelne japanische Bauwerke:
„Das Japanische“ in der Architektur: Geschichtlicher Überblick über Interpretationen zu japanischen Gebäuden (S. 11-131)
Katsura – Raum der Ambiguität: Kaiserliche Villa Katsura in Kyōto, Anfang des 17. Jhds. (S. 133-193)
Chōgen und die Rekonstruktion des Tōdaiji: Wiederaufbau des Tempels Tōdaiji und des Eingangstors Nandaimon in Nara, Ende des 12. Jhds. (S. 195-265)
Mimesis des Ursprungs: Anfangspunkt des regelmäßigen Wiederaufbaus des Ise-Schreins, 7. Jhd. (S. 267-319)
Der Anhang umfasst ein Nachwort von Isozaki Arata zur englischen Ausgabe von 2006 (7 Seiten), ein Nachwort der Übersetzerin Nora Bierich (4 Seiten), ein Glossar (7 Seiten), ein Personenregister (3 Seiten), Fußnoten zu den Texten (5 Seiten) und den Bildnachweis (4 Seiten).
Die Gestaltung des Bandes
Obwohl es sich um theoretische Texte handelt, erinnert der Band in der deutschen Übersetzung in seiner Aufmachung an einen Ausstellungskatalog. Dies liegt vor allem daran, dass die anspruchsvollen Essays mit zahlreichen Abbildungen versehen wurden. Sie dienen der Veranschaulichung dessen, was Isozaki erwähnt oder beschreibt.
Es handelt sich vor allem um Fotos. Sie zeigen Gebäude bzw. deren Details, Ausstellungen und zeitgenössische Ereignisse, Kunstwerke, Portraits von Künstler/innen, Schriftsteller/innen, die Isozaki zitiert. Außerdem gibt es Grundrisse, Lagepläne, Skizzen, Konstruktionszeichnungen und Querschnitte durch Gebäude. Die meisten Abbildungen begleiten den Text am Rand, es gibt aber auch einige großformatige Fotos, die sich über eine Doppelseite erstrecken.
In einigen Infoboxen werden Hintergrundinformationen zusammengefasst, beispielsweise zu Architekturstilen und Dachkonstruktionen, zu Baumeistern und Gartenarchitekten, Palast- und Gartenanlagen, zu buddhistischen Schulen in Japan.
Die Herangehensweise von Isozaki Arata
Im Nachwort zur englischen Ausgabe beschreibt Isozaki, dass er sich zunächst – wie in Essays zur Architekturgeschichte üblich – auf die Beschreibung und Interpretation der Bauten als Objekte konzentriert habe. Später hatte er dann den Gedanken, dass ein architektonischer Diskurs erst dann möglich wird, wenn die Bauwerke als Ereignisse interpretiert werden (S. 320).
Um zu verdeutlichen, dass er bei der Erwähnung der Gebäude nicht nur die Bauwerke an sich meint, schreibt er deren Eigennamen in Großbuchstaben. „ISE“ meint nicht allein die Holzbauten des Schreins, sondern die gesamte Anlage mit der Zeremonie der regelmäßigen Neuerrichtung (S. 321).
Isozaki betrachtet die Gebäude als „textuelle Räume“, „Diskursfelder“, die die verschiedensten Interpretationen zulassen (S. 320), und erweiterte somit seinen Blick:
- auf die Gestaltung des topografischen Umfelds eines Gebäudes, insbesondere der Gärten, in denen zum Beispiel poetische Bezüge oder literarische Anspielungen umgesetzt werden können;
- auf die historischen Bedingungen zur Zeit der Entstehung des Baus: Bauphasen, Auftraggeber, Bauten als Teil eines zeremoniellen Ereignisses;
- auf die bekannten und zum Teil sehr widersprüchlichen Interpretationen und Aussagen zu einem Gebäude: Wer deutete wann in welcher Weise die Bauten?
Dies ist eine wichtige Verschiebung des Blickwinkels. Auf diese Weise deklariert er nicht eine bestimmte Bauweise als „japanisch“. Viel interessanter ist für ihn die Frage, welche Architekturelemente über die Jahrhunderte hinweg von wem als besonders „japanisch“ betrachtet und interpretiert wurden.
Was bedeutet „Wayō-isierung“?
Mit dem Begriff „Wayō-isierung“ (wayōka, wörtl. „Entwicklung hin zum japanischen Geschmack / Stil“) also „Japanisierung“, bezeichnet Isozaki den Vorgang, wenn Bauelemente und Kunsttechniken aus dem Ausland übernommen und in Japan dann eigenen (geografischen und klimatischen) Gegebenheiten beziehungsweise eigenen ästhetischen Vorstellungen angepasst wurden. Vor allem in Zeiten der Abschottung vom Ausland wurden ästhetische Prinzipien, die ursprünglich aus dem Ausland stammten, verändert. In dieser Umformung entstanden neue Formen, die sich als „japanisch“ bezeichnen lassen (S. 329).
Bei einer solchen Übersetzung von Fremdem in Eigenes muss es sich nicht um Architektur handeln. Die Anpassung an den japanischen Geschmack kann jedes beliebige Objekt betreffen.
08.-09. Isozaki betrachtet seinen Lehrer, den Architekten Tange Kenzō (1913-2005), als bedeutenden Repräsentanten der japanischen Moderne, bezeichnet ihn als „Architekt der Nation“ (S. 61). An mehreren Stellen zeigt Isozaki, auf welch geniale Weise sich in den Bauten von Tange Kenzō traditionelle und moderne Techniken verbanden (S. 27, 47).

08. Hauptgebäude des Friedensmuseums in Hiroshima, von Tange Kenzō, fertiggestellt 1952. Das Gebäude vereint Elemente von traditionellen Pfahlbauten mit modernen Bauprinzipien.

09. Schwimmhalle für die Olympischen Spiele 1964 in Tōkyō, Yoyogi, von Tange Kenzō, fertiggestellt 1964. Das gigantische Hängedach der Halle erinnert an die großen Dächer der Tempelgebäude des Tōdaiji in Nara (S. 61).
Die Verschiebung von Grenzen
Um das „Innen“ und „Außen“, das Eigene und das Fremde überhaupt unterscheiden zu können, erfordert es Grenzen. Isozaki behandelt an mehreren Stellen die Verschiebungen von Grenzen, seien sie durch Krieg ausgelöst, durch Kolonialismus geprägt oder virtuell durch das Internet überwunden (z.B. S. 120-121, 129).
Eine große, nicht nur politische Zeitenwende sieht er 1990: Mit der zunehmenden Durchgängigkeit von Staatsgrenzen wurden neue Möglichkeiten des Austauschs gegeben, die kulturellen Räume der Welt wurden durchlässiger. „Das Japanische“ als Kuriosität hatte sich überholt (S. 117).
Die Zerstörung als Ausgangpunkt
Isozaki Arata positionierte sich über die Jahrzehnte in seinen internationalen Ausstellungen selbst als „anders“, als „japanisch“. Er hatte die Stadt Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe gesehen. Dies prägte ihn so sehr, dass die Zerstörung von Städten zum Ausgangspunkt seines Denkens wurde: „Es hatte sich mir eingebrannt, dass vor allem Anfang Zerstörung und Auslöschung gewesen waren.“ Damit stand er der Vorstellung einer linearen Entwicklung hin zu einer Utopie, der Grundidee der europäischen Moderne, entgegen: „Dem Zentrum namens Westen stellte ich das fremde Land Japan gegenüber und als Ausdrucksmittel wählte ich die Zerstörung als Differenz zur Konstruktion.“ Dies bedeutet: Im Gegensatz zu der europäischen Vorstellung, für die Ewigkeit zu bauen, sind Gebäude einem zyklischem Werden und Vergehen unterworfen; alles, was erbaut wird, wird irgendwann in Trümmern liegen (S. 92-93, 96).
Viele Kulturschaffende in Japan teilten diese Erfahrung. In den Werken zahlreicher Manga-Zeichner, allen voran Tezuka Osamu, ist die totale Zerstörung ein wesentliches Element früher Erzählungen. Viele Geschichten entfalten sich vor Ruinenlandschaften, vor der Kulisse der durch Katastrophen zerstörten Zivilisation, wie beispielsweise auch das erste ins Englische übersetzte, äußerst erfolgreiche Manga „Akira“ von Ōtomo Katsuhiro, dessen Handlung in „Neo-Tokyo“ spielt.
Über Plätze
Isozaki lehnt die Suche nach Räumen, die europäischen Plätzen entsprechen, in historischen japanischen Städten ab. Seiner Meinung nach war dieses Konzept in Japan nicht vorhanden (S. 69,73). Orte für Festlichkeiten wurden beispielsweise nicht „in Stein gemeißelt“ (waren nicht „materiell-konstruktiv“ vorhanden). Stattdessen wurde ein Festplatz für eine gewisse Zeit durch provisorische und virtuelle Einfriedungen für Zeremonien und Feste eingerichtet („räumlich-performativ“). „Es handelt sich also nicht um ‚Plätze‘, sondern um eine ‚ungefähre Umgebung‘.“ Den Ursprung dafür sieht Isozaki in der Art und Weise, wie in Japan traditionellerweise Götter zeitweise in einen heiligen Bereich (himorogi) gerufen wurden (S. 74).
In einem breiten Abschnitt erklärt Isozaki seinen Entwurf für den zentralen Platz des Tsukuba Center Building der Tsukuba Science City von 1983. Er bezeichnet die Grundvoraussetzungen für dieses Bauwerk als „doppelte Fiktion“: zum einen da der Standort keinerlei Geschichte aufwies, zum anderen weil es in japanischen Städten traditionellerweise keine Plätze gab (S. 83-87).


10.-11. Den Platz des Tsukuba Center gestaltete Isozaki als tiefsten Punkt, an dem sich das Wasser sammelt, als Metapher für die Leere, in der alles verschwindet (S. 86). Die Grundbegriffe „Raum“, „Zeit“, „Abstand“ und „Leere“ spielen in mehreren Essays eine Rolle (wie S. 107).
Gegensätze und Interpretationsketten
In seinem ersten Essay zeichnet Isozaki Interpretationen bedeutender Denker aus dem 20. Jahrhundert zu historischen und modernen Gebäuden in Japan nach. Auffällig ist dabei, wie sehr der jeweilige kulturelle Rahmen die Sichtweise auf die Gebäude mitbestimmt(e).
Häufig wurden zeitgenössischen Gebäuden Eigenschaften unterschiedlicher früherer Epochen zugeschrieben. Mit diesem Rückgriff entstanden Gegensatzpaare, die erstaunliche Erweiterungen erfuhren und regelrechte Assoziationsketten hervorriefen. Isozaki legt zahlreiche Beispiele dafür dar, wie eines aus den 1950er Jahren:
Einerseits bezog man sich auf die Jōmon-Kultur (etwa 10.000 – 300 v. Chr.). Die Jōmon-Keramik mit ihren dynamischen Flammenmustern galt als „indigen“, zur „Unterschicht“ gehörend. Das Grubenhaus dieser Epoche wurde mit einer „groben, dynamischen Nicht-Transparenz“ dem „Dionysischen“ gleichgesetzt (zu dem Gegensatzpaar Apollinisch-dionysisch und ihren Bedeutungszuschreibungen siehe den Eintrag bei Wikipedia).


12.-13. Gefäß und rekonstruierte Grubenhäuser der Jōmon-Zeit (10.000 bis 300 v. Chr.)
.
Im Gegensatz dazu stand die Yayoi-Kultur (300 v. Chr. – 300 n. Chr.). Aus dieser Zeit stammen Keramiken mit feinen Mustern und Pfahlbauten mit einer raffinierten Statik. Sie wurde als „traditionell“ betrachtet, als „aristokratisch“ bezeichnet und dem „Apollinischen“ gleichgesetzt (S. 45-47, 51-52)


14.-15. Gefäß und rekonstruierter Pfahlbau der Yayoi-Zeit (300 v. Chr. bis 300 n. Chr.)
Isozaki führt aus, dass zeitgenössische Baustile als moderner Ausdruck einer der beiden Epochen betrachtet wurden. Der Neue Brutalismus galt beispielsweise als Ausdruck der Ästhetik der Jōmon-Zeit. In einem weiteren Schritt wurden die Architekturstile dann mit einer bestimmten politischen Strömung verbunden, bis hin zu einer pro- bzw. anti-amerikanischen Einstellung. (Ein großes Ereignis der Zeit, das die Gesellschaft spaltete, war die Erneuerung des Vertrags über gegenseitige Kooperation und Sicherheit zwischen Japan und den USA im Jahr 1960.)

16. Teilansicht des Tower House (1966) von Takamitsu Azuma (1933-2015).
Es weist Eigenschaften des sogenannten Neuen Brutalismus auf, einem Stil, bei dem Bauteile und Baukörper nicht kaschiert wurden, sondern als solche am Bau erkennbar blieben: Sichtbeton, Betonung der Konstruktion, simple geometrische Formen und meist sehr grobe Ausarbeitung und Gliederung der Gebäude.
Dies verband ihn nach damaliger Sichtweise mit der Ästhetik der Jōmon-Zeit (S. 51).
Die einzelnen Fallbeispiele
In drei Essays behandelt Isozaki die Entstehungs- und die Deutungsgeschichte von Gebäuden, die inzwischen weltberühmt wurden.
Der Schrein von Ise
Der Schrein von Ise ist dafür bekannt, dass er im Rhythmus von zwanzig Jahren neu erbaut wird, für Isozaki eine „Identität durch Rekonstruktion“ (S. 291). Eine besondere Faszination liegt für ihn darin, dass die Ursprünge – die Anfänge der regelmäßigen Neuerrichtung gegen Ende des 7. Jahrhunderts – verborgen sind. Isozaki verortet den Beginn des Rituals mit dem Schrein-Besuch von Kaiserin Jitō im Jahr 692 (S. 281, 283, 312).


17.-18. Das von überbordendem Grün umgebene Gelände des Ise-Schreins. Bruno Taut (1880-1938) erweiterte bei seiner Betrachtung des Ise-Schreins seinen Blick auf die Umgebung: auf die großen, altehrwürdigen und dichtgewachsenen Zedern, die die Schrein-Gebäude umgeben und den Gebäuden die besondere Aura eines heiligen Geländes verleihen (S. 55-56).
Der Tempel Tōdaiji und das südliche Eingangstor Nandaimon
Isozaki behandelt den Wiederaufbau des Tempels nach einem Brand im Jahr 1180. In dieser politischen Umbruchsphase, als die Macht vom kaiserlichen Hof in Kyōto an den Shōgun in Kamakura überging, wurde der buddhistische Priester Chōgen (1121-1206) zum Leiter der Spendensammlung für den Wiederaufbau des Tempels ernannt, einem Amt, das er bis zu seinem Tod mit 86 Jahren innehatte (S. 202).
Isozaki zieht Vergleiche zwischen seinen eigenen Erfahrungen gegen Kriegsende mit dem Erleben von Chōgen im 12. Jahrhundert, einer Phase des lang befürchteten Untergangs und der Zeitenwende: „Eine Welt verschwindet.“ (S. 239). Er versetzt sich in den Spendensammler Chōgen hinein, schreibt über dessen Motivation und Visionen, führt die Schwierigkeiten aus, auf die Chōgen stieß, und stellt Überlegungen zu dessen strategischem Vorgehen an.

19. Die Goldene Halle des Tempels Tōdaiji. In ihrem Inneren steht der Große Buddha.

20. Nandaimon, Eingangstor zum Tempel Tōdaiji, ein „seltenes Beispiel für das fragile Gleichgewicht zwischen Reife und Auflösung“ (S. 253). „Mit seiner groben, schon fast misslungenen Gestaltung hat es etwas Verzweifeltes, doch zugleich birgt es eine ungeheure Kraft.“ (S. 323)

21. Dachkonstruktion des Nandaimon
Die Villa Katsura
Die Villa Katsura ist für Isozaki ein großes Kunstwerk, in dem gegensätzliche Stile aufeinandertreffen. Aufgrund dieser Vielschichtigkeit wurde der Gebäudekomplex zu einem Objekt unablässiger, sich zum Teil widersprechender Interpretationen. Vor allem die japanischen Architekten der Moderne sahen in ihm eigene Gestaltungsideen verwirklicht (S. 150-151). Die Vielzahl der Deutungen machten die Villa Katsura zum Mythos (S. 136), und in seinem Aufsatz zeichnet Isozaki die Schritte hin zur Mythenbildung akribisch nach.

22. Lageplan der Villa Katsura, einem Geflecht aus mehreren Gebäuden und die sie umgebende Parklandschaft mit Teich, Inseln und Pavillons.

23. Blick in die Gartenlandschaft

24. Shōkin-tei
Der Band ist unbedingt lesens- und betrachtenswert, denn …
… er ist wunderbar aufbereitet.
Der gedruckte Text nimmt auf den Seiten weniger Raum ein, als man zunächst vermutet. An den Außenrändern ist viel freie Fläche vorgesehen, und hier sind die zahlreichen kleinen Abbildungen angeordnet, die den Text begleiten. Dazu gibt es eine Menge großer Fotografien, die über die Textfläche hinausgreifen.
Diese Gestaltung ist Teil des Projekts, den Text fassbar zu machen: Nora Bierich weist in ihrem Nachwort darauf hin, dass die Illustrationen neben der sprachlichen Übersetzung eine wichtige Komponente des „kulturellen Übersetzens“ darstellen, um den theoretisch-dichten Text verständlich zu machen (S. 330).
… Isozaki Arata zeichnet die kulturellen Strömungen beeindruckend pointiert nach.
Der Band darf nicht als Architekturgeschichte Japans missverstanden werden. In den Essays werden stattdessen bestimmte Episoden herausgegriffen und im Detail betrachtet. Ausgehend von diesen historischen Punkten gibt es zeitliche Rück- und Vorgriffe, manchmal auch generelle Beobachtungen.
Isozaki bezieht sich dabei – manchmal überraschend – auf asiatisches und europäisches Denken, nicht nur in der Architekturgeschichte, sondern auch auf gesamtkulturelle Entwicklungen, auf die zeitgenössische Politik und Gesellschaft, auf mögliche Motivationen der Akteure und literarische Quellen (ganz besonders zur Villa Katsura, S. 174-178). So wird deutlich, vor welchem größeren Rahmen die beschriebenen Gebäude entstanden.
… Isozaki Arata zeigt die politische Dimension von Architektur …
Dies ist mit einem weiteren Punkt verbunden: Es bedarf enormes Kapital, repräsentative Gebäude zu errichten. Geldgeber wünschen, dass die Gebäude ihrer Lebens- oder Staatsphilosophie, ihrer Weltsicht entsprechen. Es sind also nicht (nur) Geschmacksfragen, sondern vor allem auch politische Vorgaben, die beim Bau über Stilelemente und bei späteren Interpretationen durch nachfolgende Generationen entscheiden.
Jede Regierung braucht Gebäude, über die sie sich und den Staat definiert. Isozaki zeigt dies ausführlich anhand der Bauvorhaben bei der Villa Katsura: welche Ästhetik von der Fraktion des Shōgun, welche von der Seite des kaiserlichen Hofes erwünscht war (S. 192).
Aber nichts macht dies deutlicher als die Tatsache, dass die regelmäßige Neuerrichtung des Schreins von Ise lange Zeit unterbrochen war. Im Jahr 1585, als man einen Wiederaufbau plante, war das Vorgängergebäude ganz in sich zusammengestürzt, die alten Formen waren nicht mehr zu erkennen. Bei späteren Rekonstruktionen wurden bewusst Änderungen in der Gestaltung vorgenommen. Gerade in dieser Flexibilität sieht Isozaki die anhaltende Bedeutung des Schreins (S. 288-291, 294).
.. und wirft damit ein Licht auf die Wandelbarkeit der Diskurse.
Isozakis Ausführungen machen deutlich, wie sehr wir die Welt durch unsere eigene, durch die aktuelle Zeitgeschichte geprägte Brille sehen, wie eigene Erfahrungen in die Objekte „hineingelesen“ werden (S. 150). Das bekannteste Beispiel ist sicherlich der Blick der Architekten der Moderne auf die Villa Katsura. Sie konzentrierten sich in ihrer Betrachtung auf quadratische Formen (wie die berühmten Schiebetüren oder die Tatami-Matten), während sie stilistische Eigenheiten, die andere Betrachter in den Vordergrund stellten, vollkommen ausblendeten.
Die beeindruckendste Uminterpretation betrifft aber die Aussagen zum Ise-Schrein. Der Architekt Itō Chūta (1867-1954) verglich Ise noch mit einem Haus von Südseebewohnern, das keiner näheren architektonischen Betrachtung wert sei (S. 22). Bruno Taut setzte die Schrein-Gebäude mit der Akropolis gleich, in seinen Augen dem absoluten Maßstab westlicher Architektur. Danach verschob sich die Interpretation hin zu dem Empfinden einer Ehrfurcht gebietenden Kraft der umgebenden Natur (S. 57).
Besonders sympathisch an den Aufsätzen ist, dass Isozaki beim Verfassen seiner Abhandlungen selbst den Einfluss eigenen Erlebens zulässt, wie bei der Beschreibung der Spendensammlung zur Neuerrichtung des Tempeltors durch Chōgen. Hier meint man, praktische Erfahrungen der eigenen finanziellen Planung von Großprojekten herauszuhören.
… die Essays sind eine wunderbare intellektuelle Herausforderung.
Die vier Essays sind eine Mischung aus Theorie und Anschaulichkeit.
Auf der einen Seite schmückt Isozaki Vorstellungen zur ursprünglichen Nutzung der errichteten Gebäude mit all ihren Inszenierungseffekten aus, so dass die fast poetischen Beschreibungen ein äußerst lebendiges Bild, fast schon ein intensives Raumerlebnis bescheren (S. 228, 240).
Auf der anderen Seite ermöglicht Isozakis Vertrautheit mit den verschiedenen Denktraditionen Argumentationen und Vergleiche, die immer spannende Denkanstöße vermitteln: noch nie gesehene Verbindungslinien, allüberall Anknüpfungspunkte, an denen man die Gedanken weiterspinnen möchte.
Für mich waren nicht alle Passagen verständlich, es braucht an vereinzelten Stellen zum Beispiel enormes Vorwissen zu den Bauten, die untereinander verglichen werden. Aber das ist nicht der Kern der Essays. Der Band ist eine Wunderkammer an Gedanken, aus der sich jede/r Japaninteressierte Denkanstöße pflücken kann, ein herausforderndes Gedankenspiel für mit der japanischen Kulturgeschichte Vertraute.
Die hervorragende Übersetzung und die wunderbare Aufmachung machen das Lesen zu einem echten intellektuellen Genuss.
Susanne Phillipps
22.09.2025 (Ausgabe 20)
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Bildnachweis
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Buch-Arrangement Isozaki Arata: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk
01: By GianAngelo Pistoia – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=78617901
02: By 八幡鏡太郎 – Own work, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50704866
03: By Photo by 663highland, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57213006
04: By Wiiii – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7717159
05: By Ymblanter – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25568472
06: By © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138194237
07: By Unknown author – https://siarchives.si.edu/collections/siris_sic_9136, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19640263
08: Von Unbekannter Fotograf – 広島平和記念資料館本館(旧 広島平和会館原爆記念陳列館), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=154095917
09: Von Arne Müseler / www.arne-mueseler.com, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=85921939
10: By Polimerek – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22245549
11: By On-chan – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18925012
12: Von Daderot – Eigenes Werk, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31396630
13: By 663highland, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36246806
14: Von ColBase: 国立博物館所蔵品統合検索システム (Integrated Collections Database of the National Museums, Japan), CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=123808137
15: Von Abasaa – Eigenes Werk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38510651
16: By Lineweight at English Wikipedia – Transferred from en.wikipedia to Commons., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2868627
17: Von N yotarou – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39352102
18: Von z tanuki, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59091042
19: Von Marco Almbauer – Eigenes Werk, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=88491083
20: Von 663highland – Eigenes Werk, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4369910
21: Von Nekosuki – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36403512
22: Von Jchancerel – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=63372124
23: Von KimonBerlin – https://www.flickr.com/photos/kimon/3264665330/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57616003
24: Von Marie-Sophie Mejan – Eigener Scan, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=130626569
