Dynamisches Tokyo – Architektonische Voraussetzungen für belebte, wandelbare Orte

Jorge Almazán und Studiolab (2022): Emergent Tokyo. Designing the Spontaneous City. Novato [CA]: ORO Editions; broschiert; 224 Seiten.
„Emergenz“ (lateinisch emergere „Auftauchen“, „Herauskommen“, „Emporsteigen“) beschreibt den Sachverhalt, wenn sich bei der Bildung eines Systems durch das Zusammenwirken der einzelnen Elemente neue Eigenschaften oder Strukturen herausbilden. Diese emergenten (das heißt: durch das Zusammenspiel der Einzelteile neu entstandenen) Eigenschaften des Systems sind nicht auf Eigenheiten der ursprünglichen Komponenten zurückführen: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.
In „Emergent Tokyo“ untersucht der Architekt und Autor Jorge Almazán besonders lebenswerte Orte Tokyos, die sich „von unten her“ (als so genannte bottom up-Prozesse) durch eine rege Beteiligung der Bewohner/innen eines Stadtbezirks formieren.
Er analysiert die baulichen Eigenheiten dieser lebendigen städtischen Strukturen, von Geschäftsvierteln mit pulsierenden Leuchtreklamen bis hin zu Gegenden mit engen Nachbarschaften. Das Buch erklärt ihre historische Entwicklung und veranschaulicht die architektonischen Gefüge, die diese durchlässigen und anpassungsfähigen Stadtviertel ausmachen.
Über den Autor
Jorge Almazán promovierte am Tokyo Institute of Technology. Er arbeitet als Architekt in Tokyo und ist zugleich Dozent (Associate Professor) an der Keiō Universität, wo er das 2011 gegründete Architekturstudio und Forschungslabor Studiolab leitet.
Über das Buch
Das Buch enthält
- eine Einführung mit dem Titel „Why Tokyo?“
- 5 Kapitel mit der Vorstellung je einer besonderen Stadtstruktur
- 2 Überblickskapitel mit den Titeln „Tokyology“ und „A Tokyo Model of Emergent Urbanism“
- 6 Seiten mit Anmerkungen
„Emergent Toyko“ ist bei ORO Editions erschienen, einem Verlag, der sich auf grafische Darstellungen spezialisiert hat und Bände zu den Themen Architektur, Landschaft, Künste und Fotografie herausgibt.
Auf der Internet-Seite des Verlages und auf der des Autors bekommt man einen Einblick in das Buch.
Eine Besonderheit, die sofort ins Auge fällt
Das Buch lebt von seinen zahlreichen, sehr detaillierten Karten, Grafiken und Fotos. Sie nehmen mehr als die Hälfte des gesamten Bandes ein. Die Texte sind vor allem dazu da, durch die Abbildungen zu lenken, sie zu interpretieren. Gemeinsam mit dem klar strukturierten Design und den einheitlich aufgebauten Kapiteln entsteht der Eindruck, man befinde sich mit den Buchseiten direkt am Reißbrett eines Architekten.
Anmerkung: Die Abbildungen dieser Empfehlung stammen nicht aus dem Buch.
Charakterisierung von Stadtstrukturen in Tokyo
Einleitend erläutert Almazán anhand einer Übersichtskarte von Tokyo Stadtbilder, die für Tokyo typisch sind. Zur Abgrenzung untereinander bezieht er sich auf die aus der Edo-Zeit (1600-1868) stammende Einteilung in Häuserblocks (chōme; S. 7-8). Er unterscheidet sechs verschiedene Archetypen von Stadtlandschaften (cityscapes, S. 9-12):
- Village Tokyo: enge Bebauung mit zweistöckigen Einfamilienhäusern, vor allem in den Vororten (kōgai)
- Local Tokyo: Geschäftszentren rund um Bahnhöfe
- Pocket Tokyo: Viertel vor allem mit zweistöckigen Häusern, die von Hochhäusern umgeben sind, wobei diese umringenden Häuserblocks das Wohnviertel zu größeren Durchgangsstraßen hin abschirmen
- Mercantile Tokyo: mit den beiden Typen Yamanote (mit großen Geschäfts- und Bürogebäuden) und Shitamachi (mit kleineren, gleichförmigeren Gebäuden entlang gerade gezogener Straßen)
- Mass Residential Tokyo: Hochhaustürme mit Wohnungen
- Office Tower Tokyo: Hochhaustürme mit Büros und Geschäften
Laut Almazán füllen alle diese Strukturen spezielle Funktionen innerhalb der Stadt aus.
Die ausgewählten Stadtlandschaften
Im folgenden konzentriert sich Almazán auf fünf Stadtlandschaften, die – entsprechend dem Untertitel „Designing the Spontaneous City“ – dynamisch und in ihrer Größe auf ein menschliches Maß zugeschnitten sind. Sie benötigen bestimmte Voraussetzungen für ihre Entstehung: nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch besondere wirtschaftliche und juristische, kulturelle und soziale Bedingungen müssen vorhanden sein. Stimmen die Voraussetzungen, können diese lebendigen Viertel aus den oben aufgelisteten Stadtstrukturen entstehen:
- Viertel mit schmalen Gassen, in denen sich kleine Restaurants und Geschäfte aneinanderreihen
- Gebäude mit mehreren Geschäften pro Ebene
- Architektur unter Hochbauten
- Straßen über unterirdischen Kanälen
- Gegenden mit niedriger, dichter Bebauung
Für jede dieser fünf Stadtlandschaften gibt er drei konkrete Beispiele. Im vorderen inneren Buchumschlag ist eine Übersichtskarte von Tokyo abgebildet, die die Lage der 15 Straßenzüge und Stadtviertel anzeigt, die in den Kapiteln näher vorgestellt werden.
1. Viertel mit schmalen Gassen, in denen sich individuelle Bars, kleine Restaurants und Geschäfte aneinanderreihen (yokochō, S. 018-059)
Beispiele: Golden Gai (Shinjuku), Nonbei yokochō (Shibuya), Yanagi kōji (Nishi-Ogikubo)
Der Ursprung der yokochō liegt in den Schwarzmärkten der Nachkriegszeit. Die Regierung verlangte die Schließung der Märkte, und so wandelten sich die illegalen Stände zu Bars und Kneipen, Spielhallen und Bordelle in einfach zusammengezimmerten Bretterbuden. Da diese mit der Zeit von den Plätzen vor den Bahnhöfen verschwinden sollten, zogen sie in Seitenstraßen um. So entstanden die engen Gassen mit kleinen Bars und Restaurants in Bahnhofsnähe, halb-versteckte Orte der Unterhaltung und des Nachtlebens, meist hinter größeren Gebäuden inmitten eines Häuserblocks gelegen. Das international berühmteste dieser Viertel ist sicherlich Golden Gai in Shinjuku.

01. Shinjuku Golden Gai aus der Vogelperspektive.

02. Ausschnitt aus einem Grundstücksplan von Shinjuku. Die Grundstücke von Golden Gai sind sehr viel kleiner als die der Gebäude in der Umgebung.

03.-05. In den schmalen Gassen von Shinjuku Golden Gai. Die Kneipen haben Platz für etwa fünf bis zehn Gäste.


2. Gebäude mit mehreren Geschäften pro Ebene (zakkyo biru, S. 060-097)
Beispiele: Yasukuni dōri (Shinjuku), Kagurazaka (Shinjuku), Karasumori (Shinbashi)
Auch zakkyo-Gebäude befinden sich in der Nähe von Bahnhöfen. Ihre Besonderheit liegt in ihrer Nutzung: In den einzelnen Stockwerken sind vollkommen verschiedene Firmen und Läden angesiedelt. Es gibt Sportstudios, Cafés, Restaurants, Büroflächen, Läden, Ateliers, Kneipen. Um auf sich aufmerksam zu machen, werben die Anbieter mit Neon-Reklamen an der Außenfassade in der Höhe ihres Stockwerks. Damit ein möglichst direkter Eingang zu jedem Anbieter gewährleistet ist, sind zakkyo-Gebäude zur Straße hin durch Treppenhäuser, Aufzüge und mehrere Eingänge sehr offen zugänglich. Sie wirken wie vertikale Straßen.



06.-08. Zakkyo-Gebäude in der Yasukuni dōri
3. Architektur unter Hochbauten (kōkaka kenchiku, S. 098-129)
Beispiele: Ameyoko (Ueno), Kōenji, Ginza Corridor
Da in Tokyo sehr viele Bahnlinien und Autobahnen auf Stelzen hoch über dem eigentlichen Straßenlevel verlaufen, entsteht unter ihnen Raum, der manchmal für Einbauten genutzt wird (zum Vergleich: die S-Bahn-Bögen in Berlin). Der international berühmteste dieser Märkte ist sicherlich Ameya yokochō, kurz „Ameyoko“, in Ueno.

09.-11. Ameya yokochō (Ameyoko) mit Geschäften unter den Gleisen.


4. Straßen über unterirdischen Kanälen (ankyo sutrīto, S. 130-161)
Beispiele: Mozart-Brahms-Lane (Harajuku), Yoyogi Lane (Yoyogi), Kuhonbutsu Promenade (Jiyūgaoka)
Tokyo ist am Wasser gelegen und einst zogen sich unzählige, meist sehr schmale Kanäle durch die Stadt. Die meisten von ihnen wurden während der Industrialisierung abgedeckt und verlaufen heute unterirdisch. Längs – oder besser auf – diesen ehemaligen Kanälen entstanden Fußgänger-Promenaden, entlang derer sich Cafés, Restaurants und Läden ansiedelten.
5. Gegenden mit niedriger, dichter Bebauung (teisō misshū chiiki, S. 162-193)
Beispiele: Higashi-Nakanobu (Shinagawa), Tsukishima (Chūō), Kita-Shirokane (Minato)
Dies ist die vorherrschende Bebauung der Vororte, hier leben die meisten Menschen Tokyos. Die Einfamilienhäuser stehen eng beieinander, oft gibt es noch nicht einmal einen kleinen Grünstreifen zwischen ihnen. Die kleinen Gassen sind gepflegt, die Hauseigentümer stellen Topfpflanzen vor das Haus, Spielzeug liegt vor der Tür, Wäsche hängt vor den Fenstern.

12. Straße in Higashi-Nakanobu nahe des Bahnhofs

13. Einfamilienhäuser in Shirokane

14. Tsukishima: Viertel mit Ein- und Mehrfamilienhäusern zwischen Hochhaustürmen
Die Struktur der Kapitel
In allen fünf Kapiteln achtet Almazán streng auf einen durchgängig einheitlichen Aufbau:
- Über eine Doppelseite hinweg dient ein Foto einer Straßenansicht als Einstimmung. Es zeigt einen Teil eines Stadtviertels oder eines Straßenzugs, der im Kapitel behandelt wird.
- Es folgen Definition und geschichtlicher Hintergrund dieser Stadtstruktur.
- Manchmal stellt Almazán rechtliche Vorgaben zu den Bauformen dar (z.B. zum Verhältnis der Größe der Reklametafeln zur Gesamtfassade von zakkyo-Geschäftsgebäuden, S. 65).
- Ergänzend bringt er farblich gegliederte, grafische Darstellungen unterschiedlicher Nutzungsformen von Gebäuden oder Gebäudeteilen ein.
- Zu allen Stadtlandschaften gibt es eine Skizze vom Großraum Tokyo mit Punkten, an denen es diese Viertel oder Straßenzüge gibt.
- Es folgt eine ausführliche Beschreibung von drei konkreten Beispielen mit ihrer historischen Entwicklung und ihren heutigen Besonderheiten.
- Für alle Beispiele gibt es drei bis vier Kartenausschnitte aus verschiedenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bis heute. Sie zeigen in ihrer Abfolge die historische Entwicklung der Bebauung (die früheste Skizze zeigt den Zustand von 1887, meist beginnt eine Reihe in den 1930er Jahren und endet 2018/19).
- Im Abschnitt „Learning from …“ listet Almazán die Vorzüge dieser Stadtstruktur auf.
- Abschließend wird die Architektur der drei Beispiele auf etwa 20 Seiten ausführlich zeichnerisch und fotografisch dargestellt.
Die zeichnerische und fotografische Darstellung der Orte
Die Grafiken sind in ihrem Informationsgehalt den Texten mindestens ebenbürdig. Sie enthalten für alle Beispiele:
- eine Übersicht aus der Vogelperspektive: eine Eingliederung in den Stadtraum der Umgebung;
- Detailansichten mit abgenommenen Dächern oder entfernten Seitenwänden;
- Querschnitte und Draufsichten, begleitet von Fotos;
- bei Stadtvierteln: Kartenausschnitte mit besonderer Kennzeichnung der unbebauten Räume, Straßenbreite, Gebäudenutzung, Bepflanzung sowie der Gebäudeeingänge und Parkflächen.
Die abgenommenen Dächer und Seitenwände ermöglichen einen direkten Einblick in die Gebäude. Sie zeigen, wie baulich nah sich Orte sind, die beim tatsächlichen Erleben überhaupt nichts miteinander zu tun haben, wie zum Beispiel die Schienen des Shinkansen oder die Autobahn direkt über einem Restaurant.
Die Striche der Zeichnungen sind fein, ihre Auflösung hoch, sodass der dargestellte Raum minutiös und akribisch wiedergegeben wird. Die Skizzen beinhalten kurze Anmerkungen zu baulichen Besonderheiten.
Die Gebäude sind in Weiß, die Böden in Grau gehalten. In die Zeichnungen sind menschliche Figuren in Orange eingesetzt, um die Größenverhältnisse auch ohne Blick auf den Maßstab direkt sichtbar zu machen.
Vor allem der perspektivische Blick in Gassen hinein lässt die einzelnen Bestandteile der Bauformen enorm deutlich werden.
Große Datenmengen sichtbar gemacht
Almazán nutzt Angaben, die von der Stadtverwaltung zu Gebäuden, Straßen und Grundstücken zu Verfügung gestellt werden. So kann er die verschiedensten Daten zueinander in Beziehung setzen: Baustrukturen, Grundstücksnutzung, Zugangsmöglichkeit für Fußgänger/innen (Durchlässigkeit), Zahl der Nutzer/innen. Auf diese Weise charakterisiert er die Stadtviertel und ihren täglichen Rhythmus.
Entscheidungen „von oben“ (top down-Entwicklungen)
Almazán sieht Tokyo an einem Wendepunkt, da so genannte redevelopment-Projekte (Sanierungsgebiete) ganze Stadtviertel zerstören (S. 5). Flexiblere Gesetze und die finanzielle Macht der Maklerfirmen und Bauunternehmen lassen ihn von „corporate-led urbanism“, einer „von Unternehmen geführten Stadtentwicklung und Baukultur“ sprechen (S. 5).
Kommt ein großes Investment-Unternehmen in den Besitz eines Areals zusammenhängender Grundstücke, wird die dort bestehende Bebauung abgetragen, bis dato bestehende Nachbarschaftsstrukturen also zerstört, und Hochhaustürme mit teuren Marken-Geschäften, Luxus-Apartments und Büroräumen gebaut. Almazán charakterisiert sie als von ihrer Umgebung abgegrenzte, sterile Lebensbereiche, die es in dieser Form in jeder anderen Megacity gibt (S. 209). Zudem wirken sie schnell veraltet, da sie dem Design der Zeit entsprechen, zu der sie eröffnet wurden (S. 108, 110).
Umgeben sind diese Hochhauskomplexe von so genannten „Privately Owned Public Spaces“ (POPS): von „öffentlichem Raum in Privatbesitz“, meist kleinen Grünanlagen. In diesen neu geschaffenen Freiräumen sieht die Stadtverwaltung einen großen Vorteil gegenüber einer engen Bebauung, und zwar bezüglich des Katastrophenschutzes.
Almazán sieht die höhere Sicherheit bei Großbauten gegeben, weist aber darauf hin, dass bei einer Naturkatastrophe auch der soziale Zusammenhalt nach der Katastrophe wichtig ist (post-disaster solidarity; S. 212). Diesen sieht er in der Anonymität der neuen Hochhauskomplexe nicht gegeben.

15. Roppongi Hills Mori Tower

16. Marunouchi Building
15.-18. Beispiele für Hochhaustürme, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind

17. Hochhauskomplex von Shiodome

18. Hochhäuser von Nishi-Shinjuku
Eine klare Stellungnahme für eine Entwicklung „von unten“ (bottom up-Prozesse)
Das Ideal für Almazán ist die Kombination einer Planung durch die Stadtverwaltung in übergeordneten Fragen (z.B. Infrastruktur, Katastrophenschutz) und einer konkreten Selbstorganisation durch die Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort. Sein Bezugspunkt sind Strukturen, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, als Tokyo über weite Flächen zerstört war, und die Menschen Hand anlegten, um die Gebäude und Örtlichkeiten, die sie für ihr tägliches Leben benötigten, selbst zu schaffen (S. 6).
Die fünf dargestellten Stadtlandschaften wurden ursprünglich aus dieser harten Notwendigkeit geboren, sie entstanden ungeplant („they emerged“), und ihr spontaner Charakter ist bis heute spürbar. Die kleinen Gebäude sind voller Leben und Charme. Sie stehen für menschliche Nähe, Resilienz und Dynamik, da Kleinhändler- und Nachbarschaftsvereinigungen auf Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden, Anwohnerinnen und Anwohnern vergleichsweise spontan reagieren können. In ihnen sieht Almazán das Tokyo, das als eine so lebenswerte, dynamische, pulsierende Stadt gilt (S. 5-6, 72). Er tritt dafür ein, dass bauliche Vorgaben zum Katastrophenschutz in diesen Mikrostrukturen durch die Behörden konsequenter durchgesetzt werden.
Kapitel zu Studien über die Stadt Tokyo
Kapitel 7 „Tokyology“ (S. 194-205) behandelt die wichtigsten japanisch- und englischsprachigen Studien über Tokyo der letzten sechzig Jahre. Auch diese Theorien stellt Almazán grafisch dar, und zwar über zwei Doppelseiten hinweg in einem Koordinatensystem (S. 196-199).
Auf der x-Achse ist die Zeit von 1960 bis 2019 aufgetragen. Auf der y-Achse finden sich acht verschiedene Themenbereiche: Varia (Bände zu verschiedenen Themen; Omnibus works); Vergleichende Darstellungen (Gegenüberstellungen und Neubewertungen; Comparisons and reappraisals); Edo-Tokyo-Studien (Edo-Tokyo analyses), Studien zum öffentlichen Raum (Studies of public space); Beobachtender Zugang (Observational approach); Zukunftsstudien (Proposals for Tokyo’s future); Einflussreiche internationale architekturtheoretische Studien (Overseas therories); außerdem: politische Entscheidungen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ereignisse in Japan bzw. Tokyo (Society and economy).
Jedes Werk trägt ein kleines Symbol, das auf seinen inhaltlichen Schwerpunkt hinweist. Entwicklungslinien von Theorien, die aufeinander aufbauten, sind Orange unterlegt; in kleinen Kästen gibt Almazán außerdem Kurzcharakterisierungen für Werke einer ähnlichen Denkrichtung.
Eine Zeile von links nach rechts gelesen verdeutlicht somit die chronologische Abfolge von Werken zu einem bestimmten Thema. Folgt man einer Spalte von oben nach unten, erfährt man, welche Werke unterschiedlicher Themenbereiche zeitgleich erschienen.
Das Buch ist lesens- und betrachtenswert, denn …
… es ist ein Augenschmaus.
Das Buch liegt gut in der Hand und strahlt – trotz des flexiblen Umschlags – eine besondere Eleganz aus. Die Abbildungen und das Schriftbild sind von hervorragender Qualität. Der Band verfügt über ein ganz eigenes Design, das sich an nichts hält, an was das Auge gewöhnt ist. So reicht der Satzspiegel ohne Außenränder fast über die gesamte Seite. Die Seitenzahlen werden beginnend mit „001“ auf allen Seiten links unten angegeben. Überschriften werden mit übergroßen Großbuchstaben wiedergegeben, Kopfzeilen sind um 90 Grad gedreht und befinden sich innen, nahe der Buchbindung.
… es zeigt die Vergänglichkeit von großen Ideen zur Stadtplanung.
Almazáns Ausgangsfrage lautet: „Is it possible to design a city that possesses Tokyo’s best qualities?“ und stellt kurz darauf die Frage, ob Städte überhaupt planbar seien (S. 4).
Zum einen kommen bei der Gestaltung von Stadtvierteln immer verschiedene Interessensgruppen ins Spiel: die Politik, die Wirtschaft, die Bewohner/innen vor Ort. Zum anderen widersprechen sich Architekturtheorien der Vergangenheit einander radikal, immer wieder wurden Fokus und Schwerpunkt für eine geglückte Stadtplanung auf neue Aspekte gerichtet, die in absoluter Regelmäßigkeit kurz darauf wieder verworfen wurden.
Almazán zeigt diese Prozesse in dem Buch auf und nimmt selbst eine eindeutige, zu diskutierende Position ein.
An zwei Stellen wendet er sich explizit gegen den Exotismus, der in vielen Abhandlungen zu Tokyo zum Tragen kommt: In Abschnitt 1.6 gegen die oft wiederholte Aussage, die Stadt Tokyo sei ein geheimnisvolles Produkt, das nur aufgrund von Merkmalen der japanischen Kultur entstehen konnte; außerdem in Abschnitt 7.2, in dem er beschreibt, dass oftmals Züge der japanischen Nationalcharakterstudien (Nihonjinron; Theorie über das Besondere des Japanisch-Seins) in Büchern über Tokyo auftauchen.
… es ist für Laien wie für Fachleute geeignet.
Almazán generiert Informationen aus großen Datenmengen, die er in den Grafiken mit einer ausgefeilten Symbolik raffiniert umsetzt. Allein auf den beiden Doppelseiten, auf denen die Studien über Tokyo dargestellt sind, kann man sehr lange verweilen und Zusammenhänge erkennen.
Die Zeichnungen ermöglichen Betrachtenden einen direkten Zugang und bieten erst recht die Möglichkeit, sie lange und ausführlich anzuschauen. Sie erinnern an Wimmelbilder, auf denen es immer wieder Neues zu entdecken gibt.
Und: Sie machen die baulichen Ursachen für die Empfindungen sichtbar, die man hat, wenn man sich an diesen besonderen Orten in Tokyo aufhält.
20.03.2025 (Ausgabe 18)
Susanne Phillipps
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Bildnachweis
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Buch-Arrangement Emergent Tokyo: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk
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