Nach wie vor aktuell
Die folgenden Empfehlungen stammen aus der Sparte „Aktuelles“ zurückliegender Ausgaben.
Dokumentarfilm zur Popkultur (23.09.2022, Ausgabe 08)
Seit sich Japan in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Ausland öffnete, waren Menschen in Europa und den USA begeistert von dem Land, und das aus immer neuen Gründen. Zunächst riefen Handwerk und Kunsthandwerk Erstaunen hervor, später die Kampfkünste, die Ästhetik, eine Zeitlang hatte die boomende Wirtschaft enorme Anziehungskraft.
All das wird aber von der Begeisterung in den Schatten gestellt, die seit zwei Jahrzehnten viele Jugendliche der japanischen Popkultur entgegenbringen.
Der Türöffner in Europa und den USA waren vor allem zwei Manga- bzw. Anime-Serien: „Dragon Ball“ und – speziell für Mädchen konzipiert – „Sailormoon“. Die Fans begannen kreativ, die Hauptfiguren nachzuzeichnen, die Geschichten weiterzuspinnen, Kostüme zu schneidern und sich zu verkleiden, kurz: mit Hilfe der Helden eigene Vorstellungen und Träume auszuleben.
Die Welt der Cosplayerinnen und Cosplayer ist inzwischen international. Mit ihrem Wissen und ihrem Habitus grenzen sie sich von der Welt der Erwachsenen ab und sind zugleich nie allein, sondern Teil der „Glaubensgemeinschaft“ (Toan Ngyuen, Gründer von Jung von Matt NERD). Oft reicht ihr Interesse so weit, dass sie sich dazu entscheiden, sich näher mit Japan und der japanischen Sprache zu beschäftigen.

Der Dokumentarfilm von Marcus Fitsch „Popcult Japan“ behandelt dieses Phänomen. Aus der Ankündigung:
„Cosplay ist kein Zeitvertreib, sondern alternative Daseinsform. Otakus, wie sich Manga-Fans nennen, wollen nicht nur Geschichten lesen – sie wollen selbst Helden sein. Die MDR-Doku zeigt Innenansichten einer Kultur.“
Der Film gibt Einblicke in diese Welt, Interviewpartner sind unter anderem der Verleger Joachim Kaps, der den Prozess in Deutschland begleitet und mitgestaltet hat; der Manga-Zeichner Araki Hirohiko und der deutsche Zeichner David Füleki.
Manga ist eine Ausdrucksform, eine ganz spezielle Möglichkeit, Ideen und Geschichten zu transportieren – oder: die großen Fragen der Menschheit zu behandeln, wie Joachim Kaps sagt.
Der Dokumentarfilm ist bis zum 17.07.2023 verfügbar.
Formen und Farben – Kontraste zum Genießen:
Der Garten von Reinhardt und Barbara Lebek in Berlin (21.06.2022, Ausgabe 07)

– Schon von außen weckt der Zaun aus Hölzern in Schwarz und Weiß Erwartungen. Dies ist der Eingang in eine andere Welt.
Reinhardt und Barbara Lebek waren noch nie in Japan, und trotzdem wird ihr Garten bestimmt von Grundsätzen der japanischen Ästhetik. Zu Beginn der 1980er Jahre kauften die beiden das grasüberwucherte Grundstück mit dem Bungalow, der damals in keinem guten Zustand war. Inzwischen sind dieses Anwesen mit seinen Pflanzen und der Bungalow mit seinen Anbauten zu einem Gesamtkunstwerk verschmolzen.

– Ein Ginkgo darf nicht fehlen.
Im Garten gedeihen unzählige weitere Bäume, Sträucher, Schilfe und Farne. Viele von ihnen waren ursprünglich in Japan beheimatet und sind schon lange in Europa angekommen.


– Das Arrangement lebt von Kontrasten: das Organische der Pflanzen zwischen den geraden Linien und den rechteckigen Skulpturen.
Die vorherrschenden Farben sind das Grün der Pflanzen, das Grau der Steine, das Braun der Hölzer.
Die Objekte, die Reinhardt und Barbara Lebek dazwischen platzieren, bilden einen Dreiklang aus Weiß, Schwarz und Rot.


– Blick auf die Felsen des Miniaturgartens, durch die Perspektive ganz groß.
Im Garten reihen sich in unzähligen Ideen Mikrokosmen geschmeidig aneinander, ohne sich zu stören. So laden zum Beispiel ein kleiner Trockenteich, eine Leseecke, Statuen oder ein Pavillon unter einer schützenden Hängebuche zum ruhigen Verweilen und zum Entspannen ein.


– Schweben über den Dächern. Das Dach ist, wie könnte es anders sein, begrünt.
Das Quadratische, das Strenge, scheint sich dem Organischen entgegenzustellen. Aber selbstverständlich sind auch die Pflanzen nicht unberührt: Reinhardt Lebek lichtet sie regelmäßig und bringt sie in eine bestimmte Form.

Durch die Lücken im Grün schafft er Blicke, fast Blickachsen, durch diesen Garten, der auf diese Weise viel größer wirkt, als er in Wirklichkeit ist.
– Strukturen, die ineinander greifen: Ein Regenschirm, von dem nur das Gerüst als Struktur blieb.
Japanische Gäste, die ihn besuchen, sagen, sie fühlten sich hier zu Hause. Was gibt ihnen dieses Gefühl der Vertrautheit? Auf jeden Fall die ästhetischen Grundideen, in denen Reinhardt Lebek eigene Vorstellungen verwirklicht.
Und noch etwas anderes: Wer die Werke von japanischen Künstlern und Kunsthandwerkern kennt, weiß um deren unübertroffene Perfektion. Diese Grundhaltung ist in diesem Garten zu spüren. Jedes Detail ist genau bedacht, alles fein aufeinander abgestimmt. Ein Besuch lohnt sich.
Zweimal im Jahr gibt es Ausstellungen, deren Eröffnung mit Künstlern und Gästen gefeiert wird. Danach stehen der Garten und die Ausstellung einen Monat lang für Besucherinnen und Besucher offen. Aber auch außerhalb dieser Zeiten kann man die Möglichkeit einer Besichtigung telefonisch erfragen. Reinhardt Lebek nimmt sich gern die Zeit für eine Führung.
Kontakt: Reinhardt und Barbara Lebek . Oberhofer Weg 44 . 12209 Berlin . Telefon: 030 773 35 54
Taniguchi Jirō (20.03.2022, Ausgabe 06)
Taniguchi Jirō (1947-2017) war ein Manga-Zeichner, der unbeschreiblich begabt war, die kleinen Dinge des Alltags grafisch einzufangen. Seine Themen waren breit gesteckt: Zum einen übertrug er literarische Stoffe bekannter Autorinnen und Autoren in Manga-Form, zum anderen erfand er fantasievolle Geschichten, teilweise mit fantastischen Elementen. Durch spezielle Kniffe machen seine Figuren Zeitsprünge oder rutschen in andere Körper. Dies ermöglicht ihnen eine ungeheure Bewusstseinserweiterung und führt letztendlich zur Lösung ihrer innerer Konflikte.

Taniguchis große Spezialität ist die Detailfreudigkeit, mit der er Dinge beobachtet und Atmosphären schafft: über akribisch gestaltete Hintergründe und kleinste Regungen in den Gesichtern der Figuren. Seine Figuren sind immer sehr aufmerksam, sie hasten nicht durch die Welt, sondern durchschlendern sie und nehmen dabei mit ganzer Hingabe ihre Umgebung auf, oft leicht melancholisch und mit zartem Humor: Egal ob in Edo oder in Tōkyō nehmen sie verschiedene Blickwinkel ein, knien sich nieder, besteigen Hügel, lehnen ihren Kopf an einen Baumstamm. „Der Kartograph“ zum Beispiel, der mit der Anzahl seiner Schritte Japan ausmisst, scheint eigentlich ein ganz anderes Anliegen zu haben: Wie ein Flaneur setzt er einen Schritt vor den anderen und staunt über die Welt, die ihn umgibt.
Die Zeichnungen werden oft als poetisch oder meditativ bezeichnet. Nicht selten sind die historischen Vorlagen zu erkennen, die Taniguchi als Inspiration für ein Bild dienten. Manchmal vermögen die Bilder von Taniguchi sogar Geräusche und Gerüche hervorzurufen.
Olympiade in Tōkyō (22.09.2021, Ausgabe 04)
In Tōkyō haben die Olympischen und Paralympischen Spiele mit der Jahresangabe „2020“ im Titel inzwischen stattgefunden, während des Ausnahmezustands ohne Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Planung einer solchen Großveranstaltung birgt viele politische Ziele, eines davon war, der Welt zu zeigen, dass Japan die Dreifachkatastrophe im Nordosten des Landes überwunden hatte. Doch dann kam die Corona-Pandemie dazwischen, die Spiele wurden um ein Jahr verschoben und erhielten einen ganz anderen Fokus.
Es verging eine lange Zeit der Unsicherheit, und die Dynamik der Entwicklung rund um die Spiele ist schon jetzt Untersuchungsgegenstand von Japan-Forschenden. Eine aktuelle Studie von 2020 ist
Japan Through the Lens of the Tokyo Olympics
Herausgegeben von Barbara Holthus, Isaac Gagné, Wolfram Manzenreiter, Franz Waldenberger. Erschienen bei Routledge (London, New York).
Der Sammelband ist hier kostenfrei herunterzuladen.
Bildnachweis
Header: Von Bruno Cordioli from Milano, Italy – Kimono enchantment, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10405206, Ausschnitt, Schrift eingesetzt.
Cosplayers: By Matias Tukiainen from Espoo, Finland – 20140118174713IMG_5618_M, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=95613437
Alle Fotos aus dem Garten von Reinhardt und Barbara Lebek: Von Susanne Phillipps – Eigenes Werk
Covers Taniguchi: © Carlsen Verlag